jedoch werden die Zugvögel auf ihren Wanderungen von Sturm­winden ergriffen und von dem Winde fortgeführt, den sie sonst mit bewunderungswürdigem Instinkt verfolgen. Sie werden dann zuweilen weit verschlagen, oder ganz erschöpft auf dem Meere gefunden, wo sie sich an das Tafelwerk der Schiffe hängen. Leider erliegen auch viele den Strapazen, noch mehr werden aber von den Bewohnern der südlichen Landstriche und namentlich der Inseln, wo sich die Vögel zum Ausruhen nieder­laffen, gefangen.

Die Ursachen dieser Wanderungen fönnen nur in einem mächtigen Triebe liegen, der die Vögel zwingt, die Felsen, wo sie ausgebrütet wurden, die Wälder, wo sie aufwuchsen, zu ver­lassen und eine gefährliche Reise in entferntere Gegenden zu unternehmen. Das Verlangen, sich hinlänglich Nahrung und

85

|

gleichmäßige Wärme zu verschaffen, ist ohne Zweifel die nächste Ursache dieser Erscheinung. Mehrere Sommervögel im nörd­lichen Europa können nur während der Monate, wo sie dort bleiben, Nahrung finden. Meist von Insekten und Pflanzen­teilen lebend, müssen sie ihren Wohnplaz verändern und am Ende des Sommers wärmere Gegenden aufsuchen, um ihr Leben zu fristen. Ebenso mächtig wirkt aber auch das Bedürfnis, den zu ihren Lebensbedingungen gehörigen Grad von Luftwärme zu finden.

Steigen wir zu den niedern Tierklassen hinab, so finden wir den Wandertrieb immer seltener, da diese Tiere zu wenig Bewegungskraft haben, ihre Wohnpläze zu wechseln; und wenn das Bedürfnis eintritt, sich gegen Winterkälte zu schüzen, so versezt sie die Natur in den Zustand der Erstarrung.

er

C

A

12

IL

T

2

1

T

e

t

Zur Geschichte der Schreckenszeit.

Von Wilhelm Blos .

Schon früher haben wir in diesen Blättern*) zu zeigen versucht, daß die Schreckensherrschaft der Jakobiner es gewesen ist, welche während der großen französischen Revolution zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts den Boden für den Staats­streich und für die Militärdiktatur des ersten Napoleon geebnet hat. Wir zeigten, daß eine Regierung, die ihre politischen Gegner durch Massenhinrichtungen auszurotten trachtet, damit nur die Anzahl ihrer Feinde verzehnfacht, indem sie die An­hänger, Freunde und Familien der Hingerichteten in Schmerz, Trauer und Wut versezt und so ihre eigene Stellung unter­gräbt. Es hat Regierungen gegeben, die durch eine große Mezelei ihre Gegner zu vertilgen suchten, wie die Regierung Karls IX. die Hugenotten durch die Bartholomäusnacht auf immer aus der Welt schaffen wollte. Sie erreichte so wenig ihren Zweck, als die Vertreter des Schreckenssystems, die durch langandauernde blutige Verfolgung jeder anderen politischen

zu gelangen suchten.

Bei näherer Betrachtung schwinden in der Tat die angeb= lichen großen Verdienste des Schreckenssystems immer mehr. Man findet, daß von den eigentlichen Reformarbeiten, soweit jolche während jener Zeit vollbracht wurden, nur die wenigsten von den eigentlichen Repräsentanten des Schreckenssystems aus­gehen. Auch die Behauptung, Frankreich sei nur durch den Schrecken, vor den Angriffen der verbündeten europäischen Mächte

|

Beute von Demagogen und Tyrannen wurden, verfiel man auf das Mittel der Schreckensherrschaft. Und es gab damals auch Verräter und Feinde der Regierungen sowohl wie der bestehenden Staatsformen.

Das System, welches durch die französische Revolution gestürzt wurde, der Feudalismus , hat zweifellos noch viel mehr Verbrechen aufzuweisen, als die Schreckensherrschaft; der ge= wissenhafte Geschichtsforscher aber kann hierin keinen Grund finden, die Ausschreitungen jenes demokratisch angestrichenen Liberalismus, welcher Frankreich in der Schreckenszeit regierte, zu entschuldigen oder zu beschönigen. Es wird sich auch nach­weisen lassen, daß die eigentliche Volks masse keineswegs mit dem Schreckenssystem sympatisirte, und daß sie vernünftig

genug war, in demselben keinen Ersaz für die weit dringenderen

sozialen Reformen zu finden.

Untersuchen wir diesmal das Verhalten des Hauptorgans

der Schreckensherrschaft, des pariser Revolution tribunals.

Dieser Gerichtshof, der sich einen so furchtbaren Namen

gemacht hat, wurde am 10. März 1793 auf Beschluß des Nationalkonvents eingesezt. Man wählte diese Form zur Ver­folgung der Feinde der Republik , weil sich die Girondisten unaufhörlich über die Septembermezeleien beschwerten. In­deſſen war diese Form sicherlich nicht die geeignete. Denn

wenn man die Gegner der Regierung richten wollte, so durfte man sie nach demokratischen und humanen Grundsäzen nicht

töten; wenn nicht, wenn man nur brutale Gewalt anwenden Wird man be- wollte, wozu dann die Heuchelei juristischer Formen, welche

militärisches Genie bewirkten diese Rettung. haupten wollen, daß Fouquier- Tinville, als Ankläger am Revolutionstribunal, mehr dazu beigetragen hat, den Angriff der verbündeten Mächte abzuschlagen, als etwa Carnot, welcher die Heere der verbündeten Mächte durch die von ihm organi sirten Massen erdrückte? Ohnehin siegte Frankreich in späteren Kriegen über die verbündeten Mächte auch ohne Schreckenssystem. regierung feindlichen Parteien Furcht und Schrecken einzu­jagen. Die Anhänger der feindlichen Parteien befanden sich in der Majorität; man mußte also der gesammten Volksmasse Schrecken und Furcht einzuflößen versuchen und erzog dadurch das Volk zur- Knechtschaft, nicht aber zur Freiheit, die

dabei eine Phrase blieb.

Die antiken Demokratien wußten in ihrer Glanzzeit von diesem Mittel, das Vaterland zu verteidigen, nichts. Man hat nicht gehört, daß die Griechen gegen ihre Staatsbürger ein Schreckenssystem anwendeten, als sie von den Persern angegriffen

nötigten, Verbrechen zu erfinden, wo keine vorhanden waren?

Schon nach dem Aufstande vom 10. August war ein solches Tribunal eingesezt worden, aber nicht lange in Tätigkeit ge­

blieben. Nun erschien Chaumette als Vertreter des pariser Gemeinderatz vor dem Konvent und verlangte die Einſezung eines außerordentlichen Gerichtshofes ohne Appellation, um die schlechten Bürger zu richten". Dies Verlangen fand" im Konvent eine günſtige Aufnahme und Danton bewirkte den

endgiltigen Beschluß. Der neue Gerichtshof hieß ursprünglich

tribunal criminel extraordinaire; auf Antrag von Billaud­Barennes nannte man denselben später Revolutionsgerichtshof

oder Revolutions tribunal( tribunal révolutionnaire). Dieser Gerichtshof, der ohne Appellation über jede kontrerevolutionäre Unternehmung erkennen sollte, wie es im Beschlusse hieß, bestand aus fünf Richtern, zwölf Geschworenen, einem öffentlichen An­

fläger und deſſen zwei Adjuntten. Das Revolution tribunal

fonnte nur auf Todesstrafe erkennen oder freisprechen; die

wurden, so wenig als die Römer es beim Einfall Hannibals Freigesprochenen sollten entschädigt werden. Ob und wie taten. Erst als jene Gemeinwesen angefault waren und eine diese Entschädigung gegeben wurde, darüber ist uns nichts be­

*) Eiche den Auffaz: Napoleon und sein Stern", Neue Welt,

Jahrg 1883, Nr. 19.

fannt. Sicherlich ist sie nur von wenigen beansprucht worden, denn wer freigesprochen war, hatte nur in den seltensten Fällen Lust, mit dem Tribunal in irgend eine Berührung zu kommen.

Rr. 4. 1884.