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Moderne Schicksale.
Novelle von Earl Görlik.
Indessen war der Justizrat Harder mit seinen beiden Damen in den Gesellschaftszimmern erschienen. Als die Herrschaften von der Hausfrau empfangen wurden, befand sich in deren Gesellschaft der junge Baron Warren.
Denselben sah die schöne Frau nicht zum erstenmale. Heute Mittag hatte sie ihm an der table d'hôte gegenüber gesessen. Sie schien in dem Hotel, wo er gewöhnlich zu speisen pflegte, zu wohnen.
Schon an der Wirtshaustafel war ihre Schönheit ihm aufgefallen, aber jezt in der gewählten Balltoilette erschien dieselbe erst vollständig im rechten Licht.
Mistreß Jouston trug ein Kleid von weißem Seidenrips, das mit Schrägstreifen von blauem Sammt garnirt war. Tuffs von weißen Rosen, aus deren Ranken glizernde Silberlahns herabfielen, zierten die graziöse Toilette, welche mäßig dekolletirt, den blendenden, schön gewölbten Hals und die wundervolle Rundung der Arme zeigte. Ueber all diesen Reizen tronte der herrliche Kopf mit dem seelenvollen Antliz, und hellblonde Locken, durch welche sich weiße Perlschnüre zogen, fielen auf den üppigen Nacken nieder.
Dem Baron Klopfte das Herz gewaltig, als Leopoldine mit den beiden Damen und dem Justizrate auf ihn zukam. Er trat, sich tief verneigend, zur Seite, als jene in das Nebengemach schritten, um außerhalb des Tanzsaals in größerer Ruhe ihre Unterhaltung fortsezen zu können. Ein berauschendes Zittern durchflog ihn, als die knisternden Falten von Amaliens Seidenkleide ihn im Vorübergehen streiften.
Unwillkürlich folgte er den Herrschaften in einiger Entfernung nach.
Nehmen Sie wiederholt meinen Dant," sagte Amalie zu der im Nebenzimmer stehenbleibenden Frau des Hauses,„ daß Sie mich so freundlich empfangen haben!"
„ Eine Empfehlung meiner lieben Justizrätin Harder," entgegnete Leopoldine , genügt vollkommen, um Sie in die Reihe meiner Freunde zu stellen."
" Bu gütig!" sagte Mistreß Jonston und verneigte sich vor Madame Senger und dann vor der Justizrätin.
Leztere flappte ihren Fächer so hastig zu, daß einige Stäbchen desselben zerbrachen.
Leopoldine bemerkte den an der Tür des Salons stehenden Baron und rief:
" Ah, ich vergaß, ertschuldigen Sie!" Vorstellend auf den Baron zeigend, nannte sie dessen Namen.
Der Baron trat näher und verneigte sich tief vor Amalien. Leopoldine wollte in der Vorstellung fortfahren, stockte aber und wandte sich nach der Rätin um.
„ Mir ist der ausländische Name entfallen," sagte sie zu dieser,„ liebe Justizrätin, machen Sie Ihre verehrte Gästin gefälligst dem Herrn Baron selbst bekannt!"
Die Justizrätin mußte dieser so direkt, an sie gerichteten Bitte allerdings nachkommen, tat dies aber nur kurz und ziem lich unfreundlich.
Mißreß Jonston, cine Klientin meines Mannes.
" Halt, liebe Frau" fiel Harder ein,„ bringst du mich in deine Vorstellungen hinein, so muß ich auch fortfahren, meine Rechte zu wahren!"
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Da hören Sie gleich den Rechtsgelehrten," rief die Justiz rätin, ja, ja, ich überlasse dir gern das Nähere!" Sich dann zu Leopoldine wendend, flüsterte sie dieser zu:„ Ich habe überhaupt noch manches auf dem Herzen, Sie werden sich über meine Enthüllungen wundern!"
"
Ah?!" lispelte Leopoldine ziemlich verduzt; ihr Geist vertrug keine so raschen Sprünge, und sie konnte sich nach der so eben gepflogenen verbindlichen Unterhaltung gar nicht in den
( 1. Fortsezung.)
plözlich so pikirt klingenden Ton der Rätin hineinfinden. Sie nahm mit der Justizrätin auf einem Sopha plaz, während Mistreß Jonston, der Baron und der Justizrat in der Mitte des Salons stehen blieben.
Diese Dame," sagte Harder zum Baron, indem er Amalien ehrfurchtsvoll die Hand füßte,„ ist an mich empfohlen worden, und ich hoffe, daß Sie mit uns dazu beitragen werden, Mistreß Jonston vergessen zu machen, daß sie eine Fremde unter uns ist!" „ Die gnädige Frau ist für mich keine Fremde mehr," entgegnete Baron Warren, ich hatte die Ehre, ihr heute an der table d'hôte gegenüber zu ſizen. Bin ich unbescheiden, meine Gnädige, wenn ich frage, ob Sie mich bemerkt haben?"
"
" Durchaus nicht," erwiderte Mißreß Jonston mit anmutiger Verneigung, ich bin stets freimütig und offen, und gestche Ihnen, daß ich Sie gleich wiedererkannte!"
"
„ Herrlich!" rief der Justizrat,„ kaum einen Tag in der Stadt und Abends finden Sie schon Bekannte wieder!"
„ Sie haben recht," sagte sie mit anmutigem Lächeln.„ ich empfange freundliche Eindrücke in Ihrer Residenz, und i fönnte darüber fast den schwierigen Zweck meines Hierseins vergessen; aber meinem Vater zuliebe mußte ich diese Reise unterehmen." Die beiden jungen Frauen befanden sich infolge ganz entgegengesezten Handelns an diesem Orte in nahe Beziehung gebracht.
Indem Leopoldine gegen den Willen ihres Vaters ihre Stellung im Leben ertrozt hatte, präsidirte sie als Sengers Gemahlin bei diesem so glänzenden Ballfest als Repräsentantin eines der ersten Häuser der Residenz.
Amalie Jonston dagegen war dem Willen ihres Vaters gefolgt und stand als Witwe einsam hier in einem unbekannten Lande unter Fremden, deren Schuz und Beistand sie als Hülfesuchende erbitten mußte.
„ Und Ihr Herr Vater, hat Sie nicht hierher begleitet?" forschte der Baron nach den lezten Worten der jungen Frau.
,, Mein Vater ist zu leidend, um diese weite Reise machen zu können," erwiderte Amalie, da es sich aber um die Ver folgung sehr wichtiger Interessen für ihn hier handelt, übernahm ich dies Amt, da ich leider Wittwe und ganz unabhängig bin!"
Der Baron konnte das von ihr ausgesprochene Bedauern nicht teilen, und das ganz unabhängig" versezte ihn vollends in Entzücken. Er wollte eine weitere Frage bezüglich ihres hiesigen Aufenthaltes an sie richten, als ein ganz unvorhergesehenes Ereignis eintrat, und zwar mit so erschütternder Plözlichkeit, daß die Verhältnisse nicht nur auf dem Ball, sondern im Theelenschen Hause mit einem Schlage total verändert wurden. Es ertönte nämlich plözlich ein durchdringender Schmerzens schrei, der weit durch die glänzenden Festräume schallte. Alles geriet in Aufruhr.
Die Justizrätin Harder und Leopoldine sprangen entfezt auf, da sie ein großes Unglück vermuteten.
Baron Warren und der Justizrat waren so überrascht von dem Anblick, der sich ihnen darbot, daß sie im ersten Moment, starr vor Schrecken, sich nicht von der Stelle zu rühren vermochten.
Mistreß Jonston hatte den Schrei, der alles in Aufregung gebracht, ausgestoßen, als sie den Herrn des Hauses in den Salon treten sah.
Sie wich zurück, als ob ihr Fuß plözlich auf eine Giftschlange getreten sei, wankte und sank dann auf einen Sessel nieder, indem sie Senger so verstört anstarrte, als ob mit ihm ein Gespenst aus dem Fußboden vor ihr aufgetaucht wäre. Senger allein stand ruhig und unbeweglich wie cine Statue da.