Es war Lea. Niemand hätte in dieser schönen Frau mit der stolzen Haltung die armselige Blumenhändlerin von heute früh wieder erkannt. Die reich mit Pelz verbrämte Schoß­jacke und der mit derselben harmonirende Muff erschienen ebenso vornehm als die schwarze Sammetrobe, die sich in schweren Falten zur Schleppe abrundete. Ein allerliebstes schwarzes Sammetbarett mit Pelzstreif und schwarzer Straußfeder krönte die Frisur, und ein weißer dünner Schleier lag gleich einem schimmernden Nebelgewölk über dem intelligenten Gesichte. Die ganze Erscheinung der falschen Gräfin bot einen ungemein in­teressanten Anblick.

Senger war im stillen mit dem Exterieur der Person sehr zufrieden. Er fand, daß Lorberg die Metamorphose vom Veilchen mädchen zur Gräfin brillant bewerkstelligt hatte. Mohrmann, der Lea noch nicht kannte, wurde durch ihre imponirende Er­scheinung einen Augenblick irre, aber ein schnell mit Senger gewechselter Blick ließ ihn erkennen, daß er die Rechte vor sich habe.

Jedenfalls war Sengers Kalkül insoweit richtig, als das interessante Weib wirklich eine geborene Komödiantin war. Die Blumenhändlerin kopirte die Dame der guten Gesellschaft meister­haft, und bewies, daß sie würdig war, auf den Brettern des wirklichen Teaters cine Rolle zu spielen so gut wie jene Lampen­prinzessinnen, die das blinde Glück oft durch allerhand Intriguen in die Garderoben der Schauspielhäuser und dann in eigene glänzende Boudoirs erhoben hat.

" Wer ist hier der Herr vom Hause?" fragte die falsche Gräfin, und suchte durch lauten Ton und große Hast ihre in­nere Unruhe zu verbergen. So gut der äußere Glanz auch zur Schau getragen wurde und den Uneingeweihten düpiren konnte, das Bewußtsein ihrer Niedrigkeit lähmte im stillen doch etwas ihre Energie.

,, Dort ist Herr Mohrmann!" deutete Kaps auf seinen Chef. Mohrmann verneigte sich mit innerem Widerstreben stumm vor Lea.

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Mein Herr," fuhr diese genau nach der erhaltenen In­struktion fort ,,, Sie lassen mich von Ihrer Tür weisen, aber ich bin nicht gesonnen, weiter zu fahren!"

,, Bedauere unendlich, Frau Gräfin," sagte Mohrmann, der sich inzwischen gesammelt hatte, die ihm zuerteilte Rolle zu spielen ,,, aber bis unter das Dach hinauf ist jedes Zimmer besezt!"

,, Das gilt mir gleich," erwiederte die Pseudogräfin und strich ihren Muff glatt ,,, ich bleibe hier; alle Hotels sind über­füllt, das Ihre ist bereits das dritte, in welchem ich vergebens

Aufnahme suche! Ich bin von der Reise ermüdet, auch fühle

ich mich so leidend, daß ich nicht weiter fann!"

... Da sehen wir zum zweitenmale," sagte Mistreß Jonston, von Teilnahme ergriffen, zum Baron ,,, die unangenehme Lage einer Dame, die sich allein auf Reisen begiebt!"

Sie scheint überdies krant zu sein," erwiderte er,, denn

sie ist blaß und zittert!"

,, Die Arme dauert mich wirklich!" entgegnete Mistreß Jonston immer mehr interessirt!"

,, Ich habe mein Gepäck bereits abstellen lassen," verharrte Lea in ihrer Forderung gegen Mohrmann ,,, und den Wagen fortgeschickt, also schaffen Sie Rat! Ich weiche nicht, und der Kleinste Raum wird mir genügen, da es sich nur um eine ein­

sige Racht handelt. Mit dem erſten 3uge morgen früh ſeze

ich meine Reise fort!"

Mohrmann blieb bei seiner Weigerung, sie aufzunehmen, und unter vielen Artigkeiten und Verbeugungen wiederholte er, daß in seinem Hotel kein Raum sei, so sehr er dies auch be Danere.

Sie war fiber seine taktlose Einmischung in eine ihm fremde Angelegenheit, zumal es einer augenblicklich alleinstehenden Dame galt, in hohem Grade aufgebracht.

Auf was Senger in seiner schlauen Kenntnis von Welt und Menschen gerechnet hatte, geschah nun wirklich. In einem anderen Falle hätte Mistreß Jonston das Abweisen eines Hotel­gastes wohl kaum bemerkt, wahrscheinlich nicht sich seiner tat fräftig angenommen, jezt aber regte sich der Widerspruchsgeist in ihr und nur mit Mühe unterdrückte sie ein lautes Wort zu Gunsten der fremden Gräfin.

In diesem Augenblicke sagte Senger noch lauter und be stimmter zu Mohrmann, ohne sich selbst in seiner rücksichtslos zurückgelehnten Stellung zu rühren:

,, Verehrter, Sie haben sich deshalb nicht zu entschuldigen; wenn kein Plaz da ist, eh bien, Sie können es nicht ändern!" Alles war von dieser Unart betroffen, jede Unterhaltung verstummte und machte augenblicklich einer peinlichen Stille Plaz. Mistreß Jonston war geradezu empört. Sengers Rück­sichtslosigkeit gab bei ihr den Ausschlag, sich der reisenden Dame anzunehmen. Sie stand auf und trat freundlich an Lea heran.

,, Frau Gräfin" redete sie die verkleidete Veilchenhändlerin mit artiger Verbeugung an ,,, verzeihen Sie, wenn Ihre fatale Lage mich veranlaßt, Ihnen einen Vorschlag zu machen. So eben werden für mich zwei Parterrezimmer eingerichtet, Herr Mohrmann," unterbrach sie sich ,,, es sind ja wohl beides große Räume?"

Der Gefragte verneigte sich bejahend.

"

,, Nun wohlan," fuhr Mistress Jonston zu Lea wieder fort, ,, ich bin gern bereit, Ihnen eins der für mich bestimmten Zimmer für die nächste Nacht zur Disposition zu stellen, schon aus dem Grunde," sezte sie mit scharfer Pointirung hinzu ,,, Ihnen die Unart Anderer, die mich als Dame mit verlezte, vergessen zu machen!"

,, Sie sind sehr gütig," entgegnete die falsche Gräfin, konnte aber ein Zittern nicht unterdrücken, das Mistreß Jonston wohl bemerkte, aber dem Frost und der Anstrengung der Reise zu schrieb ,,, ich weiß keinen anderen Ausweg als Ihr freundliches Anerbieten mit Dank anzunehmen; auch werde ich Sie nicht lange belästigen."

Die lezten Gäste, die ihre Neugierde befriedigt und die Verlegenheit der eleganten Reisenden durch Mistreß Jonstons

Entgegenkommen beseitigt sahen, entfernten sich.

Leopoldinens Fuß war wie an die Stelle gebannt. Auch sie hätte jezt ungesehen entkommen können, aber sie blieb. Die Gegenwart des geliebten Mannes fesselte sie mit magnetischer

Kraft an den Ort, wo er weilte.

Mistreß Jonston wandte sich an Mohrmann, damit er das zweite Zimmer für die Angekommene in Stand sezen laffen möchte. Da Baron Warren an ihrer Seite blieb, so drehte das Paar der Abenteurerin und Senger den Rücken zu.

Währenddem hatte der leztere Gelegenheit gefunden, fich

Lea zu nähern. Im Vorbeigehen raunte er ihr zu:

Von der Lokalität bist du also unterrichtet und weißt, wo

ich dich erwarte!"

Darauf trat er an einen Nebentisch und zündete sich dort eine Zigarre an. Lea hatte ihrem Herrn und Meister kein Wort erwidert, nur ein kurzer Blick belehrte ihn von ihrer

Geschicklichkeit.

Niemand hatte den kleinen Vorgang bemerkt, ausgenommen Leopoldine . Nichts ist so scharf wie das Auge der Eifersucht. ,, Belieben die Frau Gräfin Ihre weiteren Befehle dem Ober­,, Diese vielen unnüzen Komplimente!" sagte Senger halb- sogleich das Gepäck in das Ihnen von dieser Dame überlaffene fellner zu geben," sagte Mohrmann zu Lea, ich werde Ihnen laut für sich, aber doch laut genug, um von den Umsizenden Zimmer senden lassen!" Er ging auf den Korridor hinaus

vernommen zu werden.

Die wenigen noch anwesenden Gäste blickten überrascht auf.

Senger folgte ihm, den Baron kurz grüßend.

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Leopoldine erhob sich unschlüssig. Sie war im Begriff Auch Mistreß Jouston, die gleich bei ihrem Eintritt Senger gewesen, an ihren Mann heranzutreten; sie hätte es auch getan, wenn er allein hinausgegangen wäre, aber Mohrmann begleitete

nur zu wohl erkannt, ihn aber bis jezt keines Blickes gewür­digt hatte, konnte sich nicht enthalten, ihn jezt scharf zu firiren.

ihn und das

schreckte sie zurück.