Da plözlich öffnete sich die Tür. Es hatte zuerst jemand zweimal gepocht, doch sie hatte es überhört und nun trat völlig unerwartet jener alte Herr ein, den wir als den alten Major oder Oberbergrat bezeichnen hörten.
„ Sie hofften, liebes Kind!" sagte er mildesten Tones, nach freundlichster Begrüßung. Sie hofften und das sagen Sie unter Tränen?"
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Ueber Almas Antliz verbreitete sich brennende Röte.„ Lieber, bester Herr Major- Sie- Ihnen darf ich sagen, was mich quält-, Sie werden mich nicht schelten und nicht verlachen,- da lesen Sie hier
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Sie reichte ihm das Blatt, aus dem sie eben gelesen. Er überflog den Abschnitt, welchen ihr Finger bezeichnete, rasch und lächelte leicht. Daun sagte er:
,, Kennen Sie den Verfasser dieses Aufsazes, mein Kind?" Es ist mein Bruder."
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Ah
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und das beunruhigt Sie, liebe Kleine? Sie sind auf Widerspruch gestoßen,--Sie fühlen sich doch nicht etwa in ihrem Glauben erschüttert, wie?"
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Erschüttert, o," und wieder traten ihr die hellen Tränen in die Augen,„ mein einstiger Glaube ist zerschellt ich glaube, daß er recht hat--," sie stockte und wurde wieder brennend rot.
„ Er?" sprach wehmütig lächelnd der alte Herr.„ Er-?" Und als er die heiße Röte in ihrem Gesichte mit jäher Blässe wechseln sah, legte er seine Hand auf ihre Schulter und sagte: „ Beruhigen Sie Sich, liebes gutes Kind. Heftige Gemütsbewegungen haben Sie erfaßt,- vielleicht war es doch nicht wohlgetan, daß wir Sie jener unfruchtbaren Diskussion beiwohnen ließen-."
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ist das die
" Onein, nein. Es ist gut, daß ich dabei war. Ich ahnte längst, was ich nun weiß, daß da, wo ich sie dereinst gefunden zu haben glaubte, die Wahrheit nicht ist, sagen Sie mir eins, lieber verehrter Herr Major, volle, ehrliche Wahrheit, was," sie stockte und das Blut stieg ihr wieder heiß und heftig ins Gesicht, was jener Herr, Herr von Köstlin, sprach oder ist es auch ein Spiel mit Worten, hinter dem sich Trugschlüsse verbergen?"
Der alte Herr schaute ihr mit liebevollem Ernste ins Autliz. Die Wahrheit, Kind, ist selbst nicht das, wofür sie die Menschheit in kindlicher Torheit bisher gehalten und die, welche sie zu lehren unternahmen, ausgegeben haben, die Wahrheit ist nichts Bestimmtes, unabänderlich Feststehendes und außer uns Existirendes, so daß es sich nur um ein glückliches Finden han delte, um ein Festhalten, um sie zu besizen und nicht mehr zu verlieren, die Wahrheit wächst mit unserer Fähigkeit, die Dinge um uns und in uns zu erkennen. Die Fähigkeit zu stärken und sie frei und furchtlos walten zu lassen, ist daher die Aufgabe des nach Wahrheit, d. h. nach fortschreitender Erkenntnis des Wirklichen, dessen, was da ist, strebenden Menschen,-"
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" Dann also," sagte Alma, die ihre Tränen allmälich trocknend mit gespanntester Aufmerksamkeit zugehört hatte,„ täuschte daß er andere zu täuschen die fich Herr von Köstlin auch, Absicht- nein, das kann ich nicht glauben, und lieber Herr Major - das darf ich auch nicht von ihm glauben, nicht wahr, denn ich habe noch kein Recht, von ihm, den ich so wenig kenne, Schlimmes anzunehmen, er täuscht nur sich, wenn er glaubt, das, was er meint, sei die Wahrheit?"
" Doch nicht so ganz, mein Kind. Was Köstlin neulich entwickelte oder, besser, andeutete, ist die Wahrheit von heute- d. H. die Quintessenz der wissenschaftlichen Erkenntnis unserer Tage, die in ihrem, den Glauben überwundener Epochen verneinenden Teile bestehen bleiben, in allen positiven Bestandteilen von der tieferen Erkenntnis späterer Zeiten aber sicher lich überholt werden wird
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" Ah, also wirklich," Almas Augen leuchteten hell auf und ihr jungfräulicher Busen wallte hoch empor," soweit wir armen Menschenkinder von der Wahrheit unseres Wissens überhaupt reden dürfen, soweit vertrat er sie, o, das habe ich
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gefühlt, und nicht wahr! er stritt redlich und mit der edlen Absicht, anderen Erleuchtung zu bringen, für jene Wahrheit, sowie er es mußte und konnte, ohne Hinterhalt und Nebenabsichten, nicht wahr-o sagen Sie es mir, lieber Herr Major!"
Der alte Herr sah dem Mädchen freundlich lächelnd in die guten, jezt freundlich leuchtenden Augen.
" Ja, Kind, das tat er. Er ist ein Kluger, edler Mensch. Er wäre wert, von einem edlen Mädchen, wie Sie, meine Alma, geliebt zu werden
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Er hatte diese lezten Worte langsam und mit ernster Wärme gesprochen.
Wieder überzog eine jähe Röte ihre Wangen. Sie preßte beide Hände auf ihr klopfendes Herz und kehrte sich rasch ab. " D. sprechen Sie nicht so, wenn ich Sie recht darum bitten darf."
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" Wie Sie wollen, mein Kind," antwortete der alte Herr. Kommen wir auf den eigentlichen Zweck meines heutigen Besuchs. Sehen Sie hier," er zog aus der Seitentasche seines Ueberrocks ein Päckchen, öffnete dasselbe und legte es vor Alma auf den Tisch, kennen Sie sich wieder?"
,, bester, liebster Herr Major, wie gut, wie freundlich sind Sie doch zu mir und wir herrlich können Sie malen. Dieses Bild stellt mich nur zu schön, viel zu schön dar; o, wie haben troz der sprechenden AehnSie es nur so machen können, lichkeit erscheine ich da gar nicht als das unbedeutende, unwissende törichte Mädchen, das ich bin."
Der Major legte seine Hand auf ihr Haupt. " Ich habe Sie so dargestellt, wie Sie mir erscheinen. Meine Arbeit war auch nicht schwer. Die Photographie, nach der ich meiner Liebhaberei entsprechend malte, ist vorzüglich. Doch Sie dürfen das Bildchen noch nicht behalten, es fehlen noch ein paar Striche daran und dann will ich mir auch noch eine Kopie davon nehmen; zum Angedenken für mich selbst."
Er schlug das Bild wieder in das Papier. Bald darauf entfernte er sich wieder, nachdem er sich überzeugt hatte, daß er sie ein wenig beruhigt zurückließ.
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Ungefähr einen Monat später finden wir Frau Burger allein in ihrem Boudoir. Sie lag in reizendem Negligee nachlässig hingegossen in einem Sammetfauteuil und zerriß einen Brief, den sie eben gelesen, in fleine Stückchen.
Wie jämmerlich schwach sind diese Männer!" rief sie in verächtlichem Tone." Wie lange droht er mir schon und immer wieder droht er. Ob er überhaupt etwas tun wird? Pah, mir gilts gleich. Vielleicht ist dieser neueste Roman dann um einige Kapitel kürzer und hat dann den Vorzug, daß er nicht so langweilig wird, wie der, dessen Held jezt mein Tyrann sein möchte."
Sie erhob sich und schritt zum Fenster, das sie öffnete, um die winzigen Papierschuizel einzeln hinauszuwerfen. Nachdenklich schaute sie den im Winde herüber und hinüber flatternden Blättchen nach.
„ Eines nach dem anderen kommt mir aus dem Auge für immer. So schwand ein Glückstraum nach dem andern. Wie fieberte ich in Seligkeit, als mir dereinst jener stolze Teologe in glühendster Leidenschaft zu Füßen sank, und wie wogte und wallte in mir überschäumende Lust, als er, sein siegreicher Rivale, mir den ersten Kuß auf die Lippen drückte. Heut sind faum vier Wochen vorüber, seit das geschah, und ich kann ruhig daran denken, daß gestern vielleicht zum leztenmal der glühende Hauch seines Mundes meine Wange berührte. Sei es zum leztenmal- es ist mir hundertmal lieber, als daß ich ihn tun lasse, wie er will, die süße Poesie heimlicher unerlaubter Liebe in die fatale Prosa einer Ehescheidung mit nachfolgender zweiter Verheiratung zu verwandeln. Ich würde das verschmähen, auch wenn ich anders könnte. Aber ich kann nicht einmal. Denn dann träte jener sicher vor ihn hin und verriete ihm sein Geheimnis, und da wäre es doch zu Ende. Vielleicht wäre es am einfachsten, wenn ich selbst dieser neuesten Episode meiner romantischen Spielereien ein Ziel sezte, wenn ich ihm schrieb,