daß die nüchterne Ueberlegung bei mir die Oberhand gewonnen und mich zu dem Entschlusse geführt hätte, ihm seine volle Freiheit wiederzugeven."
Sie trat vom Fenster zurück und ging rasch an ihren mit zierlichen Holzschnizereien ausgestatteten Schreibtisch.
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" Ja, so ist es recht," sagte sie, als sie die Feder in die Hand nahm." Dann bleibt diese Liaison das, was dergleichen am pikantesten macht und schließlich allein den hohen Reiz gewährt ein poetisches Abenteuer, dessen Erinnerung man in die tiefsten Tiefen seines Herzens verschließt und in den Stunden der Langeweile und des Weltüberdrusses auffrischt, um sich daran zu erwärmen und zur Duldung der Misere des gewöhn lichen Lebens zu stärken."
Sie tauchte die Feder in das silberne Dintenfäßchen und schrieb.
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Am andern Morgen überbrachte der Postbote Heinrich von Köstlin zwei Briefe. Die Adresse beider zeigte keine Hand schrift, die ihm sogleich bekannt vorgekommen wäre. Er öffnete daher den ersten besten und las:
„ Der Schreiber dieser Zeilen kennt ihr Verhältnis zu Frau Burger. Er meint sich Ihren Dank zu verdienen, wenn er Ihnen beweist, daß Sie nicht der Einzige sind, mit dem diese Frau ihrem Gatten die Treue gebrochen hat. Das beiliegende Schreiben, eines aus vielen, wird diesen Beweis leisten. Daß er Ihnen hiermit erbracht wird, ist in dem Augenblicke, in welchem Sie diese Worte lesen, der Dame bereits bekannt."
Heinrich von Köstlin war leichenblaß geworden und seine Hand zitterte heftig, als er das zweite Blatt aus dem Kouvert nahm, das diesen Brief enthalten sollte. Ein Blick auf dieses Blatt genügte, er kannte die Handschrift, er sah das Datum und schon die Ueberschrift verriet den von fesselloser Sinnlichkeit diftirten Liebesbrief. Das Blatt entfiel seiner Hand; als er sich bückte es aufzuheben, fielen seine Blicke auf den zweiten Brief, jezt kam ihm die Handschrift doch bekannt vor:
"
Von ihr von ihr," rief er, ah, in wie großen, festen, starren Zügen sie diese Adresse geschrieben hat, auch ihre Handschrift hat ein doppeltes Gesicht und bestätigt, was ich fürchtete seit dem Moment, da sie meine Bitte um die Erlaubnis, ihrem Gatten ehrlich zu bekennen, daß wir uns liebten, mit leicht sinnigem Scherze zurückwies. Wenn sie nun aber wüßte, was ich jezt erfahren, was in aller Welt könnte sie mir da noch zu schreiben haben?"
Ihr Brief war kurz und klar.
Teuerer Freund.
Du wolltest, ich sollte auf immer die deine werden. Ich bin die ehrliche Antwort noch schuldig auf die Frage, weshalb ich in diesem Wunsche troz meiner heißen Liebe zu dir nicht übereinstimme. Hier hast du sie: Wäre ich fähig, unentwegbar treu zu lieben, wie du es von deinem Weibe ebenso sicher verlangen wirst, wie jeder andere Mann, so wäre ich nie die deine geworden. Der Fehler, dessen ich mich dir gegenüber schuldig machte, war, daß ich dich für einen Philosophen hielt auch im Genusse des Lebens und der Liebe. Man sagt, meine ich, mit Recht: die Ehe ist der Tod der Liebe, ich will meine Liebe zu dir lebendig im Herzen behalten, darum lebe wohl und werde ohne mich, was du mit mir nicht werden kannst glücklich!"
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Nicht eine Silbe rang sich über Köstlins fest aufeinander gepreßte Lippen. Er nahm die drei Schreiben zusammen und schloß sie in ein geheimes Fach seines Schreibpultes.
Dann ging er länger als eine Stunde lautlos in seinem Zimmer auf und ab. Den ganzen Tag über arbeitete er nicht und aß er nicht. Spät Abends ging er aus und irrte plan und ziellos in dem Walde umher, der dicht am Stadttor fünf Minuten von seiner Wohnung begann.
Den folgenden Tag teilte er seinen Schwestern mit, daß er zu verreisen gedenke und zwar wieder hinausgehen wolle in die weite Welt.
Die Schwestern waren heftig erschrocken. Sie sahen ihm an, daß mit ihm etwas ungewöhnliches, etwas seine starke Mannesseele schwer Erschütterndes vorgegangen sein müsse.
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659
Doch noch ehe ihr Bruder abgereist war, kam ihnen ein unerwarteter Beistand. Der auch von ihnen außerordentlich hochgeschäzte alte Herr, der einstige Ingenieurmajor und spätere Oberbergrat Weißen besuchte den Steuerinspektor und erkundigte sich nach dessen Schwager.
Da hatte Heinrichs Schwester die beste Gelegenheit, ihr besorgtes Herz auszuschütten.
Der Major hörte sich alles ernst und still mit an und sagte dann:
" Ich glaube, Sie haben recht, wenn Sie als die Ursache der plözlichen Veränderung in dem Wesen ihres Bruders eine heftige Gemütsbewegung voraussezen. Welcher Art diese Gemütsbewegung war, danach zu forschen, erlauben Sie mir Ihnen zu widerraten. Ein starker, geistesgesunder Mann wie Ihr Bruder wird mit allem Seelenleid am besten allein fertig und muß möglichst ungestört und unberührt in der Zeit solcher Not bleiben. Möglichst unberührt, vielleicht aber nicht ganz. Ich will Ihren Bruder besuchen und ihm einen Vorschlag machen; daß ich nicht indiskret sein werde, glauben Sie mir wohl ohne Versicherung."
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Das beruhigte die besorgten Schwestern ein wenig. Doch auf das äußerste überrascht und erfreut waren sie, als Ihnen am folgenden Tage ihr Bruder selbst die Nachricht brachte, er werde mit dem Oberbergrat Weißen gemeinschaftlich seine Reise antreten. Der Oberbergrat habe ihm das in so ungemein liebenswürdiger Art angetragen und imponire ihm durch sein Wissen und die milde, herzengewinnende Menschenfreundlichkeit seines Wesens so sehr, daß er nicht habe nein sagen können, obgleich er wisse, daß er selbst ein sehr schlechter Gesellschafter sein werde.
Noch am selben Tage reiste der alte Herr in Gemeinschaft mit Heinrich von Köstlin ab.
Anfangs war es zweifelhaft gewesen, wo sie das nächste Ziel ihrer Fahrt suchen sollten. Köstlin erklärte sich mit allem einverstanden, wenn es nur nicht mitten hinein in das Treiben der Welt ginge. Einsamkeit und Ruhe möchte er suchen, je ferner von der großen Welt, je menschenleerer der Drt ihres Aufenthaltes während der nächsten Zeit wäre, desto lieber würde es ihm sein.
So schlug denn schließlich der in allen Enden und Winkeln Europas außerordentlich gut bekannte Major ein weltverlassenes Tal in Voralberg vor.
Hier trafen sie schon am dritten Tage ihrer Reise ein, und der Major hub sogleich an, sich häuslich und behaglich einzurichten.
Er mietete ein in prächtiger Waldeinsamkeit gelegenes Häuschen und ließ es schmuck und einfach, aber so recht gemütlich ansprechend und bequem möblireu. Für jeden von ihnen war nur ein Zimmer nebst einem Schlafkabinet vorhanden, das aber genügte ihren Ansprüchen vollauf.
Heinrich von Köstlin tat zur weiteren Herrichtung und Ausschmückung seiner kleinen Wohnung gar nichts. Teilnamlos schaute er auf alles und ohne Behagen und Mißbehagen zu zeigen, ging er an allem vorüber.
Der Major dagegen hatte eine kleine, vorzüglich ausgewählte Bibliotek mitgenommen, die er auf zwei einfachen dunkeln Bücherbrettern an den Seitenwänden seines Wohnzimmers aufstellte. An der Hauptwand poſtirte er einen Schreibtisch, für den er allerlei einfache, aber in ihrer Gediegenheit kostbare Gebrauchsgegenstände mitgebracht hatte: eine Schreibmappe in dunklem, feingepreßten Leder, ein mattvergoldetes Bronzeschreibzeug, ein Rauchnecessär von derselben Art und in demselben Stile u. dgl. mehr. Ueber den Schreibtisch, gewissermaßen an den Ehrenplaz im Zimmer, hängte er ein Bild, ein lebensgroßes Delgemälde in dunklem schlichten Rahmen, das ein Mädchen darstellte.
In den ersten Tagen ihres gemeinsamen Waldaufenthalts kam Heinrich von Köstlin nur einmal zu einem furzen Aufenthalt in die Zimmer des Majors und schenkte der Ausstattung derselben keine Aufmerksamkeit.