und Drakel, weil er immer in eine ziemlich ungewisse Zukunft blickt und mit allem Nachdenken nichts sicheres darüber zu sagen bermag. Er sucht daher im Flug der Vögel, im Benehmen seiner Arbeitstiere, in der Stellung der Sterne Rat.

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Es ist dieselbe Erscheinung, als wenn eine tiefe Leidenschaft, wie die Liebe, zu alten Ahnungen und Weissagungen greift. Auch das Schicksal in der Liebe ist ja meist unberechenbar und rätselhaft. Ob man Gegenliebe findet, ob man in der Ehe glücklich sein, oder ob Untreue oder Tod die Bande zerreißen wird, an welchen das Glück des Lebens hängt; wer will es borhersehen? Wie auf tieferen Stufen der geistigen Entwick­lung der Mensch in seiner Hilflosigkeit und Unfähigkeit, aus gegebenen Ursachen auf die kommenden Wirkungen zu schließen, unzähligen unbestimmten Kräften und Geistern einen Einfluß auf sein Schicksal zuschreibt, wie der Flug der Vögel ihm Glück oder Unglück prophezeit, wie die Stellung der Sterne entscheidet, ob seine Lebensbahn empor zu den sonnigen Höhen des Glückes oder abwärts in die Tiefen des Elends führt, wie er aus dem Klang des Schlachtenrufes den Ausgang des Kampfes hört. im Fall der Loose den Willen der Götter erkennt so flammert sich auch die Liebe in ihrer Ratlosigkeit an ähnliche äußere Anzeichen an. Die noch so verständige und fühle Ueberlegung bermag die Fragen nicht zu beantworten, welche das bangende Herz täglich und stündlich, bald in jauchzender Zuversicht, bald in trüber Hoffnungslosigkeit aufwirft. Und wie das Herz ganz erfüllt ist mit seiner Leidenschaft, wie die Liebe alle Gedanken des jungen Mädchens ausfüllt, so bezieht sie auch alle Er­scheinungen der Natur und des täglichen Lebens auf sich. Alles scheint mit der Liebe in geheimnisvoller Verbindung zu stehen, sie zu fördern oder zu hemmen; eine Menge oft lächerlicher Regeln muß daher beobachtet werden. Die Mädchen müssen Die Mädchen müssen immer ganz herumstricken, ehe sie aufhören, sonst bleibt ihnen ber Schaz nicht treu. Liebende dürfen einander keine Schuhe schenken, weil sonst die Liebe zerlatscht" wird, kein Buch außer dem Gesangbuch, weil sonst die Liebe verblättert" wird, keine Scheere, Messer oder Nadeln, weil sonst die Liebe durchschnitten und zerstochen wird, keine Perlen, denn diese bedeuten Tränen. Liebende dürfen nicht von einer Frucht essen, von der ein Teil schon abgebissen ist.

hälfte vor, dabei darf man aber ja kein Wort sprechen. In vielen deutschen Gegenden klopft das Mädchen in der Neujahrs­oder Weihnachtsmitternacht an den Hühnerstall, meldet sich zuerst der Hahn, so macht das Mädchen in dem Jahre Hochzeit; meldet sich die Henne, so bleibt sie ledig. Sie spricht dabei im Erzgebirge   und im Vogtlande: Gackert der Hahn, so krieg ich en Man, gackert die Henn', so krieg ich noch kenn." Oder sie pocht in der Christnacht an den Schweinestall; regt sich nichts, so bleibt sie noch ein Jahr ledig; grunzt das alte Schwein, so bekommt sie einen älteren Mann; quieft ein jüngeres, so bekommt sie einen jungen. In anderen Gegenden herrscht die Gewohnheit, in gewissen Nächten die vierundzwanzig Buch­staben mit Kreide an die Tür zu schreiben und dann mit ver­bundenen Augen danach zu fassen; der gewählte Buchstabe ist der Anfangsbuchstabe vom Namen des künftigen Geliebten. Im Thüringischen   zünden die Mädchen, besonders zu Sylvester, Flachswickel vom Rocken an; steigen sie aufwärts, so bedeutet das Glück in der Liebe; oder sie legen zwei solcher Flachs­kugeln, die Liebenden bezeichnend, auf den Tisch und zünden sie unter einem Reimspruch an; fliegen sie beide brennend in die Höhe, so heiraten sich die beiden.

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Die lezten Beispiele sind besonders interessant. Sie zeigen nämlich, wie Gebräuche und Drakel, welche ursprünglich mit dem feierlichsten Ernste ausgeübt und in ihren Ergebnissen nie angezweifelt werden, im Laufe der Jahrhunderte einer tiefen Wandlung unterliegen und als heitere Spiele sich erhalten und weiter ausbilden. Das Anbrennen von Flachskugeln, das Bleigießen und ähnliches haben ihr altes Ansehen als untrüg­liche Mittel der Wahrsagung fast ganz eingebüßt, aber sie werden doch der Unterhaltung wegen an langen Winterabenden noch ausgeübt. Betrachten wir nun unsere Spiele, der Erwachsenen sowohl wie der Kinder, etwas näher, so ergibt sich das über­raschende Resultat, daß sie zu einem großen Teil Ueberlebfel von alten Zeremonien und Sitten und daher für das Studium der Sittengeschichte wahre Fundgruben sind.

Der Beweis ließe sich eingehend erbringen für viele unserer Hazardspiele; so für das Würfel- und Lotteriespiel. Ich fürchte aber, die Geduld der Leser dadurch zu sehr in Anspruch zu nehmen. Ich will jedoch im Vorübergehen darauf hinweisen, daß das Loos wahrscheinlich nur in feierlicher Stunde und zu

Willen der Götter fällt, benuzten es die Wilden, um aus einer Gesellschaft den Dieb herauszufinden. Bei Homer   fleht die Menge mit erhobenen Händen zu den Göttern, während die

Loos

um zu erfahren, wer zuerst mit Hektor   zum Kampfe gehen und dem wohlumſchienten Griechen helfen soll. Noch heute ent­scheiden die Hindus Streitigkeiten, indem sie vor einem Tempel das 2003 werfen und dabei unter dem Rufe: Laß Gerechtigkeit walten! zeige den Unschuldigen!" zu den Göttern flehen. Bei den Chinesen finden wir profanen und heiligen Gebrauch neben­einander. Sie spielen mit Loosen um vaares Geld und Zucker­wert, aber sie holen sich daneben noch feierlich Rat bei den

Wenn es das Mädchen aber in den engen Mauern des Hauses und der Stadt, bei den täglichen Beschäftigungen nicht wichtigen Zwecken in Anwendung kam. Weil dasselbe nach dem mehr leidet, wenn es vor seinen eigenen Gedanken Ruhe und Trost in der freien Gottesnatur sucht, dann scheint alles in Wald und Feld und Wiese neu zu leben und zu weben, um die Rätsel ihrer Liebe zu lösen. Die Vögel rufen im Frühling Helden im Helm des Atreiden Agamemnon   die Loose schütteln, aus, wieviel Jahre es noch bis zur Hochzeit warten muß, der Wald rauscht sein ewiges Lied, um ihr Glück oder Unglück zu zuraunen, die Fluren schmücken sich mit Blumen, damit das Mädchen aus der Zahl der Blätter erraten kann, ob sie geliebt wird oder nicht. Die alte Vorstellung von den geistbeseelten, gottgeweihten Bäumen gewinnt wieder Lebenskraft: in stiller Nacht schleichen die ländlichen Schönen in den Garten, klopfen dreimal an den Baum und sprechen: Bäumchen, ich schüttle dich; was ich frieg', das regt sich" und horchen, ob ein in dem­selben wohnender Geist Antwort gibt. Da hören sie etwa ein Klopfen und schließen daraus, daß ihr künftiger Mann ein Schmied oder Schuhmacher sein werde. Das Mädchen, dem der Geliebte lau wird, wendet sich an den Mond mit den Worten: .Grüß dich Gott, lieber Abendstern; ich seh' dich heut' und allzeit gern; scheint der Mond übers Eck, meinem Herzaller­liebsten aufs Bett; laß ihm nicht Rast, laß ihm nicht Ruh, daß er zu mir kommen mu( muß);" oder: ei du mein liebster Abendstern, ich seh dich heut und allzeit gern; schein hin, schein durch Diebe zu entdecken. her, schein über meins Herzallerliebsten sein Bett, daß er nicht raftet, nicht ruht, bis er an mich denken tut." wird ohne Skrupel selbst der Teufel der Liebe dienstbar gemacht. Am Andreasabend legt sich das neugierige Mädchen oder Bursche zurückweisen. umgekehrt ins Bett, den Kopf am Fußende, und sagt dabei: " Ich lege mich nieder in des Teufels Namen!" Um Mitter­nacht stellt dann der Teufel dem Fragenden die künftige Ehe­

Am Rhein  

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Loosen, welche zu diesem Zweck im Tempel aufbewahrt werden. Noch im siebzehnten Jahrhundert war in Europa   der Glaube weit verbreitet, das Loos sei ein Wert von Gottes besonderer und unmittelbarer Vorsehung, ein heiliges Drakel, ein göttliches Urteil oder Richterspruch; ein leichtsinniger Gebrauch sei daher ein Mißbrauch des Namens, Gottes und somit ein Vergehen gegen das dritte Gebot."- Auch die Würfel dürften ursprüng­

lich nur zu Gottesurteilen und Gottesgerichten gebraucht worden sein. Die Negerzauberer werfen noch jezt die Würfel, um da­

Das alles sollte nur flüchtig gestreift werden. Leicht kann sich aber jeder Leser selbst davon überzeugen, daß unsere Kinder­

spiele nicht selten auf früher ernst gemeinte Beschäftigungen

Unsere Kinder ahmen bekanntlich die Erwachsenen in ihrer Umgebung beständig nach. Sie fahren im Spiel auf der Eisen­

bahn, wobei dieselbe Heine Berjon oſt Maschine, Wagen,