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aufrecht stehen, ohne Speise und Trank und ohne sich dem Schlaf überlassen zu dürfen. Da diese Qual nicht anschlug, schritten die Wüteriche auf Ratti- Mentons Wink zu mörderischen Rutenschlägen. Beim zwanzigsten Schlag sanken die Unglücklichen ohnmächtig zusammen; nichtsdestoweniger ließ der Konsul beim Erwachen die Geißelung an ihnen fortsezen. Aber alles das führte kein Geständnis herbei. Nun führte Sheri Pascha eine neue Folter aus. Mehr als sechzig Kinder, im Alter zwischen drei bis zehn Jahren, wurden den Eltern entrissen; in ein Zimmer gesperrt, ohne daß ihnen Nahrung verabreicht wurde. Dies sollte die Mütter bewegen, Geständnisse abzulegen. Aber auch dieses diabolische Mittel hatte nicht die gehoffte Wirkung. Nur eine Frau und deren Tochter bekehrten sich vor Schmerz und aus Liebe für ihre verschmachtenden Kinder zum Islam. Scherif Pascha geriet in Wut, ließ von einer Schaar Soldaten am 18. Februar ein Haus im Judenviertel zerstören, um die Leiche oder Spuren derselben zu finden. Auch in den Häusern der übrigen Angeklagten richtete er Verwüstungen an. Da wagte ein jüdischer Jüngling sich zum Pascha zu begeben und Zeugnis abzulegen, er habe den Pater Tomaso kurz vor seinem Verschwinden in den Kaufladen eines Türken eintreten sehen. Statt diese Spur zu verfolgen, wendete Natti- Menton und sein Geheimschreiber Baudin allen Eifer an, diese Stimme verstummen zu machen. Der Jüngling wurde so unbarmherzig geschlagen, daß er noch in derselben Nacht den Geist aushauchte, der erste Märtyrer in dieser Tragödie.
der allen Drohungen und Gefährdungen zum Troz nicht zugeben mochte, daß ein österreichischer Untertan ohne triftigen Beweis der Folter unterworfen werde. Durch diese neue Verwicklung trat eine Wendung in diesem Schauerdrama ein. Merlato hatte lange den Unmenschlichkeiten zugesehen, ebenso wie die übrigen europäischen Konsuln, namentlich der englische Werry, der mit Ratti- Menton unter einer Decke steckte. Aber endlich riß Merlato die Geduld; er trat offen und freimütig gegen das gräßliche Verfahren auf, wofür er aber viel zu erdulden hatte. Ratti- Menton seinerseits war unermüdlich, neue Anklagepunkte und Scheinbeweise herbeizuschaffen. Unter anderem ließ er ein Lügenbuch gegen die Juden ins Arabische übersezen, welches aus dem Talmud bewies, daß die Juden Blut brauchten, daß sie Christenkinder schlachteten und Hostien schändeten, die dann Wunder getan hätten. Besonnene Türken schüttelten allerdings das Haupt zu diesem kannibalischen Verfolgungssystem, aber sie schwiegen. Ratti- Menton schloß die Akten und fällte ein Urteil, als wenn es unwiderleglich erwiesen wäre, daß die
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eingezogenen und gefolterten Juden die Mörder des Pater Thomas waren. Diejenigen, welche noch am Leben waren, sollten enthauptet werden. sollten enthauptet werden. Scherif Pascha holte dazu die Erlaubnis seines Herrn Mehmet Ali ein.
Ungefähr zur selben Zeit fiel auf der Insel Rhodus etwas Aehnliches vor. Ein zehnjähriger Knabe, Sohn eines griechischen Bauern, hatte sich erhängt, und die Christen beeilten sich, die Juden als dessen Mörder anzugeben. Die europäischen Konsuln nahmen die Sache in die Hand und verlangten vom Statthalter Jussuf Bascha eine strenge Untersuchung. Auf die Aussage zweier griechischen Weiber, daß der Knabe einem Juden von Rhodus gefolgt wäre, wurde derselbe eingezogen und unmenschlich gefoltert.
unmenschlich gefoltert. Man durchbohrte ihm die Nasenflügel mit einem eisernen Draht, legte ihm glühende Kohlen auf den Kopf und einen schweren Stein auf das Herz. Das ließen
Ratti- Menton, unerschöpflich an Mitteln, Geständnisse zu erpressen, ließ nun einen Versuch mit dem türkischen Diener eines Juden anstellen, Namens Murad el Fallat. Auch dieser hatte nichts zu geſtehen und ließ die Rutenstreiche über sich ergehen, die seinen Leib fast zerfezten. Da machte sich Mohamed El- Telli auch an ihn heran und brachte durch Freundschaft und Drohung mehr aus ihm heraus. Am 27. Februar flagte auf David Araris Konsuln der europäischen Mächte tun, Englands, Frankreichs Geheiß im Beisein der übrigen Angeklagten Thomas getötet. und Schwedens ; nur der österreichische Konsul hielt sich auch Der jüdiſche Barbier wurde bewogen, deſſen Aussage zu be- hier von der Beteiligung an der Unmenschlichkeit fern. Dieſe stätigen. Verstümmelt wurden beide an einen Plaz geführt, Folterqualen wurden ohne Wissen des Pascha durch dessen stellwo worden sein sollen. Ratti- Menton fand ein Stück Knochen und werden, daß der Angeklagte den griechischen Knaben umgebracht einen Lappen. Christliche Aerzte erklärten diesen Knochen für habe, um dessen Blut dem Großrabbiner von Konstantinopel Menschengebein, der Lappen galt als Baret des Paters. So
zu überliefern. Es war eine Art Verschwörung der Christen
in der Türkei gegen die Juden, vielleicht aus Scheelſucht, weil
der junge Sultan Abdul Medjid bei seiner Tronbesteigung in
Die sieben Angeklagten wurden darauf von neuem verhört und schrecklichen Folterqualen unterworfen. Sie sollten die Flasche seinem Gnadenbrief, allen Untertanen seines Reiches gleiches Blut von dem Gemordeten herbeischaffen, welches für das Passah- Recht zukommen zu lassen, auch die Juden eingeschlossen hatte.
fest aufgesammelt worden sei.
Ein Greis erlag den Schmerzen.
Durch diese Folterqualen ließ sich der halb leblose Jude in
Ein anderer Angeklagter nahm den Turban, um den Dualen Rhodus herbei, Mitschuldige anzugeben, von denen er glauben zu entgehen. Die übrigen sagten vor Schmerz aus, was man von ihnen wollte; sie waren stumpf geworden und wünschten entzogen. Aber mehrere der Genannten waren noch zu finden
mochte, sie hätten sich durch die Flucht bereits der Verfolgung.
einen raschen Tod. Aber das Geständnis half ihnen nicht viel.
Bur selbigen Zeit, im März 1840( sollte es bloßer Zufall
einen Juden eine Blutanklage erhoben. Ein christliches Mädchen
die Aussage. Ein fremder Jude mit seiner Frau, die zufällig
Der Konsul wollte. handgreifliche Beweise, die Flasche mit Blut dem Tode nahe gebracht. beigeschafft werden: Neue Foltern wurden angewendet; aber gewesen sein?), wurde auch in Jülich in Rheinpreußen gegen ständnisse zurückzunehmen. Anfangs März wurde der Verdacht von neun Jahren behauptete, von einem Juden in den Leib auf andere angesehene jüdische Familien gewendet, worunter ein gestochen worden zu sein. Ihr sechsjähriger Bruder bestätigte foltert worden, ohne daß eine Lüge aus ihrem Munde erpreßt erkannt, und das Mädchen fügte hinzu, der Jude hätte zur Damastus waren schon früher eingezogen, mißhandelt und ge- durch Jülich reisten, wurden von den Kindern als die Täter worden wäre. Um den Versteck eines Juden zu entdecken, selben Zeit einen christlichen alten Mann mit einem Messer wurde ein junges Kind im Beisein der Mutter mit Peitschen- totgestochen. Eine strenge gerichtliche Untersuchung ergab aber, die Aerzte aussagten, es seien Schafsknochen, gab sie Ratti angeblich Ermordete war am Leben. Die angebliche wunde hieben traktirt. Neues Gebein wurde aufgefunden, und obwohl daß die Aussage der Kinder eitel Lug und Trug war. Der für sie und legten ihnen Heiligkeit bei. Nur Picciotto blieb Menton doch als Beweisstücke aus, die Mönche lasen eine Messe Stelle am Leib des Mädchens war nur mit Blut bestrichen. standhaft und warf Ratti- Menton und dem Pascha mutig die schuldigte zwei Christen aus Düsseldorf , den Kindern die GeUnmenschlichkeit ihres Verfahrens vor. Picciotto war ein Neffe schichte eingetrichtert zu haben.( Aachener Zeitung 1840, Nr. 82) des Generalkonsuls von Aleppo und vom österreichischen Kaiser
Der angeklagte Jude wurde freigesprochen und ein Gerücht be
Während in Rheinpreußen
die Wahrheit bald an den Tag