Gleich darauf trat eine Dame ein, die den Schleier hochschlug und die Herren mit sehr sympatischer Stimme begrüßte.
Der Bureauvorsteher drehte, indem er hastig aufstand, unwillkürlich die Gaslampe über seinem Pulte etwas höher, gleichsam als wollte er das reizende jugendliche Gesicht der Eingetretenen in noch hellerem Lichte schauen.
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„ Ist der Herr Justizrat Harder zu sprechen?" fragte sie. Bedaure unendlich, meine Gnädigste!" erwiderte Henschel, der ihr entgegentrat,„ der Herr Rat haben seine Tür soeben geschlossen."
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„ Es würde mir recht leid tun, wenn ich den Weg vergebens gemacht hätte", fuhr die Dame fort, sollte Herr Harder nicht furze Zeit für mich übrig haben?"
Der liebliche, sanfte Ton ihrer Stimme erhöhte den angenehmen Eindruck ihrer äußeren Schönheit auf den Bureauvorsteher, der sich verneigte und so galant es ihm möglich war, mit gespiztem Munde flüsterte:>
„ Ich will es versuchen!"
Er ging an die Tür des vorderen Zimmers, horchte einen Augenblick, und klopfte dann an.
Nach wenigen Sekunden öffnete sich die Tür und Harder trat mit fragendem Blick in die Kanzlei.
Henschel wies mit einer Handbewegung auf die junge Fremde, die dem Justizrate eine artige Verbeugung machte.
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Verzeihen Sie, Herr Justizrat", begann die Dame, wenn ich Sie so spät noch störe. Ich bin erst heute hier in der Residenz angekommen und es handelt sich mir nur um die vorläufige Anfrage, ob ich auf Ihren Rat und Beistand in einer sehr diffizilen Prozeßsache rechnen dürfte?"
Harder unterlag demselben Zauber, den die echtweibliche Schönheit der jungen Frau schon auf seinen Bureauvorsteher ausgeübt hatte. Er starrte das reizende Weib einen Augenblick bewundernd an und führte dasselbe in zuvorkommendster Weise in sein Privatzimmer.
Die Dame ließ sich auf einen Sessel nieder, den ihr Harder verbindlich zurecht rückte, und stellte sich ihm dann vor:
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Mein Name ist Amalie Jonston, ich bin Wittwe, und tomme aus London , wo ich mein Domizil habe!"
Der Justizrat, der sie mit noch erhöhtem Interesse betrachtete, als er hörte, daß dieses reizende junge Geschöpf schon den düsteren Wittwenschleier trüge, fiel ihr in das Wort:
" Dann bewundere ich, gnädige Frau, außer vielem anderen", er verneigte sich huldigend,„ doch ganz besonders, daß Sie unsere Sprache so vortrefflich und rein zu reden wissen!"
Mistreß Jonston schlug die Augen nieder; ein flüchtiges Rot deckte ihr Gesicht. Es blieb zweifelhaft, ob es Verlegen heit, Unmut oder gar ein schmerzliches Gefühl war, das ihre Züge färbte.
Auch lag ein merkbares Zittern in ihrer Stimme, als sie entgegnete:
" Ich bin eine geborene Deutsche. Während der acht Jahre, die ich in London weilte, habe ich meine deutsche Heimat nie vergessen; es waren ganz eigene, ungewöhnliche Verhältnisse, die meinen Vater einst bestimmten nach England zu gehen, und gerade dieserwegen komme ich zu Ihnen."
Dabei übereichte sie ihm einen Empfehlungsbrief von einem Londoner Kollegen des Justizrats.
Harder, der ein immer größeres Interesse für die schöne Fremde empfand, verbeugte sich, durchflog den Brief, den sie ihm gegeben, und reichte ihr dann die Hand.
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Ganz zu Ihren Diensten, meine Gnädige", bekräftigte er, , es hätte dieses Empfehlungsbriefes gar nicht bedurft, um mein Interesse für Ihre Sache zu erwecken. Wollen Sie mich.gefälligst nur näher orientiren."
Amalie Jonston schlug herzlich in die ihr gebotene Hand ein; sie fühlte instinktartig, daß sie einen Ehrenmann vor sich hatte.
„ Ich werde", sagte sie aufstehend," Ihnen morgen Vormittag verschiedene Dokumente und eine Vollmacht meines Vaters, nach welcher ich seine Ansprüche hier verfolgen soll, überbringen.
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Für heute nehmen Sie meinen Dank, daß Sie mir helfend zur Seite stehen wollen. Beruhigt kehre ich nun in mein Hotel zurück."
" Sie wohnen im Hotel?" fragte er wie bedauernd. „ Mir blieb nichts anderes übrig, denn ich bin ganz fremd in hiesiger Residenz."
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Dann kann ich Sie unmöglich fortlassen ohne Sie meiner Frau vorgestellt zu haben, damit Sie doch nicht ganz ohne ge= sellschaftlichen Anhalt bleiben."
Sehr gütig!"
„ Gewiß werden Sie uns die Ehre erzeigen, den Tee bei uns zu nehmen", er stockte plözlich in der Rede und knipste ärgerlich mit den Fingern, wie schade! Ich habe ganz vergessen, daß ich mit meiner Frau diesen Abend einen Ball besuchen soll."
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Umsomehr Grund, mich schnell zu entfernen!" rief Mistreß Jonston und tat einen Schritt der Türe zu.
, Wir könnten absagen lassen!"
,, Das werde ich nie zugeben!"
" Halt, noch einen Ausweg", sagte der Justizrat lebhaft, „ das Theelen'sche Haus, in das wir geladen sind, ist eines der glänzendsten und zugleich gastfreiesten der Residenz; wenn Sie uns begleiten wollten, wäre es für meine Frau und mich leicht, Sie dort einzuführen."
Amalie zauderte unschlüssig.
,, Wie liebenswürdig Sie sind nur fürchte ich, daß-- " Kein Bedenken, gnädige Frau! Jedenfalls erlauben Sie mir, Sie meiner Gattin vorstellen zu dürfen!"
Dabei bot er ihr galant den Arm.
" Ihrer Gemahlin will ich mich gern präsentiren", sagte sie, indem sie ihren Arm in den seinigen legte, ich sehe es sogar als Schuldigkeit an, der Frau meine Ehrfurcht zu beweisen, deren Mann mich so freundlich aufgenommen hat".
Harder öffnete eine Seitentür und führte die Engländerin in den Teil der Wohnung, wo die Privatzimmer lagen, in deren einem die Justizrätin soeben an ihre Toilette für den Theelen'schen Ball gehen wollte.
2. Ein großes Kaufmannshaus.
Es lag wie ein trüber Nebelschleier über der Stadt. Die Gasflammen der zahlreichen Straßenlaternen verloren durch den nassen Dunst die Hälfte von ihrer Leuchtkraft.
Aber selbst diese ungünstigen Witterungsverhältnisse konnten nicht die Intensität des glänzenden Lichtmeeres abschwächen, das dem prächtigen Eckhause entströmte, dessen Front nach zwei Hauptstraßen der Residenz lag.
Es war das allbekannte Theeler" he Haus, das von einem glänzenden, fast ehrfuchtsvollen Numbus in der öffentlichen Meinung umgeben war.
Durch mehrere Generationen war es die Heimat einer der ältesten und geachtetsten Kaufmannsfamilien der Stadt. Mochte die Art der Geschäftsführung heute auch eine ganz andere geworden sein, als die Traditionen früherer Jahre sie in denselben Mauern schilderte, so lag das naturgemäß in den Verhältnissen der Gegenwart.
Hatte sich das geschäftliche Leben in dem Theelen'schen Hause im Lauf der Zeit geändert, so war dagegen das Familienleben in demselben stets dasselbe geblieben: patriarchalisch, chrbar, ungestört, glücklich.
Nur einmal, vor einigen Jahren, hatten die bösen Zungen des Stadtviertels und der Bekanntenkreise von einem Konflikt in demselben wissen wollen.
Es war zu jener Zeit gewesen, als ein neuer Buchhalter, Ernst Senger, in das Theelen'sche Haus gekommen war. Man munkelte damals von argen Zerwürfnissen zwischen dem alten Kommerzienrat Theelen und seinem jungen Buchhalter, sah aber bald, daß man sich, wie oft, durch leere Redereien hatte täuschen lassen, denn grade dieser zuerst angefeindete Ernst Senger wurde durch unvermutete Verlobung und bald folgende Heirat mit der einzigen Tochter Leopoldine der Schwiegersohn