Der unverdächtigsten, glaubwürdigsten Zeugnisse über das Treiben dieser Schaaren gibt es sehr viele. Danach zogen die Geißler, mit verhülltem Antliz, nur notdürftigst bekleidet, mit entblößten Schultern, oft schwere Kreuze schleppend, in die Kirchen der Städte und Dörfer ein. Nachdem sie einen Bußpsalm abgesungen, in welchem die Gottheit angefleht wurde, „ das große Sterben zu wenden" und die Buße anzunehmen, legten sie ihre Mäntel und Kutten ab, zogen die Schuhe aus und begannen, sich mit ihren dreipfriemigen Geißeln unbarmherzig den Rücken zu zerfleischen, so daß oftmals die Kirchenwände von Blutspuren benezt wurden.
Den Schluß dieser grauenhaften Bußübung bildete wiederum ein Gesang.
Nicht lange, und die Geißlerschaaren überfluteten das ganze Reich, besonders aber Sachsen , Thüringen , Franken und die Rheinlande; selbst über das Meer nach den brittischen Inseln nahmen sie ihren Weg. Daß damit die Verbreitung der Seuche nur gefördert wurde, bedarf wohl kaum der Erwähnung.
Die Geißler bildeten eine unter der Leitung von„ Meistern" stehende Brüderschaft. Wer Aufnahme in dieselbe begehrte- und das waren nicht nur„ Leute aus den niedrigsten Klassen", wie irrtümlich oft behauptet worden, sondern auch Reiche und Vornehme der mußte sich vor allem verpflichten, eine bestimmte Zeit auszuhalten, und feierliche„ Buße und Liebe gegen seine Feinde" geloben. Ehemänner fanden nur mit Zustimmung ihrer Frauen Aufnahme, ebenso Frauen nur mit Zustimmung ihrer Ehemänner.
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Daß diese ganze Erscheinung nicht verfehlte, einen tiefen Eindruck auf die große Volksmasse zu machen und den Gedanken der Nachahmung auch in solchen wachzurufen, die aus irgend welchem Grunde an den Geißlerfahrten nicht teilnehmen konnten, ist wohl selbstverständlich. Es erklärt sich daraus die Tatsache, daß an sehr vielen Orten die Zurückbleibenden sich wenigstens zweimal an besonders dazu bestimmten Stätten geißeln ließen. Dabei wurde dann von einem der Geißler ein Brief verlesen, der zu Jerusalem auf St. Peters Altar von einem Engel niedergelegt worden", und darin stand- wie Thüringer Chroniken berichten daß Gott , erzürnt über die Welt, deren Untergang beschlossen hätte. Aber die Jungfrau Maria und die Engel hätten ihn um Barmherzigkeit gebeten. Man möge deshalb Buße tun. Oft kam es, wie ein altes Zeitbuch meldet, vor, daß die Pfaffen, welche in diesem Hokus pokus eine Beschränkung ihrer göttlichen Autorität" und ihres Privilegiums, Wunder zu ersinnen, erblickten, den Geißlern entgegentraten und fragten:„ Wer hat euch den Brief besiegelt, daß ihr solches glaubet?" Die Geißler pflegten dann zu antworten mit der spizfindigen Gegenfrage:" Wer hat euch die Evangelien besiegelt, daß ihr an sie glauben möget?"
Ueberhaupt ließ der Klerus die Geißler nur so lange in Ruhe, als dieselben sein Ansehen nicht gefährdeten. Es konnte jedoch Es konnte jedoch nicht ausbleiben, daß dieses geschah. Die Volksmassen erwiesen alsbald den Geißlern, besonders den Häuptern ihrer Brüder
schaften, eine an Abgötterei streifende Verehrung. Dadurch übermütig gemacht, griffen diese Häupter ohne viel Bedenken in die Vorrechte des Klerus ein; sie begehrten, wie dieser, Wunder zu tun durch Fürbitten, Handauflegen 2c., und erklärten, von Gott die Machtvollkommenheit zu haben, jedem, der das„ Sa= frament der Geißelbuße" empfangen, Absolution zu erteilen. Solcherweise lehnten sie sich gegen die Autorität des Klerus auf und behandelten denselben mit der äußersten Geringschäzung. Kein Wunder, daß der Klerus energisch das Einschreiten des Pabstes forderte.
Wichtigere und ernstere Rücksichten bewogen die weltliche Macht, gegen die Geißler vorzugehen. Unter der Larve frommer Zerknirschung mischten sich die gefährlichsten Menschen in ihre Reihen und bald wurde Diebstahl, Mord und Raub ungestraft verübt.
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So wurden denn durch eine Bulle des Pabstes Clemens VI. vom 20. Oftober 1349 die Geißlerfahrten für die Christenheit als„ kezerisches Unternehmen" verboten. Die Bulle wurde im Jahre 1372 vom Pabst Gregor XI. erneuert.
Trozdem tauchten die Geißlergesellschaften hier und da noch wieder auf, doch waren sie von nun an manchen Verfolgungen ausgesezt. In gewaltiger Stärke, dreißigtausend Mann an der Bahl, erschienen sie im Jahre 1400, welches Pabst Bonifazius IX. zu einem sogenannten" Jubeljahr" gemacht hatte, in Rom . Dem päbstlichen Jubelunfug Nachlaß der Sünden gegen fromme Spenden sezten sie ihren Unfug entgegen, weshalb eine neue Bannbulle sie traf. Als sie 1414 nochmals in Thüringen erschienen, wurden mehrere ihrer Häupter als Kezer verbrannt.
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Nicht unerwähnt möge bleiben, daß die Geißler sich noch besonders durch Aufhezung der Volksmassen gegen die Juden hervortaten, indem sie diesen die schauerlichsten Verbrechen, so die Vergiftung der Brunnen u. a., andichteten. Mehr als einmal gelang es ihnen, den großen Haufen zu fanatisiren, daß er keine Schranken und kein Maß mehr kannte, und sich erbarnungslos auf seine Schlachtopfer stürzte.
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Seitdem ist ein halbes Jahrtausend vergangen. Längst hat die Geschichte ihr Urteil gesprochen über die geschilderten Erscheinungen und deren innerste Ursachen: das religiöse Vorurteil, den Aberglauben an eine finstere überweltliche Macht, gepflegt und genährt von„ Dienern Gottes". Und heute sehen wir eine ähnliche Erscheinung in Amerika - und wie damals so auch jezt trifft die„ Büßer" der Bannstrahl der geistlichen Gewalt. Was dem Mönch, wenn er in der Einsamkeit der Klostermauern seinen Leib martert, als„ gottgefälliges," zur„ ewigen Seligkeit" führendes Werk angerechnet wird; was einem Antonius von Padua und so manchem anderen asketischen Schwärmer dazu verholfen hat, heilig" gesprochen zu werden, das belegt die geistliche Gewalt mit dem Banne, wenn mehrere Menschen aus dem Laienstande es nachahmen. Eine bedenkliche Logik, die da sagt: Wenn zwei im religiösen Wahnsinn dasselbe tun, so ist es doch nicht dasselbe.
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Im Frühling und Sommer, wenn die alte und doch ewig junge Mutter Natur ihr schimmerndes Prachtgewand angelegt hat, welch eine Fülle von Blütenglanz und Blütendust in Wald und Feld! So reich, daß die Dichter nimmer müde werden, die alljährlich sich verjüngende Herrlichkeit zu besingen. Welch ein Reichtum und Schmelz der Farben, welche süßen und berauschenden Düfte! Wie arm erscheint das Werk von Menschenhand gegenüber den ungezählten Massen von freundlichen Gaben, welche die Naturproduktion aus ihrem unerschöpflichen Füllhorn über uns ausschüttet!
Du liegst im Wald oder auf der Wiese, weit von dem ge= schäftigen Treiben der Menschen unter einem Baum, um dich in der Einsamkeit zu erfrischen. Aber je länger und aufmerksamer du lauschest, desto mehr schwindet die scheinbare Stille und Einsamkeit. Ein leises Rauschen, Knistern und Summen wird dir bemerkbar, jenes geheimnisvolle Waldeswehen, in welchem unsere frommen Ahnen den Odem ihrer Waldgötter erkennen wollten. Wir sehen unzählige kleine Wesen sich regen. Die Mücken summen; die Käfer lassen ihre blanken Flügeldecken im Sonnenstrahl funkeln, Schmetterlinge gaufeln hin und her,