jenige von ihnen, der vom Glück zuerst begünstigt werde, ver­pflichtet sei, die andern an seinem Glück teilnehmen zu lassen. Als nun Omar der in seine Heimat zurückgekehrt war, wo er, um seine astronomischen Studien fortsezen zu können, neben­bei das Gewerbe seines Vaters treiben mußte- von der glänzenden Laufbahn seines Jugendfreundes Abdul Kassim hörte, machte er sich auf den Weg nach Bagdad  , um diesen an das Gelübde zu erinnern. Der Nisam- el- mulk nahm ihn herzlich auf und fragte nach seinen Wünschen. Diese beschränkten sich darauf, durch ein mäßiges Jahresgeld der gemeinen Sorge ent­hoben zu werden, um ruhig seinen Studien leben zu können. Dies wurde ihm gewährt; ein ihm angebotenes Hofamt schlug er aus und zog zufrieden von dannen.

In der Geschichte der Wissenschaften steht Omar Chajjam  verzeichnet als der erste Astronom seiner Zeit, in welcher Araber und Perser sich bekanntlich besonders hervortaten. Noch in der Gegenwart hat man es in Frankreich   der Mühe wert gefunden, seine arabische Abhandlung über Algebra zu übersezen und nebst seinen astronomischen Tabellen herauszugeben. Der friegsge waltige König Malek- Schah, der zugleich ein Freund der Kunst und Wissenschaft war, wollte seinen Namen auch durch Her­stellung eines neuen Kalenders verewigen und dazu mußte Omar nebst sieben andern Gelehrten behilflich sein. Er soll beim König in hoher Gunst gestanden sein, aber immer die Unab­hängigkeit seines Karakters bewahrt haben. Die Glanzperiode persischen Geisteslebens begann unter dem Patronat freisinniger, wohlwollender Fürsten. Dieses Patronat aber verwehrte jede selbständige Entwicklung des Nationalgeistes und machte die Bildung zur höfischen, die Poesie zur Hofpoesie, deren Be­dingungen und Beschränkungen nur einzelne fühne Geister zu überspringen wagten. Es ist daher gesagt worden:" Der Schah ist das eigentliche Sternbild der persischen Dichter, von dem sie Licht und Wärme für ihre Hervorbringungen empfingen; der Schah regte die Gesänge der Dichter an, empfahl und belohnte sie oder ward durch die Ungnade, die er ihnen bewies, ihre oft den Tod bewirkende Kritif."

Was nun Omar betrifft, so hatte er mit der Schaar von Poeten, welche den Herrscher umgaben, um dessen Taten zu berherrlichen und ihm Weihrauch in Versen zu streuen, nichts zu tun. Omar war ein Dichter von Gottes Gnaden, aber feiner von Profession. Er suchte nicht nach Stoffen, um sie zu bearbeiten; er schrieb nur, wenn er von innen dazu angeregt

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wurde, dann aber entsproßten ihm seine Verse so natürlich, wie einem in gutem Boden wurzelnden Baume Blüten und Früchte. Die Muse war ihm Herzensfreundin, was er schrieb, schrieb er für sich allein, in einer schönen, wohlklingenden Sprache, die damals ihre beste Zeit hatte und die er so meisterlich be­herrschte, daß seine Verse noch heute mustergiltig sind. Oft kam es vor, daß er in lebhafter Unterhaltung über Dinge, die ihm tief gingen, Verse improvisirte, die dann von Freunden wie Feinden festgehalten und niedergeschrieben wurden, häufig, um ihm zu schaden und die Priester gegen ihn aufzubringen, über deren Heuchelei er sich lustig machte. Die glaubens­wütigen Prediger des Koran   verfehlten auch nicht, den in be­schaulicher Einsamkeit Herz und Himmel erforschenden Dichter und Astronomen zu verkezern und zu verläſtern und ihm sogar nach dem Leben zu trachten. Zu wiederholtenmalen wurde er beim König der Gotteslästerung angeklagt, und Malek- Schah hatte seine liebe Not, ihn vor den Verfolgungen der Priester und Richter zu schützen; doch der Nisam- el- Mulk ließ ihm seinen mächtigen Schuz zuteil werden, mit freundschaftlicher Warnung zur Vorsicht, die jedoch bei dem furchtlosen Mann wenig fruch­tete. Es spricht nicht wenig zum Ruhm des mächtigen Malek- Schah, daß er, obgleich keineswegs taub für die Stimme der Schmeichelei und überschwänglicher Huldigung, doch bis zu seinem Tode treu zu einem Manne hielt, dem alle Schmeichelei und Ueberschwenglichkeit ein Gräuel war, der dies in blanken, schneidigen Versen aussprach und darin zugleich alle Groß­mannssucht, alles eitle Gleißen als Torheit verspottete.

Als Dichter mußte Omar, seit er Aufsehen zu machen be­gann, nach der Sitte des Landes einen andern Namen annehmen, und er nannte sich nach dem Gewerbe, das sein Vater und er selbst betrieben, Chajjam, d. h. im Arabischen Zeltmacher, und die Perser rühmen die große Bescheidenheit, welche Omar wie in seinem ganzen Leben, so auch in der Wahl seines Dichter­namens gezeigt, während seine Vorläufer und Nachfolger stolzere Namen trugen, wie Firdusi  ( der Paradiesische), Saadi( der Glückselige), Enweri( der Strahlende), Hafis  ( der Gedächtnis­starke) u. s. f.

Nach dem Tode des Dichters taten die Priester alles Mög­liche, die zündenden Reimblize Omars durch Unterdrückung seiner Schriften unwirksam zu machen und dies Vernichtungsgeschäft wurde von ihren Nachfolgern bis auf den heutigen Tag redlich fortgesezt.

Moderne Schicksale.

1. Jm Bureau des Rechtsanwalts.

Novelle von Carl Görlik.

Im ersten Stockwerke eines Hauses an einem der schönsten Pläze der Residenz lag die Wohnung des Justizrats Harder, eines der berühmtesten Rechtsanwälte der Stadt.

Die Wohnung zerfiel in zwei Hälften. Auf der einen Seite lag die Privatwohnung des Justizrats, der mit einer ehrenhaften, aber in vieler Hinsicht unbedeutenden Frau in lang jähriger kinderloser Ehe lebte.

Justizrat Harder galt als eine Autorität, wenn es sich um Ratschläge in verwidelten Prozessen oder kritischen Rechtsfragen handelte.

In den späten Nachmittagsstunden eines regnerischen März tages saßen Harders Bureauvorsteher und mehrere Schreiber in emfiger Arbeit an ihren Pulten.

Die Herren waren mit dem Konzipiren verschiedener Schrift stücke und mit dem Sortiren großer Aftenstücke beschäftigt, als ihre Aufmerksamkeit durch das Deffnen der Tür, die in das Borderzimmer des Chefs führte, von ihren Beschäftigungen ab­gelenkt wurde.

Auf der Schwelle erschien der Justizrat.

sein. Ein behäbiges Embonpoint und große graue Augen, deren durchdringender Blick durch die joviale Miene, die stets um den freundlich und verbindlich lächelnden Mund lag, para­lysirt wurde, gaben seiner ganzen Erscheinung einen angenehmen, wohltuenden Karakter. Sein volles, aber schon stark grau me­lirtes Haar verlich ihm beinahe etwas Ehrwürdiges, wenn nicht die muntere Laune, die ihn stets durchsprudelte, ihm noch einen Schimmer von Jugend gegeben hätte.

-

"

Meine Sprechstunde ist zwar noch nicht ganz vorbei,"- sagte der Justizrat, indem er nach seiner Uhr sah, die ein Viertel nach Sechs zeigte, weisen Sie aber heute jeden ab, der vielleicht noch kommen sollte; ich habe für heute Abend mit meiner Frau eine Einladung zum Ball in das Theclen'sche Haus angenommen, und will mich, sowie ich noch einige not­wendige Briefe geschrieben habe, dazu rüsten".

Der Bureauvorsteher Henschel, an den sich Harder gewandt hatte, verneigte sich.

Der Justizrat trat in sein Zimmer zurück, dessen Tür er hinter sich schloß.

Wenige Minuten waren vergangen, als an der äußeren Er mochte ein Mann von drei- bis vierundfünfzig Jahren Tür, die vom Treppenflur hereinführte, geklopft wurde.