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,, Doch, Herr Müller, wir haben in Solenbad dasselbe und ich bin nicht zum erstenmal in der Gegend."

,, Solenbad ist sein Geburtsort," bemerkte Valentin ,,, wir sind alte Kameraden von früher her, sind bei einem Meister in der Lehre gestanden. Da habens uns den Arnold eines schönen Tags aus der Werkstatt g'holt, weil sich sein Herr Vater plözlich erinnern tät, daß er einen Sohn hat. Wir haben uns dann lang' nicht g'sehn, er hat studirt, ist Doktor worden, aber im Grunde ist er doch der Alte geblieben." Er gab ihm einen fräftigen Schlag auf die Schulter, damit seine Behauptung gleichsam unterstützend. Arnold lachte über den lustigen Schwäzer, der Müller aber, der nicht wußte, in wie weit er dem Schalk Glauben schenken durfte, hatte nur ein pfiffiges Lächeln. Nun wurde das Bier gebracht, und jeder von ihnen, und auch der Müller, griff mit sichtlichem Behagen nach dem Glase, in dem das erfrischende Getränk moussirte und überschäumte. Die Neu­gierde des Müllers war indes nicht wenig erregt worden, er hätte über den schmucken Doktor gerne noch mehr erfahren, aber die jungen Männer hielten ihm nicht Stand, sie zahlten und ent­fernten sich rasch.

Bald waren sie um den vorspringenden Felsen herumge­kommen und der See lag nun in seiner ganzen beträchtlichen Ausdehnung vor ihnen.

Es war ein Bild großartiger Bergnatur, das in seiner ernsten, düstern Schönheit einen unbeschreiblich tiefen Eindruck hervorbrachte. Der dunkle, tiefgrüne Bergsee war ringsum ein geschlossen von hohen, senkrecht ansteigenden Felswänden. In grotesken Formen, gezackt und zerklüftet, strebten sie himmelan, und ihre Spizen und Kämme, in bläulichen Duft gehüllt, hoben sich zart und doch in bestimmter Kontur von dem noch blaueren, leuchtenden Firmament.

Die Sonne neigte sich hinter den Salzberg. Die Hälfte des See's lag bereits in seinem Schatten, um so heller er schienen die Berge des gegenüberliegenden Ufers, die, von Vege­tation entblößt, granes, vielfach abgetöntes Gestein zeigten, und um so schimmernder, smaragdfarbig licht erschien die sonnen­beschienene Wasserfläche.

Magische Lichteffekte rieselten mit den Wellen darüber hin, sprühten auf und versanken, um glizernd aufs neue aufzu­tauchen.

Arnold blieb stehen. Er war überrascht und gefesselt von der Romantik dieses Ortes und seiner seltsam düstern Dede.

Hier schien alles zu fehlen, was menschliches Behagen schafft; hier war kein Boden, um ihn zu bebauen, kein ebener Fleck Erde , um seine Hütte darauf zu stellen, und doch war auch diese Dede bevölkert und war es schon vor zweitausend Jahren gewesen, wo die aus Gallien zurückflutenden Kelten hier eine Niederlassung gegründet, und, die ersten, den Bergbau be gonnen hatten.

Die Straße, die längs der Felswände hinführte, lag wohl 40 Fuß hoch über dem Spiegel des Secs. Durch Dynamit war sie den steilabfallenden Wänden des Salzberges abgerungen worden. Sie führte bis zu den ersten Häusern des Marktes Amsee, und bis dahin war es möglich, einen Wagen zu be­nuzen. Der Ort selbst baute sich vom See terrassenartig auf­wärts. Gleich Vogelnestern klebten die dunkeln hölzernen Hütten an den Abhängen und der Zugang zu ihnen war nur durch zahlreiche, ganz regellose, und in die Felsen gehauene Treppen ermöglicht. Dergestalt war eine Kommunikation mit Amsee nur zu Wasser durchführbar, und nur vom See aus konnte man den Ort in seiner eigentümlichen Anlage übersehen.

Man bemerkte über ihm kräftig sprießenden Wald, der am Salzberg bis zu jener ansehnlichen Höhe sich fortpflanzte, wo die Stollen in das Innere des Salzbergwerks führen und die Arbeitshäuser stehen, die die Woche über den Bergarbeitern zur Unterkunft dienen.

Am Südende des Sees zwischen dem Salzberg und dem 7000 Fuß hohen Plattenberge öffnete sich ein Talspalt, den ein wildschäumendes Gebirgswasser, der Waldbach genannt, durchströmt, um sich in den See zu ergießen.

Eine zweite Ortschaft, die Lahn , lehnt sich an die steilen Felswände des Plattenberges.

Hier befinden sich Thon- Schieferlager, und den Sommer über ist hier ein Tagbau eingerichtet.

Das Recht zu schürfen war vor einigen hundert Jahren einigen Kolonisten mit manchen andern Rechten verliehen worden; damals fühlte man sich veranlaßt, den Arbeitern, die man dauernd in diese Bergwildnis bannen wollte, allerlei Konzessionen zu machen und ihnen sichere Garantien für ihre Existenz zu bieten. In unserer Zeit ist man anderer Meinung. Vor kurzem hatte das Forst- Aerar diese Servitute um ein billiges abgelöst und hatte auf eigene Rechnung den Bau begonnen, immer mit einer äußerst beschränkten Zahl von Arbeitern, da man dem ebenfalls ärarischen Salzbergwerk keine Konkurrenz machen und die Nachfrage nach Arbeitern an Ort und Stelle nicht erhöhen wollte.

Im Vorwärtsschreiten hatte Arnold seinen Gefährten über die topographischen und ökonomischen Verhältnisse von Amsee ausgefragt und aus seinen oft unterbrochenen, häufig abschweifen­den Darstellungen sich den Sachverhalt ungefähr richtig zu­sammengestellt.

, Alle Kultur, Industrie und Verkehr beschränken sich also auf dieses eine Ufer des Sees, wo der Salz- und Plattenberg sich erheben?" fragte er weiter, und das gegenüber liegende ist unbewohnt und wüste geblieben?"

..Freilich," erwiderte Valentin ,,, da drüben ist nichts zu holen; Boden ist auch keiner zum Anbau, und die Felswände sind noch schroffer, und die Tannen, die drauf wachsen, wagt feiner zu fällen."

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, Aber diese kleine Landzunge ist üppig bewachsen; es ist wohl angeschwemmtes Terrain, und auf den Felsen drüber er­hebt sich kräftiger Baumwuchs, einige herrliche Gruppen. Einer, dem es so recht um Ruhe und Einsamkeit zu tun wäre, der könnte immerhin auf die Idee kommen, auf dem jenseitigen Ufer sich niederzulassen."

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Nun, einer hat auch diese Idee gehabt," bemerkte Valentin schmunzelnd ,,, und dieser Eine ist just dein Bekannter, Herr Barr, und er hat zugleich den Mut gehabt, sie auszuführen."

Arnold blieb überrascht stehen, und mit der Hand über den See weisend, fragte er: ,, Drüben wohnt Herr Barr?"

,, Ja, und da du ihn besuchen willst, so kannst du dich von der Lahn aus überfahren lassen. Aber vorher kommst du noch zu uns, du willst ja meinen Bruder, den Georg kennen lernen; heut ist Freitag, da kommen die Salzarbeiter frühzeitig vom Berg herunter; vielleicht ist er schon zu Haus, der rudert dich dann hinüber, der weiß drüben Bescheid."

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,, Aber ich kann Barrs Wohnsiz nicht erblicken."

, Weil er hinter den Bäumen versteckt ist, aber wir sind gleich bei der Kirche, und trittst du da auf die Felsenterrasse heraus, so hast du die englische Villa gerade vor dir liegen." ,, Die englische Villa?"

,, Wir nennen sie hier so, weil Herr Barr mit seiner Tochter von England gekommen ist."

Arnold nickte. ,, Er hat eine Tochter, ich erinnere mich, ein Kleines blondes Mädchen."

,, Das nun schon ganz erwachsen aussicht."

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Der junge Arbeiter warf den Kopf zurück und schnalzte mit der Zunge. Ein wunderbares Mädel! Weiß Gott , sie kommt mir oft vor wie eine Blume, die man aus einer andern Welt zu uns verpflanzt hat. Sie ist seltsam in allem, in ihrer Schönheit und in ihrer Sprach', in allem, was sie tut, ja ich möcht' sagen,' s ist schon was besonders in der Art, wie sie Einen ansieht."

Arnold antwortete nicht. Er schien in Gedanken versunken, die nach einer andern Richtung gingen.

Jezt hatten sie die Kirche erreicht. Sie betraten den Orts­friedhof, und zwischen den Gräbern hindurch schreitend, kamen sie zu der Felsenterrasse, deren gemauerte Steinballustrade weit in den See hinausragte. Die beiden jungen Männer lehnten sich gegen dieselbe, und mit der Hand in derselben Richtung deutend, riefen sie gleichzeitig wie aus einem Munde: