Das Blut trinkend, in dem das Leben wohnen soll, ge­winnen die Schatten Besinnung und können weissagen. So be richtet auch Horaz   von der Canidia  , die mit ihrer Genossin Sagana eine nächtliche Totenbeschwörung zur Erforschung der Zukunft eines Liebesverhältnisses unternahm, sie habe ein unternahm, sie habe ein schwarzes Schaflamm zerrissen und

in ein Loch abließen sie rinnen das Blut, daß Dorther, Rede zu stehn, die geschiedenen Seelen sie lockten. ( Satiren 1, 8.)

Nichts kann auch irriger sein als der Schluß, es müsse immerhin etwas wahres an der Sache sei, weil dieselbe schon so viele Jahrhunderte existire. Wie manchmal fremden Glau bensgenossenschaften gerade das Gegenteil von ihren Gepflogen­heiten angedichtet wird, zeigt folgender Fall. In einer ziemlich distinguirten Gesellschaft, worunter auch jemand aus der hohen Aristokratie war, wurde einmal die Behauptung aufgestellt, die Juden würgen" ihre Toten, das heißt, wenn ein Jude im Sterben liegt, werde ihm von andern Juden durch Würgen vollends der Garaus gemacht. Mit den Sazungen und Bräuchen der Juden genau bekannt, bestritt ich das aufs entschiedenste und führte als Gegenbeweis an, daß den Juden sogar aufs strengste verboten ist, irgend ein Glied eines in Agonie liegenden Sterbenden zu bewegen, damit der Tod nicht um den kleinsten Bruchteil einer Sekunde beschleunigt werde. Troz meiner Ver­sicherung, daß dieses Verbot sich in allen populären Büchern findet, welche die Juden bei Sterbefällen benüzen, mit dem Beisaz, daß das Zuwiderhandeln dem Blutvergießen gleich zu achten sei, blieb der Betreffende bei seiner Meinung und auch andere aus der Gesellschaft stimmten ihm auf Grund von Hören sagen bei.

Derartige Sagen bilden sich sehr leicht über eine Sekte, bei welcher allerlei seltsame, aus dem grauen Altertum stammende Bräuche und Zeremonien vorkommen. Dies ist bei den Juden ganz besonders der Fall; ihr Religionswesen ist noch heutzutage mit einer stattlichen Schaar teils von Haus aus närrischer, teils ursprünglich vernünftiger, aber durch Uebertreibung, Miß verständnis oder Uebertragung auf Verhältnisse, für die sie nicht berechnet waren, ins Närrische ausgearteter Observanzen und Ritualien behaftet. Solche kommen ganz besonders bei der Bereitung der Osterfuchen( die längst keinen Sinn mehr haben), wie auch bei Sterbefällen vor. Die Draußenstehenden sehen allerlei sonderbare Manipulationen und machen sich die aben

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| teuerlichsten Vorstellungen davon, und tritt gar noch die Bös­willigkeit hinzu, so wird leicht die harmlose religiöse Harlekinade zu einer verbrecherischen, selbst kannibalischen Handlung umge­stempelt. Würden die Juden auf idealen Gebieten nur halb so viel Verstand und Energie entwickeln wie auf dem kommer­ziellen, so hätten sie längst jene verknöcherten Formalitäten, in denen bereits jeder religiöse Funke erloschen ist, abstreifen müssen, was in verschiedener Richtung nur vorteilhaft für sie wäre. Aber Unkraut ist bekanntlich schwer auszurotten, besonders das religiöse; so kann es auch imgrunde nicht Wunder nehmen, wenn in Gegenden, wo dieses Unkraut noch in Fülle wuchert, wie in den östlichen Ländern, Schauermärchen wie das vom Christen­blut nicht aussterben wollen.

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Als gewichtiges Zeugnis gegen die Blutbeschuldigung dürfen mehrere Urteile und Gutachten getaufter Juden aus ver­schiedenen Zeiten angeführt werden. Schon 1413 hat der Täuf­ling Thomas auf die Frage Alfons X. von Spanien  , ob es wahr sei, was der Bischof in Madrid   gegen die Juden über ihre Verwendung von Christenblut zu Osterkuchen predigt, nach Anführung von Gegenbeweisen das Gegenteil versichert. Ebenso hat der getaufte Jude Josua Lorki, bekannt unter dem Namen Hieronymus de Santa Fe, die Blutbeschuldigung dem Pabst Benedikt XIII  . als unwahr nachgewiesen. Der Desterreicher Aloisius von Sonnenfels ließ 1753 eine Schrift Der jüdische Blutekel" gegen dieselbe erscheinen. Der katolische Prediger Veit in Wien   leistete 1840 auf der Kanzel mit dem Kreuz in der Hand der knienden, zu tausenden versammelten Gemeinde einen Eid, daß die fragliche Beschuldigung ein freche Lüge sei. Dr. Alexander M. Caul in London   hat in einer der Königin von England gewidmeten Schrift: ,, Reasons for believing" dargetan, daß Menschenopfer und Blutvergießen mit den Grundlagen des Judentums in direktem Widerspruch stehen. Der Schrift ist eine andere von fünfunddreißig zum Christen­tum übergetretenen Juden im gleichen Sinne beigefügt. Ebenso hat der berühmte protestantische Bischof Neander im Jahre 1840 eine Erklärung gegen die Blutbeschuldigung abgegeben. Anlaß hierzu war eine Blutbeschuldigung, welche damals ebenso großes Aufsehen machte, als die Tisza- Eszlar- Affäre der Gegen­wart. Der Schauplaz derselben war Damaskus  . Wir wollen die an interessanten Episoden reiche Begebenheit den Lesern, unter Zugrundlegung des Gräz'schen Geschichtswerks, demnächst mitteilen.

Das Thorner Trauerspiel von 1724.

Bon Dr. A. Prowe.

Das Lutherfest begeht das evangelische Deutschland   in sehr verschiedener Art. Denkmäler des großen Karaktermenschen er richten mehrere Städte; aber in einer Stadt wird zur Ver­herrlichung seiner Säfularfeier das Denkmal eines evangelischen Märtyrers geplant, des 1724 geköpften Bürgermeisters von Thorn   an der Weichsel  , dieser ersten siebenthalbhundert Jahr alten Kolonie des deutschen   Ritterordens. Am Geburtstage Luthers   soll der Grundstein gelegt werden, wie die Kirchenräte der evangelischen Gemeinde beschlossen haben.

Jeder Ort ehrt sich selbst, wenn er das Andenken seiner bedeutenden Ortsangehörigen in Ehren hält. Die jezt in eine Riesengrenzfestung gegen Rußland   umgewandelte Weichselstadt war in früheren Jahrhunderten ein Bollwerk freien deutschen  Geisteslebens und bürgerlicher Selbständigkeit. Man muß, um diese auf polnisch- russischem Boden errichteten Gründungen der glänzenden Hohenstaufenzeit in ihrem eigenartigen Karakter zu begreifen, die Lokalchronik der einzelnen Städte lesen. Erst im Spiegel ihrer Geschichte erscheinen sie den heutigen Volksgenossen ehrwürdig und bemerkenswert. Der Westen kümmert sich leider wenig um diese Verwandten im Osten. Vielleicht kennzeichnet ein kurzer Abriß der Schicksale Thorns den einsichtigen Lesern

eine ganze Reihe von ähnlich durch hartes Geschick geprüften, zumal von immerwährenden Kriegsunruhen heimgesuchten, deut­schen Kolonialstädten an der Weichsel  , Düna  , Memel   und dem finnischen   Busen.

Man weiß, der vorlezte Staufenkaiser, Friedrich II.  , dieser geistig höchste Fürst seines Hauses, hatte am deutschen Hoch­meister Hermann von Salza   einen ausgezeichneten Feldherrn und Staatsmann, eine wahre Stütze seiner Regierung. Er ver­lieh demselben kraft faiserlicher Machtvollkommenheit das noch erst vom Orden zu erobernde Land der sog. heidnischen Preußen. Hermann schickte seinen Namensvetter Hermann Baß, einen Westphalen, als Landmeister an die Weichsel  . Dieser glorreiche Kolonisator schuf in einem kurzen Jahrzehnt die Grundlagen des bürgerlich freien, auch durch treffliche Landgemeinordnung hervorragenden Ordensstaates. Bald darauf kam der Hochmeister selbst in diesen zu jener Zeit einzig so zu nennenden Staat, den Musterstaat des ganzen Mittelalters; und der unvergleichliche Wierich von Kniprode hob die Blüte des merkwürdigen politischen Gebildes zur höchsten Höhe, von der ein jäher Sturz das ebenso schnell sich abspielende Ende her­beiführte. beiführte. In einer einzigen Schlacht brach die Ordensmacht