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Demzufolge werden Harders kommen," fuhr Madame| trübem Hauche an. Der Herr zog sein seidenes Taschentuch Senger fort, auch hat die Fremde ihre Pflicht der Höflichkeit
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erfüllt, denn sie sandte mir soeben ihre kouvertirte Karte! Ich muß sie noch bei mir haben," unterbrach sie sich und faßte in ihre Kleidertasche, aus der sie eine Visitenkarte hervorzog und dieselbe ihrem Manne hinreichte.
Senger warf einen Blick auf die Karte.
„ Mistreß Amely Jonston, London , empfohlen durch Frau Justizrätin Harder," las er flüchtig und gab die Karte dann seiner Frau zurück.
Seiden- und Atlasroben ankommender Damen rauschten im Nebensaal.
Senger und seine Gemahlin gingen, ihre Gäste zu begrüßen.
3. Die Nachegöttin.
Eine Stunde später war der Ball im vollen Gange. Im Tanzsaal sezten die lieblich verlockenden Töne einer Strauß'schen Quadrille zahlreiche Füßchen in Bewegung.
Leopoldine tanzte den Kontretanz mit dem von ihrem Gatten vorher erwähnten Baron Warren.
Herr van Warren war ein hübscher, tief brünetter junger Mann von acht bis neunundzwanzig Jahren; er blickte mit dunklen Rehaugen lustig und etwas begehrlich in die Welt hinaus. Sein Vater hatte ihm ein wertvolles Rittergut in entfernter Provinz hinterlassen, aber der junge Baron, dem das einsame Landleben keineswegs behagte, ließ sein Gut durch einen Verwalter bewirtschaften und brachte den größten Teil des Jahres in der Residenz zu.
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Das lezte Eckzimmer in der Reihe der glänzend erleuchteten Gemächer war leer, da sich alles in die Nähe des Tanz saals drängte, um, wenn nicht an der Freude des Tanzes selbst teilzunehmen, doch wenigstens kritisirend zuzuschauen.
Eine Tür, die vom Korridor hereinführte, öffnete sich und ein Herr trat durch dieselbe ein. Er schaute sich prüfend in dem leeren Gemache um.
Es war ein älterer Mann, zwar im schwarzen Frack und mit weißer Halsbinde, der aber im übrigen nicht festtagsmäßig aussah. Er hatte Notizbuch und mehrere Papiere in der Hand; mit welchen er sich im Eintreten noch beschäftigte, die er jezt aber in seiner Tasche verbarg.
" Ich bin etwas zu spät gekommen," murmelte er vor sich hin, er ist nicht mehr in seinem Zimmer, wohin er mich noch vor dem Balle bestellt hatte! Nun, so wird er mich hier zu finden wissen!
Er sezte sich auf einen Divan. Durch die Höhe der im Salon herrschenden Temperatur liefen die Gläser seiner Brille mit
hervor und nahm die Brille ab, um die Gläser derselben wieder zu klären.
Jezt erst war sein Gesichtsausdruck völlig zu erkennen. Sein Blick hatte ebensoviel vom Wolf wie vom Fuchs und war in seiner Wirklichkeit wenig Vertrauen erweckend. Aber niemals bekam ein anderer diese Augen zu sehen. Die Brille diente ihm als Maske, und sobald der Herr dieselbe wieder vorgelegt hatte, war seine Physiognomie undurchdringlich verschleiert wie stets.
Dieser Mann war der Agent Lorberg, der am meisten beschäftigte Kommissionär des Herrn Ernst Senger.
Lorberg war früher selbständiger Kaufmann gewesen, hatte einen schlechten, betrügerischen Bankrott gemacht und demzufolge eine Gefängnishaft abgebüßt. Das war ihm für sein Fortfommen längere Zeit hindurch sehr hinderlich gewesen. Er hatte bittere Not zu leiden gehabt, bis er plözlich von Herrn Ernst Senger zu sich gezogen und von diesem mit der Vermittlung zahlreicher Geschäfte betraut worden war.
Die Welt lobte Senger für seine barmherzige Nächstenliebe, mit welcher er sich des gefallenen Mitmenschen annahm, und der Nimbus des reichen Theelenschen Hauses war so groß, daß in seinen Strahlen Lorbergs prekäre Vergangenheit fast ganz unter
gegangen war.
Er hatte nicht lange in dem einsamen Salon gesessen, als er durch die geöffneten Türen vom Tanzsaale her den Herrn des Hauses auf sich zukommen sah.
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Sind Sie allein?" fragte Senger im Eintreten.
" Der alte Kohlengrubenbesizer." erwiderte Lorberg, indem er sich langsam erhob, wollte mich troz allen Zuredens nicht auf Ihren Ball begleiten; er scheint überhaupt sich anders besonnen zu haben, denn er will das von mir eingeleitete Kohlengeschäft nun schließlich doch nicht mit Ihnen machen."
Ueber Sengers schönes Gesicht flog eine Wolke des Unmuts. Ich muß die Kohlen haben," sagte er halblaut und preßte die Lippen fest aufeinander, als foste es ihm Mühe, einen Ausruf des Aergers zurückzuhalten.
Der alte Provinziale," fuhr Lorberg fort, scheint diffizil zu sein wie einer unserer gewiegtesten Trottoirläufer, denn er will seine Kohlen nur gegen Baarzahlung fortgeben und refüfirt jedes Akzept von Ihnen!"
" Sprechen Sie hier in den Gesellschaftsräumen nicht so laut von Geschäftssachen! Folgen Sie mir in mein Kabinet, um weitere Dispositionen zu treffen!"
Ruhig und stolz wie immer, verließ Senger den Salon durch die Tür, die auf den Korridor hinausführte. Sein Kommissionär folgte ihm befohlenermaßen nach.
( Fortsezung folgt.)
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Der Bau des menschlichen Körpers.
Eine anatomisch- physiologische Skizze von Bruno Geiser.
" Hilf dir selber. Bist du Gottes Sohn, so steig herab vom Kreuze," so riefen die Juden nach der Erzählung des Evangeliſten ihrem Stammesgenossen Jesus von Nazaret höhnend zu, nachdem der römische Statthalter ihn auf ihr Betreiben ans Kreuz geschlagen hatte.
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Solcher Hohn gegenüber einem Wehrlosen ist sicherlich eine Schmach für den, welcher so seinem Hasse Ausdruck zu geben vermag, des Hohns aber entkleidet enthalten jene Worte die beherzigenswerteste Mahnung, die man allen nicht wehrlosen Menschen überhaupt ans Herz legen kann: Hilf dir selber, so du hilfsbedürftig bist, denn tuſt du es nicht selbst, so wird dir schwerlich geholfen werden.
Das gilt für die Einzelnen, wie für die Völker und die Menschheit in materieller wie in ideeller, in sittlicher wie in intellektueller Beziehung.
Wo ein Mensch sein Heil in der Unterstützung guter Freunde
Wo ein Volk
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in den
und getreuer Nachbarn sucht, da hat er das Gebäude seines Lebensglücks auf Sand gebaut. Monarchien wie in den Republiken auf die, welche es beherrschten, als auf seine irdische Vorsehung vertraute, hat es sich selbst verraten und verkauft. Solange die Menschheit noch von den Vertretern des Glaubens an ein besseres Jenseits sich bevormunden und führen ließ, betrog sie sich selber schnöde um das Diesseits.
Selbst also sei der Mensch! Durch das Verlassen und Vertrauen, das sich auf andere Stüzen und auf sie Bauen hat sich die ungeheure Mehrzahl aller Menschen an das Kreuz jahrtausendelanger Leiden festgenagelt;-nachdem das einmal erkannt ist, gilt das Wort: Bist du Gottes Sohn,- so steig herab vom Kreuze.
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Wir sind Gottes Kinder, unser Gott ist unsere Welt, deren vorzüglichste Schöpfung wir selbst sind, als Inbegriff der