Die reizende Frau hatte ihn allerdings durch ihre sympa­tische Erscheinung vom ersten Augenblick an gefesselt; jezt zer­störte sie selbst den Zauber, den sie um sich zu verbreiten gewußt hatte, durch eine Behauptung, die dem Justizrate unge­heuerlich und vom juristischen Standpunkte aus ganz unmotivirt erschien.

" Unmöglich!" rief er im Tone der vollsten Ueberzeugung, Herr Senger, der Schwiegersohn des Kommerzienrats Theelen ist ein Ehrenmann; seit Jahren kenne ich ihn als solchen! Sie werden durch eine Aehnlichkeit getäuscht!"

Nimmermehr!" versichterte sie." Morgen sollen Sie alle Beweise von dem, was ich Ihnen heute nur oberflächlich an deutete, zu Händen von mir empfangen! Aber jezt nur fort! Zeigen Sie mir einen Weg aus diesem Hause, damit ich jenen Leuten nicht wieder zu begegnen brauche!"

Wenn Sie es durchaus wünschen," sagte er kopfschüttelnd und kleinlaut, so will ich Sie bis zum Wagen hinabführen!" Harder geleitete die Dame durch eine Seitentür hinaus. Sie eilte in ungestümer Haft die Treppe hinab.

In der Garderobe, die im Erdgeschoß eingerichtet war, hüllte sie sich mit fieberhaster Hast in ihren Mantel.

Wenige Minuten nachher fuhr sie in einer herbeigeholten Nachtdroschke in ihr Hotel zurück.

Der Justizrat stieg nachdenklich die Treppe wieder hinauf und begab sich in den Tanzsaal. Er war so verstimmt, daß es ihn die größte Anstrengung kostete, seine Aufregung nur einigermaßen zu verbergen.

Als er nach Beendigung des Walzers sich Senger gegen= über befand, wurde er von diesem in teilnehmendster Weise nach seiner leidenden Pflegebefohlenen befragt.

Viele der Umstehenden spizten die Ohren, denn die auffällige Störung, welche durch die von Harders eingeführte Dame ver­ursacht worden war, hatte bereits Anlaß zu den wunderlichsten Vermutungen gegeben.

" Ich muß sie entschuldigen," entgegnete der Justizrat, ohne daß er ganz seiner Verlegenheit Herr werden konnte, aber sie wurde von einer so heftigen Migräne befallen, daß sie bereits nach Hause gefahren ist!"

" Also ernstlich unwohl?" sezte Senger bedauernd hinzu. Es hat den Anschein!" sagte Harder, mich tröstet nur,

daß sie wenigstens gut einlogirt ist?"

"

Wo wohnt die Dame denn?"

" In Mohrmanns Hotel!" antwortete der Justizrat.

44

Der Glastür gegenüber führte eine andere Tür über eine Gallerie zur Küche.

In der Nähe derselben stand das Pult des Oberkellners Kaps, der mit Ausschreiben von Rechnungen beschäftigt war. Neben ihm lag das aufgeschlagene Kontobuch der Gäste.

Der Zimmerkellner Georg, der die in der ersten Etage wohnenden Gäste zu bedienen hatte, kam von der Küche herein. Er trug ein Präsentirbrett, das mit blendend weißer Damast serviette bedeckt war; auf demselben stand ein silberblizendes Kaffeeservice von Alfenide.

Einmal Kaffee mit Gebäck für Nr. 3!" rief Georg im Vorbeigehen.

Der Oberkellner notirte es.

Endlich," brummte er, beeifen Sie Sich, die Dame hat bereits zum zweitenmale geschellt!"

"

Päh! " machte Georg mit der den Kellnern eigenen Unver­schämtheit, wenn sie sich nicht den Gästen gegenüber befinden. Bringen Sie gleich den Paß von ihr mit heraus," rief ihm Kaps nach, sie fommt aus dem Auslande, da müssen wir ihren Paß der polizeilichen Meldung beilegen!"

Gut, ich werde ihn mir geben lassen!" sagte Georg, indem er durch die Glastür verschwand.

Der Oberkellner schrieb und rechnete weiter.

Nach kurzer Zeit hörte er die Glastür wieder öffnen, sah sich aber nicht um, da er glaubte, daß es der zurückkehrende Georg sei. Ueberrascht fuhr er aber auf, als eine fremde Stimme ertönte:

"

Guten Morgen, Herr Oberkellner!"

Kaps machte ein sehr überraschtes Gesicht, als er den Ein­tretenden erkannte.

Es war Senger.

Wie, Herr Senger?!" rief der Oberkellner, Sie zu so früher Stunde schon bei uns?" Von seinem Pulte forttretend, fügte er artig hinzu:

" Womit kann ich Ihnen dienen?"

Ein Geschäftsgang führte mich in aller Frühe vorbei," entgegnete Senger und hing seinen Hut an einen Kleiderständer, ,, da es draußen frisch ist, trat ich bei Ihnen ein, um mich ein wenig zu restauriren! Lassen Sie mir Kaffee kommen und geben Sie mir, ich bitte, eine Zigarre!"

Georg soll Ihnen gleich Kaffee serviren," sagte der Over fellner, schloß eine Schublade des Pultes auf, nahm eine Kiste mit duftigen Havannahs heraus, öffnete den Deckel und präs

Sengers Lippen entfuhr troz aller Selbstbeherrschung ein sentirte dieselbe dann dienstfertig Herrn Senger, und hier sind furzer Freudenlaut:

" Das trifft sich gut!" Als hätte er seine Gedanken hiermit zu sehr verraten, fügte er schnell hinzu: So hat die verehrte Dame wenigstens keinen zu weiten Weg!" Dann scherzte und lachte er so liebenswürdig mit den umstehenden Gästen, daß er den störenden Zwischenfall mit Mistreß Jonston vollständig ver gessen zu haben schien. Und doch dachte er bei der lebhaftesten Unterhaltung imstillen bei sich: Sie wohnt bei Mohrmann! Das ist in allem Unglück doch ein Glück!"

4. Die Fälschung.

Am andern Morgen lachte heiterer Sonnenschein in den Straßen der Residenz.

Die Dächer und das Holzwerk der Brücken glizerten in dem Silberweiß des Morgenreifs, den die noch sehr schräg fallenden Strahlen der Sonne bis jezt nicht hatten zerstören können.

Lustiges Leben regte sich überall und machte sich besonders in den prachtvollen Räumen des Hotels geltend, in welchem Mistreß Jonston abgestiegen war.

Der mit allem Komfort und großstädtischem Lurus ver schwenderisch ausgestattete Speisesaal des Hotels Tag im Par­terregeschoß. Der Haupteingang zu diesem Speisesaal wurde durch eine hohe und breite Glastür, die auf den Korridor führte, gebildet. Man sah durch die Karen Spiegelscheiben der Tür schräg hinüber nach der Loge des Portiers, der in diesem Augen­blick die angekommenen Briefe und Zeitungen sortirte.

Zigarren. Befehlen Sie davon!"

Senger nahm eine Zigarre und zündete dieselbe an dem Wachslicht an, das Kaps ihm hinstellte. Das brennende Licht blieb auf einem der kleinen zum Speisen servirten Tische stehen. Wo ist Herr Mohrmann?" fragte Senger, indem er sich sezte und die duftigen Rauchwölkchen seiner Havannah in feinen Ringeln aufsteigen ließ.

" In seinem Zimmer," beantwortete der Oberkellner die Frage nach seinem Prinzipal, wünschen Sie, daß ich denselben von Ihrem Hiersein benachrichtige?"

Es hat durchaus keine Eile, ich bleibe wohl ein halbes Stündchen hier!"

Wenige Minuten darauf kam Georg durch die Glastür herein. Auch er war überrascht, Herrn Senger zu so früher Stunde im Hotel zu erblicken, wünschte demselben guten Morgen und trat dann zu dem Oberkellner.

Hier ist der Paß der Dame," sagte er, und legte ein Papier auf das Pult, sie will sogleich zum Justizrat Harder fahren; ich habe den Portier davon unterrichtet, damit er einen Wagen für sie in Bereitschaft hält!"

Senger horchte scharf auf.

Harder!" dachte er, von ihr ist die Rede!"

" Herr Senger hat Kaffee befohlen," bedeutete Kaps den Kellner.

Werde sogleich bringen!"

Damit eilte Georg nach der Küche hinaus.