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Luther   und die Volksbewegung seiner Zeit.

Von Rosus.

Angeregt war Karlstadt   durch die Lehren Thomas Münzers worden, eines der hervorragendsten und des jüngsten unter den Bewegungsmännern. Er war 1490 etwa zu Stollberg   im Harz geboren und hatte Luthers   erstes Auftreten mit Begeisterung begrüßt, nachdem er selbst bereits im Jahre 1515 als Probst eines Nonnenklosters bei Aschersleben  , und 1520 als Prediger an der Marienkirche zu Zwickau   bei der Messe von den Glau benslehren abgewichen war. Durch Luthers   mächtiges Auftreten zu neuem Studium angeregt, erkannte er jedoch bald, daß der Wittenberger   lange nicht so weit ging wie er und daß derselbe, obgleich er sich von der römischen Kirche losgesagt hatte, noch an vielen ihrer Glaubenslehren festhielt und sich gegen andere auf die Unfehlbarkeit der alten Kirchenlehre ebensowohl als auf die Bibel berief. Münzer schalt ihn daher einen Weichling, der dem zarten Fleische Kissen unterlege; er erhebe den Glauben zu sehr und mache aus den Werken zu wenig; er lasse das Volk in seinen alten Sünden und diese tote Glaubenspredigt sei dem Evangelium schädlicher als der Papisten Lehre. Nach Münzer, der in seinen Predigten immer auf ein tätiges Christentum drang, war ein völliger Neubau nicht nur der Kirche, sondern auch des Staates auf ganz neuen Grundlagen notwendig, und schon in Zwickau   war er mit sich im reinen, daß die Kirchen­reformation zur Nationalrevolution sich erweitern müsse. Von innigem, zur Mystik geneigten Gemüte, poetisch- exzentrisch wie er war, fühlte er sich von seinem Gott berufen, sein Volk zu befreien und zu rächen.

Wie ein grimmer Leu enthub Luther   sich seinem Asyl auf der Wartburg   und stürmte nach Wittenberg  , wo jezt zwischen ihm und den eigenen Glaubensgenossen ein Kampf entbrannte, aus dem der Karakter des Reformators nicht ohne manchen dunklen Flecken hervorging. Auch Karlstadt   kam dorthin. Die kirchlichen Neuerungen desselben konnte Luther   zwar nicht tadeln, und er selbst führte sie später wieder ein und weiter aus; aber es verdroß ihn, daß ihm jener zuvorgekommen und in sein Reformationswerk, das er nun schon als seine ausschließliche Domäne betrachtete, eingegriffen hatte. Er sähe, sagte er, nichts sonderlich Unrechtes in den kirchlichen Neuerungen, nur daß der Satan zu sehr auf Eile gedrungen habe. Es gebühre nicht einem jeden alles, was recht sei, anzufangen, sondern es sei genug, daß einer das recht tue, was ihm befohlen sei. Sv sezte er denn durch sein Ansehen und seine gewaltige Predigt eine völlige Reaktion gegen alles durch, was Karlstadt   neues begonnen hatte.

Karlstadt   wandte sich darauf nach Orlamünde  , wo er von dem Volke mit offenen Armen aufgenommen, aber von Luthers  Anhang wieder vertrieben wurde. Auch erwirkte es Luther  ,

daß es ihm verboten wurde, öffentlich zu reden und zu schreiben und daß seine schon gedruckten Schriften unterdrückt wurden. Damit noch nicht zufrieden, griff er den wehrlosen Gegner in einer Predigt zu Jena   auf das heftigste an und schalt ihn einen aufrührerischen, mörderischen Geist, obgleich er die Unwahrheit seiner Beschuldigung kannte, und es Karlſtadt   gegenüber selbst einräumte, daß er dessen offenes Sendschreiben an die Orla­münder, worin er sie von aller Gewalttätigkeit gegen den Be­dränger des Evangeliums abmahnte, gelesen hätte. In Wirk­lichkeit war Karlstadt   durchaus kein Mann der Tat, und als Luther   selbst nach Orlamünde   kam, mußte er vor dem über sein Verfahren empörten Volke aus der Stadt flüchten. Die Folge davon war, daß Karlstadt   und sein Freund, der Prediger Rein­hard, aus Sachsen   verwiesen wurden. Luthers   Ingrimm er­

( Schluß.)

wo er flüchtend von Stadt zu Stadt eilte, denn der Markgraf Casimir ließ auf ihn fahnden, bis er endlich eine Zufluchts­stätte in Rotenburg   am Tauber fand. Aber auch hier durfte er nicht öffentlich auftreten, und es wurde ihm verboten, etwas drucken zu lassen.

Wie gegen ihn, so verfuhr Luther   auch gegen Thomas Münzer, und als dieser zulezt nach Nürnberg   ging, weil er von hier aus dem Reformator antworten zu können glaubte, ließ der Rat alle Exemplare der Schrift, deren er habhaft werden konnte, wegnehmen, den Drucker ins Gefängnis werfen und Münzer aus der Stadt treiben. Die Schrift gab denen Luthers   an Grobheit und Heftigkeit nichts nach und unter anderem hies es darin:" Noch bist du verblendet und willst doch der Welt Blindenleiter sein? Du hast die Christenheit aus deinem Augustinus   mit einem falschen Glauben verwirrt und kannst sie, da die Not hergeht, nicht berichten. Darum fürchtest du den Fürsten  . Du meinst aber, es sei gut worden, so du einen großen Namen überkommen hast. Du hast gestärkt die Gewalt der gottlosen Bösewichter, auf daß sie ja auf ihrem alten Wege blieben. Darum wird dirs ergehen, wie einem gefangenen Fuchs. Das Volk wird frei werden, und Gott will allein Herr darüber sein."

mit

Auf allen Straßen sah man evangelische Geistliche als Flücht linge ziehen, die Luther   ihres Amtes in den kaum gebildeten protestantischen Gemeinden entse zt hatte. Was er an katolischen Fürsten und Regierungen als gottlose Gewalttat und Geistes­tyrannei schalt, das erlaubte er sich jezt selbst rücksichtslos gegen seine evangelischen und katolischen Gegner und bewaffnete seinem Zorn die Polizei der ihm günstig gesinnten Fürsten und freien Reichsstädte. Seitdem ihn der Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen   auf der Wartburg   vor seinen Feinden in Sicherheit gebracht hatte, stüzte er seine Hoffnung, die Refor mation zu einem glücklichen Ende zu bringen, auf die Fürsten  . Erfolg und Fürstengunst machten ihn blind. Das Recht der freien Prüfung der religiösen Wahrheiten, von dem er aus gegangen war, bestritt er den anderen, sobald sie von seiner Ansicht abwichen oder über dieselbe hinausgingen. Abgesehen davon, daß er dadurch mit sich selbst in Widerspruch geriet, hemmte er damit den Fortschritt der Reformation und blieb za am Buchstaben kleben, den er mit der ganzen Heftigkeit und unduldsamkeit seines Karakters verteidigte. Herrschsüchtig und despotisch, wie er war, zwang er seine Auffassung der Glaus benslehre, die von ihm festgestellte Form des Gottesdienstes den jungen, kaum gebildeten Gemeinden als die einzig wahre auf und bekämpfte und verfolgte jede Abweichung davon als Kezerei mit Wort und Schrift und Polizeigewalt. Er hatte die unfehl barkeit der Konzilien bestritten und hielt sich nun selbst für unfehlbar. Indem er aber seine Person zum Mittelpunkte der religiösen Bewegung machte und jede. Verständigung mit Karl stadt und Münzer, sowie mit den Reformatoren Calvin   und Zwingli   zurückwies, beraubte er diese Bewegung der Einheit und drängte jene feurigen und karakterfesten Männer, die lieber in die Verbannung gingen, als daß sie seinem Glaubensdespo tismus sich gefügt hätten, auf Seite der blutigen Revolution.

Wenn jemand dieselbe zu einem guten Ende hätte wenden können, so war er es, denn überall zeigten sich die Bauern willfährig, ihr Recht auf gütlichem Wege gegen ihre Herren zu suchen und mit ihnen sich zu vergleichen, und griffen erst z den Waffen, als sie die Nuzlosigkeit der Unterhandlungen und die Unaufrichtigkeit ihrer Herrschaften erkannten. Selbst nachdem reichte aber den höchsten Grad, als Karlstadt   nun gegen seine sie sich bereits erhoben hatten, zeigten sie sich noch einem billigen Lehre vom Sakrament auftrat, die leibliche Gegenwart Ehristi Ausgleich geneigt, wo ihnen ein solcher geboten wurde. Leider im Abendmahl lengnete und für seine Ansicht die ersten Männer war es den Herren nimmer Ernst damit; sie suchten die Bauern

am Oberrhein, wohin er gegangen war, und selbst Zwingli  ,

nur durch Unterhandlungen hinzuhalten, oder wenn die Not fie gewann. Von Oberbaiern wandte Karlstadt   sich nach Franken, zum Abschluß von Verträgen zwang, so wurden sie doch von