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prozeß wirklich bisher den Aerzten unbekannt geblieben; glaubten diese im Ernst mit ihren Mittelchen damals freilich noch Maximaldosen den kranken Menschen gesund machen zu fönnen, hat ein Arzt überhaupt wohl je eine andere als Natur­heilung angestrebt? Auch die ärztliche Behandlung bestrebt sich nur, die Natur zu unterſtüzen und dem in jedem noch le­bensfähigen Organismus innenwohnenden und, wie der der Selbst­erhaltung, sich geltend machenden Triebe, etwaige Störungen in den Funktionen der einzelnen Organe von selbst und durch eigene Kraft auszugleichen, etwaiges Fremde und Unreine in Blut und Säften durch sich selbst auszustoßen, fördernd und hilfreich zur Seite zu stehen.

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jezige Medizinkunde verdrängen und wie ein altes morsches Gebäude über den Haufen werfen wird", erscheint neben der Ernsthaftigkeit der Anforderungen, wie sie oben an die Jünger der Heilkunde gestellt werden und der sittlichen Würde der Auffassung vom ärztlichen Beruf wie der barste Unsinn und eine Leugnung jeglichen Fortschrittes auf geistigem Gebiet über­haupt. Nur der Mensch leistet bewußten aktiven Widerstand in dem Riesenkampf des ewig waltenden Naturgesezes der Ver­nichtung gegen Leben und Gesundheit, den die nimmerrastenden Kämpen jenes Elementargesezes, Krankheiten und Seuchen, gegen das Menschengeschlecht führen seit Erschaffung der Welt, mit gleichem Mut, aber nicht mit gleichem Erfolg. Allerdings sterben die Menschen heutzutage noch ebenso wie vor tausend Jahren, und das wird die ärztliche Kunst niemals ganz ver­hüten. Aber schon ein flüchtiger Blick in die statistischen Auf­zeichnungen über die Sterblichkeitsverhältnisse von einst und jezt zeigt, daß bei fortschreitender Kultur die Mortalität sich ver­ringert. Es ist die Sterblichkeitsziffer in verschiedenen Ländern, zumal wenn diese auf verschiedener Kulturstufe stehen, sehr ver­schieden. Im ganzen nimmt sie mit der Ausbildung höherer geistiger und gesellschaftlicher Kultur ständig und beträchlich ab. So starben in Frankreich 1770-74 alljährlich 1 unter 32 Ein­wohner, 1817-30 1:40, 1850 1:46, während in Rußland die Sterblichkeitsziffer noch jezt 1:32 beträgt.

Was die Lebensdauer angeht, so starben Ende des vorigen Jahrhunderts von 100 Menschen 50% unter 10 Jahren, bis zum 50. Jahr 74%, bis zum 60. Jahr 82%, jezt in dem­selben Lebensalter nur 38, 65 und 77%. Die mittlere Lebens­dauer betrug Ende des vorigen Jahrhunderts 27( in Preußen) bis 30( Baiern) und 37( Hannover ), nach den neuesten statisti­schen Erhebungen wird sie jezt in Deutschland auf 39 Jahr berechnet. Diese Zahlen sprechen für sich und sind nicht zu­fällige. Trozdem vermeint ein jeder, der imgrunde weder logisch

Glücklicherweise hat die arme Menschheit nicht erst auf das 19. Jahrhundert, das der Aufklärung, warten müssen, ehe den mit Blindheit geschlagenen Aerzten das Licht der Weisheit von den Bauern Prießniz, Schroth u. a. aufgesteckt wurde. Schon um das Jahr 400 vor Chr. schreibt Hippokrates von Kos , der größte Arzt des Altertums: Folge der Natur, sie ist der Arzt der Krankheit." Und weiter:" Je mehr man unreine( franke) Körper nährt, desto mehr schadet man ihnen. Ungesäumt müssen sich solche Stranke, bei denen das Fieber mit größerer Heftig feit auftritt, einer sehr mageren Diät unterwerfen." Nun aber in folgendem unterscheidet sich der denkende, wissenschaftliche Arzt von dem nach der Schablone kurpfuschenden Bauern: Man prüfe aber zugleich die Kräfte des Kranken, ob sie imstande sein werden, diese magere Diät bis zum höchsten Grad der Krankheit hin auszuhalten. Oft tut völlige Beraubung recht gut, wenn die Kräfte des Kranken es irgend aushalten können. Man muß aber allemal bei diesen Regeln auf die Stärke und den Gang einer jeden Krankheit, auf die Konstitution und die gewohnte Lebensweise sowohl in Rücksicht der Speise als des Getränkes aufmerksam sein." Auch die physiologische Wirkung des Wassers von verschiedener Temperatur ist Hippokrates wohl bekannt. Er spricht zuerst die Behauptung aus, daß kaltes Wasser wärme, warmes fühle. Er kennt Begießungen und Ab­reibungen. Warme Begießungen erzeugen Schlaf, bei Ohn­machten nüzen kalte. Mit Begießungen behandelt er Gelenk­leiden, Gicht, den Starrkrampf und fieberhafte Krankheiten. Hippokrates war vor allem Praktiker, der nicht durch das Neue und noch nie Dagewesene seiner Behandlungsmetode seinen Mit­menschen imponiren, Ruhm und Geld zu verdienen suchte, son­dern auf die vollkommenste Weise ihnen helfen und ihre Leiden lindern wollte und durch ruhige schlichte Individualisirung und Beurteilung aller bei einer Krankheit inbetracht kommenden Ver- sind. Würde in den Schulen allgemein, nicht nur ausnahms­hältnisse sich als denkender Arzt bewies.

Um das zu können bedarf es Bildung und Erziehung des Geistes und Verstandes, Uebung der Sinne und einige medizi nische Vorkenntnisse. Man höre, was Sonderegger, ein medizinischer Schriftsteller der Gegenwart, für Anforderungen an den jungen Arzt stellt: Helle Augen und feine Dhren mußt du aber mitbringen, ein großes Beobachtungstalent und Geduld und wieder Geduld zum endlosen Lernen, einen klaren kritischen

ein warmes bewegliches Herz, das jedes Weh begreift und mitfühlt, moralischen Halt und sittlichen Ernst, der die Sinn lichkeiten, das Geld und die Ehre beherrscht, nebenbei auch ein

urteilen, noch seine Gedanken in verständiger und verständlicher Weise zum Ausdruck bringen kann, über wissenschaftliche Fragen mitsprechen, ja seine eigenen Ansichten" über diese und jene medizinische Behandlungsmetode zur Geltung bringen und über allerhand sanitätspolizeiliche Anordnungen ins Blaue hinein ein Urteil fällen oder nun gar ein neues Heilverfahren entdecken zu können. Wahrhaftig, selig sind die Einfältigen! Bekanntlich ist der Mensch um so bescheidener, je mehr er sich in die Wissen­schaft vertieft hat, und umgekehrt sind Leute um so sicherer in ihrem Urteil und Auftreten, je unwissender und urteilsunfähiger sie

weise, wie wohl in etlichen höheren Lehranstalten*), statt mancher mit biblischer Geschichte und Auswendiglernen von sinnlosen

Gesangbuchverſen nuzlos vergendeten Stunde, der Jugend nur

ein flüchtiger Einblick gewährt in den Bau unseres Leibes und

die Funktionen der einzelnen Organe, die Grundzüge der Körper­

und Gesundheitspflege, eine kurze Anweisung im ersten Sama­riterdienst bei plözlichen Unglücksfällen und der naturgemäßen

Krankenpflege gegeben, dann würde bald auch ein tieferes Ber­ständnis plaggreifen für das ärztliche Können und die Biele der

medizinischen Wissenschaft.

Solange dies Verständnis noch fehlt, möge die Menschheit

denjenigen vertrauen, welche ihr ganzes Leben diesen Dingen anständiges Aeußere, Schliff im Umgang und Geschick in den weihen und durch ihren Bildungsgang Gewähr dafür leisten, Fingern, Gesundheit des Leibes und der Seele, das alles mußt eine so komplizirte lebende Maschine, wie es der menschliche du haben, wenn du nicht ein unglücklicher oder ein schlechter

Arzt werden willst. Du mußt die Kameellast des Vielwissens

Charlatan und Schreier vertrauensselig nachlaufen und deren

schleppen und die Frische des Poeten bewahren, du mußt alle Ausbeutung immer wieder von neuem zum Opfer fallen. Solange

die Dummen nicht alle werden, solange wird es auch stets solche geven, die auf die Dummheit der Menschen spekuliren, nicht

Künste der Charlatanerie kennen und doch dabei ein ehrlicher Kerl bleiben. Die Medizin muß deine Religion und deine Politik, dein Glück und dein Unglück sein. Sie ist der erhabenste aber umgekehrt.

Beruf oder das erbärmlichste Handwerk." Eine plözliche Er­leuchtung, ein zufälliges Entdecken einer neuen Heilmetode wie die Schroth'sche, von der zu erwarten steht, daß sie die ganze

*) In welchen? Wir haben nie von einer einzigen gehört, wo das in auch nur einigermaßen zweckgenügender Weise geschieht. D. Red.