unter dem Doppeldruck der lithauischen und polnisch- böhmischen Nationalfeindschaft. Anstatt sich jezt von weisen Regenten, die dem sinkenden Orden so wenig fehlten als früher dem wunder­bar rasch sich entwickelnden, in die notwendigen Lahnen der englischen, schweizerischen und holländischen verfassungsmäßigen Gleichstellung von Adel und Bürgertum hinüberleiten zu lassen: erwachte der volle Hochmut des Junkerblödsinns in jenem son derbaren Mönchsoffizierſtande, welcher den sog. Orden" bildete.

Die einheimischen Landedelleute haßten die aus nachgebore­nen Söhnen des süd- und westdeutschen Adels sich rekrutirenden Kreuzritter" ebensosehr wie der immens reich gewordene Pa­trizierſtand der großen Handelsstädte.

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Thorn  , damals die Königin der Weichsel  , nachdem die älteren deutschen Kolonisationsstädte Krakau   und Warschau   immer mehr polonisirt waren, erhob sich mit dem nächstmächtigen Städtepaar, den an der Doppelmündung des gewaltigen Stromes errichteten Seehäfen Danzig   und Elbing   zum Abschütteln des junkerhaft dünkelvollen und unklugen Regiments der Kreuzherren   stieß( wie Carlyle sagt) mit einem Fußtritt seinen Er­zeuger, den Orden, hinaus."

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Gierig hatte der polnisch- lithauische Adel sich den Empörern mit der Kriegsmacht des ganzen vereinigten Königsreichs zur wohlberechneten Unterstüzung angeschlossen; aber dreizehn volle Jahre wogte doch der Kampf noch wechselnd hin und her: so ausgezeichnet fest gefugt war der Staatsbau des bewunderungs­würdigen deutschen Ordens. Endlich überließ er das Weichsel­land sich selbst und den Scheinbeschüzernden Polen  ! Von jezt ab gewährt die Geschichte dieses abgerissenen sog. West­ preußen   nur den traurigergreifenden Anblick mühseligen Ringens mit und schließlichen Erlicgens unter dem Nationalhaß Polens  . Am deutlichsten karakterisirt das Thorns Kirchenge­schichte. Wie das ganze Gebiet der plattdeutschen Zunge fiel auch die Stadt zum Luthertum ab und machte natürlich ihre drei großen Hauptkirchen, Zierden des gotischen Ziegelbaus ( wie jeder Kunstkenner weiß), zu evangelischen Gotteshäusern. Aber die polnischen Könige, die ost, besonders wenn sie Geld brauchten, nach dem stolzen, reichen Thorn   zu Besuch kamen, forderten, daß wenigstens in der großen Pfarrkirche auch ihnen, so oft sie es wünschten, katolischer Gottesdienst gestattet würde. Bald motivirten hiermit die Bischöfe das Recht auf Allein­besiz der Pfarrkirche(!) und der ultramontanisirte Jesuiten­adel des Reichsgerichts genehmigte dies. Nach dem Frieden zu Oliva, der 1660 auf ewige Zeit" den Norden geordnet hatte, entriß den Traktaten zum Hohn schon 1666 der selbige Polen  adel die durch ihre schöne Rückfront berühmte Jakobskirche den Protestanten unter dem Vorgeben, die Stadt müsse den Nonnen Ersaz gewähren für ihre vom Schwedenfeldherrn zerstörte Kloster firche.

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Nun besaß die mehr und mehr verarmte, von Danzig   aus Handelsneid unterdrückte, durch Karl XII.  , wie Voltaire be­weglich schildert, eingeäscherte und gebrandschazte deutsche   Urstadt Preußens nur noch den herrlichen im Hallenstil errichteten Dom an ihrer Nordwestecke, die Marienkirche. Gegen diesen lezten Halt der Kezerei richtete sich nun das feingewobene Ränke­spiel der Jesuiten  , die sich, treu ihrem Stiftungsprognostikon, wie Lämmer eingeschlichen hatten und bald wie Wölfe zu hausen begannen.

Wir geben jezt dem neuesten Geschichtsschreiber Thorns das Wort.

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Die Auslieferung der Marienkirche an die Katoliken hängt zusammen mit dem Tumult von 1724, wohl der bekanntesten Episode aus der Geschichte Thorns. Ueber sie haben sich bei der Neuordnung des Archivs eine Anzahl bisher unbekannter Duellen gefunden, so daß der Versuch, eine neue Darstellung dieser Ereignisse zu geben, gerechtfertigt scheint.

Durch den nordischen Krieg hatte die Stadt außerordentlich gelitten. Das herrliche Rathaus lag in Trümmern, und Brand­stätten am ganzen Nordmarkt erinnerten nach zwanzig Jahren noch an die schwedische Belagerung von 1703. Polen  , Sachsen  , Russen und Schweden   hatten kolossale Kriegssteuern erhoben

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und die verarmte Stadt war schwer überschuldet.... Der Handel lag völlig darnieder.... In der Stadt verblieb eine polnische Garnison, die Krongarde, zur drückenden Belastung der Bürger.... Die Soldaten begingen gröbste Ausschreitungen in Häusern und Gassen, am hellen Tage, noch gefährlicher Abends, prügelten und beraubten oder bestahlen ihre Wirte; die endlosen Ver­handlungen liegen noch vor.... Der regierende Bürgermeister war selbst mit dem sächsisch- polnischen Kurfürsten- Könige, dem evangelisch- katolischen Religionsspötter August dem Starken, be­freundet; gab ihm bei dessen kostspieligen Besuchen Quartier in seinem eigenen Hause; hatte ihm auch bedeutende Summen vor­gestreckt; fand aber mit seinen Klagen faum Gehör bei dem leichtfertigen Wüstling, der vielleicht selbst über seine neuen pol­nischen Untertanen" oder, besser gesagt, gleichberechtigten Ne­publikgenossen lachte, wenn sie ihm in ihrem Umgangslatein erzählten: Vexa Lutherum, dabit thalerum( Quäle den Luthe­raner, so gibt er dir Taler).... Die Offiziere der sächsisch­polnischen Krongarde, meist Deutsche   von Geburt, geberdeten sich, als wenn sie die Herren der Stadt wären und der Rat büßte jezt nach drei Jahrhunderten seine nörgelnde Opposition gegen die Ordensjunker durch stete Demütigung.*)...

Auf Beschwerden des Rats in Warschau   folgten Verwar nungen des junkerhaft- frechen Offizierkorps, aber wir sehen keine Besserung des Verhältnisses.... Ebenso große Schwierigkeiten machten die Jesuiten  ! Priester und Krieger befahlen ja dem Nährstand seit anfang der Geschichte in Egypten und Indien  .... Durch hundert volle Jahre bereits hatten damals die frommen Väter Jesu, von deutschen Adligen selbst mit Häusern und Gütern ausgestattet, sich widerrechtlich der Pfarrkirche und des alten Akademiegebäudes bemächtigt, in welchem das evangelische Gymnasium" Johannisschule" bestand, mutmaßlich des welt­berühmten Astronomen Coppernicus erste geistige Bildungs­stätte. Beiläufig bemerkt, ergab sich der deutsche   Landadel Westpreußens   früh der Polonisirung und blieb daher katolisch. Seine Namen sind oft noch deutsch  , wie Kalkstein, ein besonders fanatischer Zweig; andere haben sich die Uebersezung zugefügt, 3. B. Hutten- Czapski( Czapka, sprich Tschapka, heißt Hut"), oder Jutrzenka von Morgenstern( beides gleichbedeutend) u. s. w. In Thorn   wie in China   und Paraguay   verfolgte der Jesuiten­orden rücksichtslos das eine Ziel: den katolischen Glauben- und damit die eigene Herrschaft auszubreiten. Die Seele ihres Kollegiums war Pater Marczewski. Sie standen außer­halb der Gerichtsbarkeit des Kleinen Freistaats und erlaubten sich, durch die warschauer Appellations aristokratie gedeckt, viel­fache Eingriffe in die Rechte des Rats und wußten denselben immer mehr beim Reichstag in Mißkredit zu sezen. Unterlag Thorn  , so war auch Elbing   verloren und Danzigs   Unterjochung nur noch eine Frage der Zeit.... Wer denkt noch jezt daran, daß Warschau  , Krakau  , Kaschau  , Kremnitz   und Schemnitz   rein­deutsche Bürgerstädte waren?.

Oft sezten die Jesuiten   furchtlos Bürger in ihr Gefängnis; höchstens mußten sie dieselben wieder loslassen, straflos blieb ihr Vorgehen jedenfalls. Einmal verklagten sie ein Ratsmit­glied, weil seine Dienstboten am Fasttag Mehlspeise aßen; den Bürgermeister Rösner, weil er einen Gymnasiallehrer in Schuz nahm, der den Pabst durch Verse in einem Osterspiel beleidigt haben sollte, wovon der Präsident" Rösner einfach nur den Ungrund nachgewiesen hatte.

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Folgendes Protokoll schildert die Sachlage drastisch: 1722 kommen Jesuiten   zum Burggrafen  " Gerhard Thomas und der eine fährt ihn an: Wie kommt der Herr dazu, den Büttner­gesellen einsperren zu lassen? Der Präsident erwidert: Mische sich Eure Würdigkeit doch nicht in das weltliche Regiment, soust

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*) Als in der napoleonischen Zeit Baiern   in Thorn   lagen, erfuhr der nordostdeutsche Landsmann zum drittenmal diesen National fluch, daß die eigenen Volksgenossen die schlimmsten Quälgeister waren! Es kursiren in der Stadt noch manche Anekdoten von baierischer Roheit, " Ahnen" bestätigend illustriren; die Bürger hatten lieber Franzosen die Gustav Freytags viel angefeindete Schilderung im lezten Teil der und Russen im Quartier als Deutsche  .