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ihr freilich höchst verübelt, daß sie die Tochter des Ateisten und Revolutionärs zu sich genommen, und Tante Marie Falkenau hatte sich ganz empört darüber gezeigt, als sie erfuhr, daß ihr Gatte, dem Helene ihre Absicht anvertraut, sich derselben nicht widersezt hatte. Aber Tante Mariens Antipatien fielen bei Helene nicht allzusehr ins Gewicht; sie galt ihr als eine sehr fromme, streng sittliche, aber etwas beschränkte Dame, die nie in der Gesellschaft auftrat und auch nicht auftreten wollte.

Mit Gräfin Natalie Dönhof war dies anders, diese besaß großen Einfluß und Helene hatte alle Ursache, hier vorsichtig zu sein.

Sie war denn auch gegen Tante Natalie von der schmeichelnd­sten Liebenswürdigkeit und sie bettelte förmlich um Versöhnung. Als diese aber erklärte, sie wolle keinen Fuß in das Haus Helenens sezen, solange sich das Heidenkind daselbst befinde, erwiderte Helene gereizt, daß Onkel Robert gerechter sei und es wohl erkannt habe, daß die Falkenaus allein die Schuld trügen, daß diese arme Seele eine Ungläubige geworden, warum hatten sie die Verbindung ihrer armen Schwester mit diesem hirnverbrannten Professor nicht mit allen Mitteln verhindert. Dann lachte sie in ihrer übermütigen Weise hell auf und sagte, indem sie die Arme um den Hals der Tante schlug: Uebrigens wird dieses Kind glauben, was man will, sie ist noch so köstlich naiv und von einer fast rührenden Vertrauensseligkeit. Bekehre sie Tantchen, sezte sie neckisch hinzu, als handle sichs darum, ein Hündchen abzurichten.

Seitdem war Gräfin Dönhof über diesen Fall nachdenklich geworden, und ein stachelndes Gefühl der Neugier hatte sie er­faßt, ein Geschöpf kennen zu lernen, das seinen Schöpfer negirte.

Sein Anblick, sie wußte es im voraus, würde ihr wehe tun, würde sie vielleicht mit Abscheu erfüllen, aber sie wollte es drauf wagen.

Sie fuhr eines Tages bei Helene vor, und als sie von dem Portier vernommen, daß die Frau Gräfin nicht zu Hause sei, verließ sie den Wagen und trat, ohne sich anmelden zu lassen, bei dem Heidenkinde ein.

Sie betrachtete mit Verwunderung die ganze wunderbare Schönheit dieses Mädchens, sah die reine Stirne, die großen

und ein weiteres Gerücht fügte hinzu, Gräfin Dönhof, der er den Segen des heiligen Vaters mitgebracht hatte und die als seine besondere Freundin galt, werde zugleich mit ihm diese Reise antreten.

Auch hierher nach Schloß Falkenau waren sie zusammen ge kommen und mit ihnen Helene und Elsa. Seitdem ihr Gatte und seine Schwester diese Ungetaufte in ihren Schuz genommen, hatte Marie ihre durch nichts geminderte Antipatie tiefer in ihr Inneres verschließen müſſen..

Am Nachmittag hatte Helene den neuen Phaeton ausprobiren wollen, und sie war mit Elsa und dem jungen Grafen Hugo, dem ältesten Sohne der Falkenaus, der Offizier war und in einem Husarenregiment diente, ausgefahren und noch nicht zurüc gekehrt. Der Herr des Hauses war nach der Stadt gefahren, hatte aber versprochen, noch rechtzeitig zurück zu sein, um seinen Gästen die lezten Honneurs zu machen. Gräfin Dönhof wat mit dem Pater in der Bibliotek , und so hatte denn die Haus frau nach diesen beschwerlichen Tagen wieder einigermaßen atmen und die ersehnte Ordnung und gewohnte Beschäftigung wieder aufnehmen können.

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Sie befand sich zur Stunde in dem großen Gemache, das an die Bibliotek stieß, um hier dem Unterricht ihrer einzigen Tochter Nanny beizuwohnen.

In dem Kamin des großen und hohen Gemachs, das mit äußerster Einfachheit möblirt war, brannte ein helles Feuer, zugleich war eines der gegenüberliegenden Fenster geöffnet, ba der etwas rauhen Frühlingsluft und den sinkenden Strahle der Sonne ungehindert Eingang gewährte.

Gräfin Marie saß an diesem Fenster in einem hartgepolsterte Sessel mit hoher Lehne und strickte.

Sie saß steif und gerade und die knappen Falten ihre dunklen einfachen Kleides, das jedes Aufpuzes entbehrte, zeid Inete die harten edigen Formen der etwa vierzigjährigen Dam in ihrer ganzen poesielosen Dürftigkeit. Ihr dunkles Haar glatt gescheitelt und legte sich straff an die hervorstehende

Backenknochen.

nicht unschön, aber Anmut, den sinnbestrickenden Zauber, ha Die Züge des Gesichts waren regelmäßig gebildet und grad flaren Augen, die jeden Gedanken widerspiegelten, sie hörte sie wohl niemals besessen. Ernst und Verschlossenheit spra

es sprechen und sie sagte sich, daß Gott ein solches Wesen nicht für die ewige Verdammnis habe schaffen können. Wie eine Erleuchtung kam es über sie, daß das Kind noch gerettet wer­den könne und daß ihr selbst diese hohe Mission zugefallen sei. Aber wer dem Teufel eine Seele abringen will, muß vor­sichtig sein und klug. Hier durfte nichts übereilt werden.

Sie schied mit einem Kuß von Elsa, der sie gesagt, welche innige Sympatie sie für ihre arme Mutter gehegt und wie sie

Gräfin Dönhof kam häufig und lud die jungen Damen wieder

sich in ihrem Gesicht und in der ganzen Haltung aus, etwas Mißtrauisches brach im raschen Ausblick aus diesen ihrer Farbe undefinirbaren Augen, die, je nachdem, grau, oder braun schimmerten.

Jezt streiften sie ihre Tochter und hierauf den Lehrer,

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in der Mitte des Gemaches an einem großen Tisch nebe

einander saßen.

diese nun auf die Tochter übertragen wolle, da sie gefunden, und dünnes Mädchen von sechzehn Jahren, eben so einfach Comtesse Nanny, ein hochaufgeschossenes ungemein zarte daß diese ihrer zärtlichen Liebe würdig sei. Seit dem Tage wenig zierlich gekleidet wie ihre Mama, beugte sich start üb war das gespannte Verhältnis ein durchaus anderes geworden. ihr Aufgabenheft. Sie las ihren Aufsaz mit schwacher Stim zu sich. Elsa war bisher ihrem Wunsche gemäß in ziemlicher Atem zu schöpfen herunter. Ihr Lehrer, Pater Beneditt, fud und undeutlichem Accent, aber mit sichtlichem Eifer und of Einsamkeit verblieben, nun schien es im Plane der Gräfin zu diesen Redefluß zu hemmen, indem er die Silben wiederholen die Kommata hinein brachte und somit Säze bildend den Si

liegen, sie nach und nach in die Gesellschaft einzuführen. In derselben tauchte damals eine neue Erscheinung auf, die viel zu interessant war, um nicht von sich reden zu machen.

Orden der Jesuiten angehörte und Pater Cölestin hieß. Er

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des Gelesenen in etwas dem eigenen Verständnis näher Der Pater war in dreifacher Eigenschaft im Schloffe von elegantem und durchaus weltmännischen Aeußern, der dem lich als Kustos der Bibliotek des Grafen, die eine bedeutende Es war ein noch junger Mann, im Beginne der dreißig, gestellt, einmal als Scelsorger, dann als Erzieher und schlich war Italiener , aber als Knabe schon nach Desterreich gekommen, lich aus. Seine kurze rundliche Gestalt, die schon ein Bäude Er war noch nicht alt, aber sah nichts weniger als gefähr wo er in ein Kloster in der Umgebung Wiens als Zögling chen zeigte, und sein gutmütiges lächelndes Gesicht, mit ein schen Sprachen und schien deshalb von dem päbstlichen Stuhl wedkendes. Aber Gräfin Falkenau traute niemanden, fo from etwas stechenden Augen, hatten etwas durchaus Bertrauen a

eingetreten war. Er sprach mit Gewandtheit die meisten europäi­

in diplomatischen Missionen verwendet zu werden.

Man rühmte seine Talente und feinen Manieren. In alle galt und jeder Zweifel in die Göttlichkeit seiner Miffion hocharistokratischen Kreise eingeführt, verschmähte er es nicht, auch ein Verbrechen gedünkt, so traute sie doch auch dem Pric in den Salons einiger Finanzgrößen, katolischen und nicht katoli- nicht. Sie hatte sichs zur vornehmsten Pflicht gemacht, schen, sich sehen zu lassen, und man behauptete, er verkehre auch Kind nicht aus den Augen zu lassen, da die Welt do

mit den niedern Ständen.

Es hieß, er werde demnächst wieder nach Rom zurückkehren, so verdorben waren. Sie sah also von Zeit zu Zeit forfe