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9.

Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.

Erscheint alle 14 Tage in Heften à 25 Pfennig und ist durch alle Buchhandlungen und Bostämter zu beziehen.

9. Kapitel.

Die Alten und die Neuen.

Roman von. Kautsky  .

Gräfin Dönhof hatte Elsa in ihr kleines Boudoir geführt. Die Kammerfrau und die Jungfer waren bemüht, die Damen ihres reichen Puzes und Schmuckes rasch zu entkleiden.

Die Gräfin hatte eine weite wattirte Hausrobe übergeworfen und hierauf die Dienerschaft hinausgeschickt.

Es war Mitternacht und in dem großen alten Palais mit seinen dicken Mauern und den mit Teppichen belegten Räumen herrschte lautlose Stille.

Man hörte das leise Zusammenbrechen der verbrannten Holzreste im Kamin, der eine schwache rötliche Glut durch den mit Kerzenlicht nicht hinlänglich erleuchteten Raum entsendete. Elsa stand an diesem Kamin und wand die lezten Rosen aus ihrem Haar, das nun entfesselt, in seiner goldigen Pracht ihr über die weißen Schultern wallte.

Ihre Arme, ihr Hals waren jedes Schmuckes entblößt, die reizenden Spizenborten, die hoch hinaufgezogen, ihre Büste zum Teil verhüllt hatte, war sammt den Schleifen und Blumen bereits entfernt worden, und sie stand nun in dem einfachen, tief dekol= letirten weißen Kleide da, das ihre jungfräulichen Formen in ihrem vollen Reiz erkennen ließ.

1884.

( 8. Fortsezung.)

Elsa besaß nicht die lächerliche Unerfahrenheit so vieler Mädchen in ihrem Alter; was man vor diesen ängstlich zu ver­bergen trachtet und in das Dunkel des Geheimnisses hüllt, darüber hatte ihr Vater sie frühzeitig aufgeklärt. Die Vor­gänge, die in der Natur bei hohen und niederen Organismen die Fortpflanzung der Gattung sichern, und die in Unzahl vor­handenen Keime des Lebens zur Reife, zur Trennung aus dem Mutterschoße und zur Selbständigkeit gelangen lassen, hatte er seinem Kinde mit allem Ernst und mit aller Würde auseinander gesezt. Ohne zu erröten hatte sie dies entgegengenommen. Und warum sollte auch, was in der Natur begründet, was ihr Wesen

selbst ist, einen keuschen Sinn verlezen?

Aber hier aus dem Munde der Gräfin hörte sie halbe Worte,

versteckte Anspielungen, hörte von Unittlichkeit und sträflicher

Gier; zum erstenmale hörte sie von den entarteten Lüsten, von schamloser Verführung, die allein das Opfer, das unschuldige Opfer entehrt, und sie schauderte und ihre Wangen glühten vor Scham und Empörung. Und was sie gestern nur undeutlich

noch begriffen, heute verstand sie es, ihr war ja der deutlichſte

Kommentar zu diesem allen geworden, sie hatte die lebendigste Illustration des Lasters vor ihren Augen gehabt. Aber ihr schien, als wäre sie selbst davon beschmuzt, verunehrt, und jezt warf sie, als müsse sie sich vor sich selbst verhüllen, beide Hände

Sie hatte keinen Blick für ihr leibliches, liebliches Selbst. Sie sah nach der Gräfin hinüber, die in einem bequemen Lehnstuhl sich niedergelassen, und sie horchte den geheimnisvollen vor ihr erglühendes Gesicht. Worten, mit denen diese begann, das Mädchen in die Sünde einzuweihen und sie davor zu warnen. Eine halbe Stunde später befanden sich die beiden noch an derselben Stelle.

text, und in nervöser zitternder Erregung flocht sie die goldigen Elsa hatte die Blüten, die sie auf die Knie gelegt, entblät­Strähne ihrer Haare über die schlanken Finger.

Ihre Pulse klopften, was sie hörte, hatte ihre Exaltation

noch gesteigert.

Auch Gräfin Natalie schien durch ihre eigenen Ausführungen in Erregung versezt, und sie sprach noch fort.

Sie schilderte dem jungen Mädchen die Sünden der Welt,

Genug Tante, genug! ich will nichts weiter hören, mir graut vor dieser Welt, der ich entfliehen möchte, mir efelt davor!"

Die Gräfin erhob sich von ihrem Stuhl und trat auf sie

zu; ein tiefes Mitleid sprach aus ihren Zügen.

Armes Kind! Immer ist Weltverachtung das Produkt der

Erfahrung; sie konnte dir nicht erspart bleiben. Aber ein reiner Sinn wendet sich entsezt von den Menschen und ihrem niedern Treiben hinweg. Zur Einkehr in dich selbst, zu stillen und frommen Betrachtungen will ich dich führen, die dir den Frieden der Seele wiederbringen werden." Die Augen der alten Dame

"

welche schändliche Sinneslust gezeitigt, und welche durch die wandten sich in schwärmerischer Exaltation nach oben. Glaube moderne Verderbtheit, der nichts mehr heilig ist, zu alltäglichen, mir, mein Kind, und du mußt es ja selbst im Innersten fühlen, zu gewöhnlichen geworden waren.

Rr. 9. 1884

GD

der Menschengeist kann nur durch höhere übernatürliche Be­