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borgensten Regungen zu belauschen, erinnert er lebhaft an den " großen Herzenstündiger" Shakespeare .

die Naturwissenschaft und in ihr wiederum Anatomie und Phy­fiologie. Seziren ist seine Liebhaberei. Welch ein prachtvoller Körper, ruft er beim Anblick einer dekolletirten Schönen, das wäre ein Exemplar für den Sezirtisch. Er ist fest über­zeugt, die Partei zu repräsentiren, auf deren Schultern die Zukunft seines Vaterlandes ruht. Auf den Vorwurf: Aber erlauben Sie, Sie verneinen alles, Sie zerstören alles" lautet seine Antwort: Das geht uns nichts an, zunächst muß reine Bahn gemacht werden.

An Bassarow und seinen Freund Arkadi drängt sich noch ein lächerlicher Stuzer, die Karikatur des Nihilismus, und eine Emanzipirte.

Das sind die Söhne", d. h. die Vertreter einer neuen Weltanschauung, das junge Rußland . Ihnen gegenüber ver­treten die Väter" die gute alte Zeit" in verschiedenen Schat­tirungen.

Wir haben an Turgenjew noch eine weitere glänzende Seite zu bewundern: seine Meisterschaft als Sprachbildner und Sprach­bereicherer. Sein Stil, sagt Glagau, übertrifft den seiner beiden Vorgänger noch an Glätte und Präzision, seine Sprache ist noch musikalischer und hinreißender. Für ihn scheint es kaum Schwierig­keiten und Hindernisse zu geben; wenn er etwas sagen will, so weiß er auch stets den bezeichnendsten und erschöpfendsten Aus­druck dafür zu finden. Für ihn ist die Sprache ein Instrument, dem er jeden beliebigen Ton zu entlocken weiß, auf dem er mit vollendeter Virtuosität alle möglichen Weisen spielt, mit dem er die Herzen der Hörer bewegt und lenkt. Und doch ver­schmäht er alle prunkenden Worte und bloßen Redensarten, in allen seinen Schriften ist keine leere Phrase, keine abgeblaßte Floskel zu finden. Seine Sprache ist eine einfache, aber von

Die erschütternden nationalen Kämpfe und Krämpfe einer Beit und Generationen voller Wehen und Wirren, ist der un­erschöpflich variirte Objektkreis, in dem sich Turgenjews Poesie in idealer Hinsicht bewegt. In dieser Beziehung zeichnet sich besonders der Roman Väter und Söhne" aus, der nach der formalen Seite vielleicht die vollendetste Leistung des Dichters ist und nach dem Tagebuche eines Jägers das meiste Aussehen machte. Die Erzählung fließt ununterbrochen und beschwingt dahin, alles blos Episodenhafte ist vermieden, alles tritt klar und deutlich zu Tage. Wir haben hier das abgerundete Bild einer bestimmten Kulturepoche; der Wirrwarr und die Ver­legenheit, welche die großen Reformen, die so lange an den Grenzen Rußlands aufgehaltene, jezt aber in hohen Wogen hereinbrechende moderne Wissenschaft zunächst hervorrufen, sind treu und anschaulich geschildert. Der Roman, zuerst 1862 er­schienen, ist schon dadurch von hervorragend kulturgeschichtlicher Bedeutung, daß in ihm zuerst das Wort Nihilismus" auf­taucht, als Bezeichnung einer Weltanschauung, die darin ver­treten wird durch zwei Studenten, deren einer sich allerdings nur durch das imponirende geistige Uebergewicht des andern auf diese Bahn hat lenken lassen, während der andere, Bassarow, den Nihilismus - den teoretischen übrigens, nicht den prakti­schen -vom Wirbel bis zur Zehe repräsentirt. Es ist eine merkwürdige Figur, dieser Bassarow, eine ernſte, tiefe, männ liche Natur von scharfem, kalten Verstand und doch voll warmen und edlen Gefühls, das sich aber nicht gern auf der Oberfläche zeigt und oft von schroffen, ja zynischen Reden maskirt wird. Er ist geistreich und von schlagendem Wiz, selbstbewußt und beſtimmt im Urteil, burschifos, ungenirt in seinen Manieren, aber mit Taft und Geschmack. Er hat die Kühnheit, an nichts zu glauben, und ist der geschworene Feind aller Autoritäten wie aller Romantit, und hierin so einseitig, daß er, obgleich ein großer Verehrer der Frauen und der weiblichen Schönheit, die Liebe im idealen oder romantischen Sinn für ein Hirn gespinnst und für eine unverzeihliche Narrheit erklärt. Ritter­liche Gefühle stellt er auf gleiche Stufe mit Mißgeburten und Krankheiten und er drückt seine Verwunderung darüber aus, und Troubadours nicht ins Narrenhaus gesperrt habe. Gefällt dir eine Frau," lautet seine Lebensregel, so suche, ihre Zu­neigung zu gewinnen. Gelingt dir das nicht, so gehe deiner Wege; die Erde hat Raum für alle"; welche Marime, bei­läufig bemerkt, ganz gewiß nicht die unvernünftigste ist. Dennoch erfaßt ihn eine leidenschaftliche Glut zu einer vor-., Himmel! Ihre Leser sind ja doch keine Löwen oder Tiger! Ich nehmen Dame, aber mit männlicher Kraft bringt er sein auf rührerisches Herz zum Schweigen und bereitet sich, voll Re- ewigen Dualen erwartet und jede Hoffnung auf eine Genesung signation und Selbstbeherrschung, auf seinen Beruf als Kreisarzt bor . Ein Mann, sagt er ein andermal, der sein ganzes Leben auf die Karte einer Frauenliebe gesezt hat und der, wenn diese

jener edlen Einfachheit, die nur einem echten Dichter und einem originellen Geist zu Gebote steht und mit der es kein zusammen­getragener Schmuck aufnehmen kann.

Es ist von wehmütigem Interesse, aus dem Bericht einer russischen Wochenschrift eine der lezten Aeußerungen des Dichters zu hören. Ich besuchte Turgenjew ," so erzählt der Heraus­Paris), und mit Ueberzeugung sagte er mir: Ich bin nur noch

geber der Zeitung, in der Viardotschen Villa in Bougival ( bei

eine Ruine. Schon seit einem halben Jahr nährte er sich nur

von Milch; alles andere verursachte ihm Uebelteit. Schlaf fand

er nur noch mit Hilfe von Morphium. Er war so schwach,

daß man ihn vom Bett heben und in einen Seſſel tragen mußte,

um ihn umherzufahren. Als ich zulezt fragte, ob er nicht er­lauben würde, einige seiner Briefe abzudrucken, um den Lesern irgend etwas zu bieten, stieg seine Erregtheit und er rief aus:

bin ein müder Greis, der den Tod wie eine Erlösung von

mich macht. Ich bin ein ganz gewöhnlicher Mensch, der zu

schreiben versucht hat; nie und nimmer kann ich mich mit Geistes­Karte verliert, so sehr den Kopf hängen läßt, daß er zu nichts heroen auf eine Stufe stellen, deren Briefwechsel jedem von mehr fähig ist, ist kein Mann, kein Individum männlichen Wert ist und auch jezt von jedermann mit Interesse gelesen

Geschlechts.

Ebenso einseitig will er von den schönen Künsten nichts wiffen. Sein Jdeal ist dagegen die Wissenschaft, insbesondere

14. Die Komödiantin.

wird. Ich war im Gegenteil immer bemüht, meine Briefe zu

verbrennen, um nichts zu hinterlassen, was ich der Beachtung unwert halte." Welch liebenswürdige Bescheidenheit!

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Moderne Schicksale.

Novelle von Earl Görlik.

( 8. Fortsezung.)

| wäre, aber sie bestand darauf, Ihnen diese Karte zugehen zu

Wieder ging der weithinſchallende Ton einer Glocke durch lassen!"

die Räume des Hotels.

Er überreichte die Visitenkarte dem Hotelbesizer. Mohrmann sah die Karte an und las den Namen, der auf derselben litographirt war, laut vor: Gräfin von Oettings­

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Gleich darauf wurde die Glastür geöffnet, und der Por tier, eine Visitenkarte in der Hand, trat ein. Herr Mohrmann," redete er den Hotelier an ,,, eine Dame hausen, geborene Baroneß Schlieben- Krondorf!"

ich habe ihr zwar gesagt, daß bei uns kein Logis mehr frei Eleganz in der äußeren Erscheinung entgegen.

Er wollte hinaus, da rauschte ihm eine Dame von höchster