Von den alten Sprachen müssen die Gymnasiasten künftighin genau ebensoviel lernen, als bisher, wenn auch auf das Lateinische statt rund 3300 Unterrichtsstunden nur etwas über 3000 verwendet werden und auf das Griechische statt 1800 nur 1600 Stunden.
Der französischen Sprache werden etwa 160 Stunden mehr gewidmet, also noch nicht 900 Stunden, noch lange nicht den dritten Teil soviel als dem Lateinischen und nicht viel mehr als halb soviel wie dem Griechischen.
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Der Geschichte und Erdkunde sind 120 Stunden zugelegt, und zwar in den unterſten Klassen, in denen zehn- bis zwölfjährige Jungen ſizen, denen man neuere Kulturgeschichte in besonders erleuchteter und erleuchtender Art sicher nicht vortragen wird. Die Naturwissenschaften sind noch schlechter weggekommen. Die Naturbeschreibung eine Wissenschaft, die sich dadurch auszeichnet, daß sie sich selbst mit dem verstöckertsten Christentum nicht in Konflikt sezt, weil sie nach den Gründen des Seins und Werdens nicht forscht, hat gegen 100 Stunden zugelegt bekommen, die Physik der zweithöchsten Klasse ebensoviel, was ihr jedoch garnichts nüzt, da in noch nicht 180 Stun den, die auf sie in der Sekunda nunmehr verwendet werden, fünftighin auch die Elemente der Chemie gelehrt werden sollen, ein Kunststück, das in wirklich ersprießlicher Weise auszuführen ebenso unmöglich ist, als es bisher unmöglich war, den Sefundanern in noch nicht 90 Stunden Physikunterricht von dieser Wissenschaft ersprießiche Kenntnisse beizubringen.
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Die deutsche Sprache, dieses Aschenbrödel unseres höheren Jugendunterrichts, ist mit etwa 40 Stunden Zulage beglückt worden und steht damit in ganz ebenso untergeordneter Sellung dem Lateinischen und Griechischen gegenüber, als das Französische. Dabei ist garnicht davon die Nede, daß in Zukunft der deutschen Literatur höhere Beachtung geschenkt werde.
Die englische Sprache endlich wird nach wie vor garnicht auf unsern Gymnasien traktirt. Daß wir mit ihrer Hilfe wenigstens hundertmal soviel an moderner Bildung direkt von den Duellen gewinnen könnten, als durch die alten Sprachen, darauf ist nicht die geringste Rücksicht genommen worden.
Somit ist kein Zweifel mehr möglich, daß diese Reform feinen Fortschritt im Geiste moderner Bildung in sich trägt. Und damit zugleich nach dieser Richtung hin auch nicht der geringste Verdacht aufsteigen kann, hat der preußische Kultusminister v. Goßler ausdrücklich verfügt, daß alles von dem Schulunterricht der Gymuasien wie aller andern Jugendlehranstalten auszuschließen sei, was unter dem„ sogenannten Darwinismus" verstanden werde.
Auf diese Weise sind der modernen Naturforschung überhaupt die Pforten der Schule wieder einmal für längere Zeit vor der Nase zugeschlagen. Es hat nichts geholfen, daß Herr Häckel das, was er von seiner Naturwissenschaft im Notfall noch abhandeln zu lassen bereit war, als eigentlichen Darwinismus von dem Kerne des Monismus und der Deszendenzteorie losgeschält hat.
Auf Virchows münchener Rede antwortete er nämlich in einer Broschüre:„ Freie Wissenschaft und freie Lehre" und sagte in der Vorrede u. a. folgendes:
Da Virchow, gleich vielen andern Gegnern der Entwicklungslehre, beständig diese leztere mit der Abstammungslehre und diese wieder mit dem Darwinismus verwechselt, so ist es nicht überflüssig, hier mit ein paar Worten an den verschiedenen Umfang und die Unterordnung der drei großen Teorien zu erinnern:
I. Die allgemeine Entwicklungslehre, die Progenesisteorie oder Evolutionsteorie( im weitesten Sinne) als umfassende philosophische Weltanschauung, nimmt an, daß in der ganzen Natur ein großer einheitlicher, ununterbrochener und ewiger Entwick lungsvorgang stattfindet, und daß alle Naturerscheinungen ohne Ausnahme, von der Bewegung der Himmelskörper und dem Falle des rollenden Steins bis zum Wachsen der Pflanze und zum Bewußtsein des Menschen, nach einem und demselben großen Kausalgeseze erfolge, daß alle schließlich auf Mechanik
der Atome zurückzuführen sind: mechanische oder mechanistische, einheitliche oder monistische Weltanschauung, mit einem Worte: Monismus.
II. Die Abstammungslehre oder Deszendenzteorie, als umfassende Lehre von der natürlichen Entstehung der Organismen, nimmt an, daß alle zusammengesezten Organismen von einfachen, alle vielzelligen Tiere und Pflanzen von einzelligen, wie diese lezteren von ganz einfachen Urorganismen, von Moneren abstammen. Da wir die organischen Spezies, die mannichfaltigen Arten der Tiere und Pflanzen unter unsern Augen sich durch Anpassung verändern sehen, da die Aehnlichkeit im innern Bau derselben nur durch Vererbung von gemeinsamen Stammformen vernunftgemäß erklärbar ist, so müssen wir wenigstens für die größeren Hauptgruppen des Tierreichs und Pflanzenreichs, für die Klassen, Ordnungen u. s. w. gemeinsame Stammformen annehmen. Die Zahl derselben wird also fest beschränkt sein und die ältesten archigonen Stammformen können immer nur Moneren sein. Ob wir schließlich eine einzige gemeinsame Stammform annehmen( monophyletische Hypotese), ist gleichgiltig für das Wesen der Deszendenzteorie. Ebenso ist es gleichgiltig für den Hauptgedanken derselben, welche mechanischen Ursachen für die Umbildung der Arten angenommen werden. Die Annahme dieser Umbildung der Spezies selbst ist aber unentbehrlich, und daher wird die Deszendenzteorie auch mit Recht als Umbildungslehre oder„ Transformismus" bezeichnet ( auch wohl nach Jean Lamarck , der zuerst 1809 sie begründete, als„ Lamarckismus").
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III. Die Züchtungslehre oder Selektionsteorie, als die besondere Lehre von der Zuchtwahl oder Selektion", nimmt an, daß fast alle oder doch die meisten organischen Arten durch den Prozeß der Auslese oder Selektion entstanden sind: die künstlichen Arten im domestizirten Zustande( die Rassen der Haustiere und Kulturpflanzen) durch künstliche Zuchtwahl"- die natürlichen Arten oder Tiere und Pflanzen, im wilden Zustande, durch natürliche Zuchtwahl"; bei den ersteren züchtete der Wille des Menschen planmäßig, bei den lezteren der " Kampf ums Dasein" planlos. In beiden Fällen geschieht die Umbildung der organischen Formen durch Wechselwirkung der Vererbungs- und Anpassungsgeseze; in beiden Fällen beruht sie auf der„ Auslese oder Selektion" einer bevorzugten Minderzahl. Dieses Züchtungsprinzip ist zuerst von Charles Darwin in seiner ganzen Bedeutung flar erkannt und gewürdigt worden. Die darauf gegründete Selektionsteorie ist der eigentliche„ Darwinismus".
Das Verhältnis dieser drei großen, häufig verwechselten Teorien zu einander ist also nach dem heutigen Standpunkt der Wissenschaft einfach folgendermaßen festzustellen: 1) der Monismus, die universale Entwicklungsteorie oder die monistische Progenesisteorie ist die einzige wissenschaftliche Teorie, welche das Weltganze vernunftgemäß erklärt und das Kausalitätsbedürfnis unserer menschlichen Vernunft befriedigt, indem sie alle Naturerscheinungen als Teile eines einheitlichen großen Entwicklungs prozesses in mechanischen Kausalzusammenhang bringt: 2) der Transformismus oder die Deszendenzteorie ist ein wesentlicher und unentbehrlicher Bestandteil der monistischen Entwicklungsteorie, weil sie die einzige wissenschaftliche Teorie ist, welche die Entstehung der organischen Spezies vernunftgemäß, nämlich durch Umbildung erklärt und auf mechanische Ursachen zurückführt; 3) die Selektionsteorie oder der Darwinismus ist bis jezt die wichtigste unter den verschiedenen Teorien, welche die Umbildung der Arten durch mechanische Ursachen zu erklären versuchen; sie ist aber keineswegs die einzige. Wenn wir auch annehmen, daß die meisten Arten durch natürliche Züchtung entstanden sind, so wissen wir jezt doch andrerseits, daß viele als Spezies unterschiedene Formen Bastarde von zwei verschie denen Arten sind und als solche sich fortpflanzen können; und daneben ist es sehr wohl denkbar, daß noch andere Ursachen bei der Speziesbildung wirksam sind, von denen wir jezt noch gar keine Vorstellung haben. Moriz Wagner z. B. will Darwins Selektionsteorie durch seine Migrationsteorie verdrängen,