130

Bur Frage des sogenannten Naturheilverfahrens, insbesondere der Schroth'schen Durstkur.

Von Dr. med. Nienburg.

Vor kurzem ging der Redaktion dieses Blattes ein Artikel zu, welcher das Schroth'sche Naturheilverfahren als eine wich tige Entdeckung der Neuzeit bis in den Himmel lobt. Das­selbe hätte, so wurde behauptet, schon an das Wunderbare gren­zende Kuren und Heilung auch solcher Krankheiten erzielt, die bisher( natürlich!) allen Aerzten zu widerstehen vermochte. Der Artikel schließt mit der Annahme, daß das Schroth'sche Natur­heilverfahren von den Medizinärzten deshalb ignorirt und unter­drückt wurde, weil dieselben befürchten müssen, daß diese durchaus unfehlbare Heilmetode die ganze bisher geübte Medizinkunde über den Haufen werfen könnte. Da aus diesen Worten ein sehr geringes Verständnis für das Wesen, Können und die Ziele der Heilkunde hervorgeht, welches überhaupt bei dem großen Publikum durch allerhand Schreier und Charlatane, schwindel­hafte Versprechungen und betörende Lobpreisungen in bedauer­licher Weise getrübt und verwirrt ist, so möge die Beleuchtung dieser wichtigen Entdeckung der Neuzeit - beiläufig etwa 50 Jahre alt und das Zurückführen der pomphaften und sieges­gewissen Sprache auf den kleinen und unbedeutenden Kern der Sache hier eine Stelle finden und zugleich als Beispiel dienen, wie sehr der Arzt Grund hat, solche hohle Worte zu belächeln und die armen Toren, die auf solchen Leimruten immer und immer wieder gefangen und gerupft werden, zu bedauern. Ehe ich von dem Schroth'schen Naturheilverfahren die Narrenkappe abziehe, muß ich mit einigen Worten auf Prießniß, den Vater des sogenannten Naturheilverfahrens überhaupt, zurückgreifen.

-

Auf dem Gräfenberg in österr. Schlesien 1799 geboren, wurde Vincenz Prießnitz bei einer Feldarbeit einst von einem Pferd geschlagen und ihm dabei einige Rippen eingedrückt. Prießnitz machte dabei in Ermangelung ordentlicher ärztlicher Hilfe auf eigene Faust Umschläge und Einwickelungen mit kaltem Wasser, wodurch er eigene schnelle Heilung und durch gleiche Behandlung von allerhand kranken Haustieren das allgemeine Vertrauen seiner Nachbarn und großen Zulauf erzielte. Mit Eifer und Ausdauer versuchte er es nun, die Wirkungsweise des segensreichen falten Wassers zu untersuchen und stellte zu diesem Zweck Experimente von beinahe rührender Naivität an, aus denen er mit glücklichstem Sanguinismus seine Schlüsse zog. Seine einfache, aber von einem festen, fast übergroßen Selbst­vertrauen getragene Art, deren moralischer Einfluß gewiß nicht zu unterschäzen ist, wußte sich so geltend zu machen, daß die naiven Gebirgsbewohner ihn als Auserwählten des Himmels betrachteten, sodaß die Kraft, welche die Kranken heilte, in ihren Augen nicht etwa von dem Wasser, sondern von seiner Persön lichkeit ausging. Bald kamen auch aus der Ferne und aus wohl habenderen Kreisen Leidende, die ohne Diagnose, ohne Rücksicht auf Krankheit, Alter, Geschlecht derselben Behandlung unter­zogen wurden.

Dieselbe umfaßte: eine bestimmte natur­gemäße" d. h. kräftige, derbe, reizlose aber reichliche Diät, starke Muskelanstrengung, Trinken großer Mengen von faltem Wasser und die verschiedenen Formen der äußeren Applikation desselben, worunter die allgemeinen und lokalen Bäder, die er­regenden Gürtelumschläge, die Douchen und Abreibungen die Hauptrolle spielen, endlich die schweißmachenden Prozeduren, 5. H. Einpackungen, welche bis zur Dauer von sechs Stunden und darüber getrieben wurden. Die Modifikationen, welche dieses Verfahren bei den einzelnen Fällen erlitt, bewegten sich, da Prießniz, dem Fanatiker seiner Sache, doch jedes Mittel eine Diagnose zu stellen abging, in sehr engen Grenzen, und so konnten denn üble Erfahrungen an Schwindsüchtigen und mit Herzfehlern Erkrankten nicht ausbleiben. Dadurch gewarnt, schloß Prießnitz hustende und an serösen Ergüssen Leidende, d. h. Wassersüchtige der verschiedenen Art und Form, bald von der Aufnahme in seine Behandlung aus. Der lebhaften Agi­tation gegen ihn ungeachtet, welcher diese Mißerfolge Nahrung

boten, erhielt Prießniß im Jahre 1830 von der Regierung die Bewilligung zur Eröffnung eines Heiletablissements nach seiner Metode. In diesem Jahr versammelte er dort 45 Kranke, aber die Zahl wuchs in fabelhafter Progression, und im Jahre 1840 beherbergte er deren bereits 1576, und sie mehrten sich von Jahr zu Jahr durch Zufluß aus allen Weltgegenden. Als mehrfacher Millionär starb Prießnitz im Jahr 1852 in einem Alter von nur 53 Jahren.

-

Eine von den vielen Abarten seiner gewiß ganz gefunden, vernünftigen und natürlichen Behandlungsweise ist die energische Durstkur des Bauern Schroth in Lindewies, einem unweit Gräfenberg gelegenen Dorf, welcher es unternahm, die von seinem Nachbar Prießniß mit Wasser überschwemmten Kranken durch eine energische Trocken-( Semmel)-Diät bei tagelanger Enthaltung jeglichen Getränkes wieder gründlich auszutrocknen. Er entdeckte plözlich, ohne erst viel nachzugrübeln, oder Versuche anzustellen, wohl im Hinblick auf die armen, bedauernsweiten Schäflein, die bei Prießniß keine Aufnahme mehr fanden und angeregt wahrscheinlich durch Prießniz' Lorbeeren und glänzende Einnahmen, der staunenden Welt ohne viel Federlesens seine Metode durch Austrocknen der schädlichen Säfte Kranke wieder gesund zu machen, und siehe da, das Publikum, das nun doch einmal den Weg auf den Gräfenberg gemacht, füllte auch die Dependence, und der bisherige, selbst dem Trunke etwas erge bene Bauer ist mit seiner Durstkur plözlich unter die Heiligen des Aeskulap als Wunder- und Wohltäter der Menschheit ver sezt. Schroth's Semmel- oder Durstfur hat zum Glück für das Publikum den Vollmond ihres Ruhmes schon hinter sich. Das ihr innewohnende Körnchen Weisheit der schon von den alten Arabern geübten Trockendiät, welche durch die im Körper geschaffene Revolution mehr oder minder flüssige Krankheits produkte und Ausschwizungen zur Aufsaugung bringen oder starke Entleerungen durch die Schleimhäute hemmen soll, vermag nicht das Fundament abzugeben für eine ganze Heilmetode, welche bei ihrer Einseitigkeit eine ungemein naive Auffassung von dem Wesen einer Krankheit und den physiologischen Vor gängen im lebenden Körper verrät. Diese Metode", die, wie es scheint, nur erfunden wurde, um dem glücklicheren Nachbar Prieß niß durch eine der seinen gerade entgegengesezte Behandlungs weise Konkurrenz zu machen, hat denn auch in keiner Weise die ausschweifenden Erwartungen befriedigen können, welche ihre Vertreter sich davon versprachen. Prof. Runge in Breslau zählt sie geradezu unter die barbarischen und abscheulichen Kuren, welche Leben und Gesundheit in hohem Grade gefähr den." Die bei ihr eingeschalteten, häufig zu den unwürdigsten Erzessen führenden Trinktage" bildeten eine nur trübe Erhel­lung des durch die Dursttage" gesezten beklagenswerten zu standes der armen Patienten. Zudem sind die mit Stolj vorgezeigten Ausscheidungen" in erfaltetem Urin nach solchen Dursttagen lediglich eine optische Täuschung, denn nur die Kon­zentration dieser Flüssigkeit nach dem Dürsten läßt die har ſauren Salze zu Boden fallen, während die absolute Menge derselben eher vermindert ist und gerade umgekehrt bei reich lichem Trinken vermehrt wird, aber sie bleiben im Urin gelöst, und dies hat jene Selbsttäuschung veranlaßt.

"

Nun und was behaupten denn die großen und Kleineren sogenannten Naturheilkünstler Neues, wodurch wußten sie sich zu ihrem großen Vorteil in Gegensaz mit den zünftigen Aerzten zu bringen? Nur die Natur heilt. Die Natur zeugt und erhält, und somit kann sie allein heilen." Durch diese mehr oder geklärte, rationelle Heilkünstler hin, die plözlich den Stein der minder glücklich variirten Schlagwörter stellten sie sich als auf Weisen gefunden und mitleidig auf die ohnmächtig in dunkler wissenschaftlicher Finsternis herumtappenden und herumprobirenden Zunftärzte herabblicken konnten. War dieser sog. Naturheilungs