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beherrscht heute noch unseren höheren Jugendunterricht. Die „ klassische Bildung", die heute unsere Gymnasien und Universitäten liefern, besteht darin, daß der junge Germane mög lichst viel Griechisch und Lateinisch, womöglich auch noch Hebräisch versteht. Das Deutsche tritt zurück; der ,, klas sisch Gebildete" ist in der römischen und griechischen Literatur und Geschichte, wenn er vom Gymnasium oder Universität kommt, weit besser bewandert als in der deutschen . Eine vertrocknete Gelehrtenkaste herrscht auf diesem Gebiet fast unumschränkt und ist so mächtig, daß sie heute noch imstande ist, die höheren Jugendbildungsanstalten in man möchte sagen- antinationalem Sinne zu handhaben. Vor nicht allzuferner Zeit war diese Gelehrtenkaste noch bestrebt, die deutsche Sprache zu unterdrücken; deutsch sprechen war einst nur für das„ gemeine" Volk; der„ Gebildete" mußte lateinisch oder französisch sprechen. Mit den fremden Sprachen herrschte auch fremdes Recht, das römische Recht, bei uns, das auf unsere Zustände gar nicht paẞt; man pfropfte auf unsere eigenartigen deutschen Verhältnisse Rechtsanschauungen, die vor mehr als tausend Jahren am Ufer des Bosporus entstanden sind und denen wir uns heute noch beugen müssen.
Hören wir darüber einen vollgiltigen Zeugen. Der be= tannte " Turnvater " Jahn, der einst als„ Demagog " Verfolgte, in seinen alten Tagen politisch sehr verschroben, aber ein verdienter Germanist, hielt am 17. Februar 1849 im Frank furter Parlament eine Rede für das allgemeine Wahlrecht und sagte dabei neben anderen merkwürdigen Dingen:
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| Bauernkrieg in Deutschland ist durch die Juristen ins Land gekommen, weil sie römische Geseze und Einrichtungen auf die deutschen Zustände ungebührlich anwenden wollten," und der neueste Geschichtsschreiber des Bauernkrieges, der hier gegenwärtig ist, wird dieses nicht bestreiten können."*)
Also der alte Jahn in seiner oft ziemlich derben Sprache. Man wird ihm kaum zu sagen wagen, daß er übertrieben hätte; er hat in grellen Farben gemalt, aber es sind die Farben der Wahrheit. Jawohl, wenn das Volk die deutsche Sprache nicht gerettet hätte, wer weiß, in welchen Winkel sie von den Zopfträgern eines verknöcherten Gelehrtentums verbannt worden wäre! Wissen wir doch, daß unsere großartigste nationale Dichtung des Mittelalters, das Nibelungenlied, das vom 13. bis 16. Jahrhundert sehr verbreitet und bekannt war, im 17. Jahrhundert vollständig in Vergessenheit geriet, nachdem im 16. Jahrhundert es nur noch ein einziger Mann, der Historiker Lazius , gekannt hatte! Erst der züricher Dichter und Kritiker Bodmer zog das Gedicht wieder aus der Vergessenheit hervor, und 1784 ist es zum erstenmal wieder ganz veröffentlicht worden. Als in Deutschland der große Kampf zwischen den Humanisten und Scholastikern, zwischen den Vertretern des Neuen und des Alten, zu Anfang des 16. Jahrhunderts im Gange war, lag die deutsche Sprache noch ganz am Boden. Die berühmtesten Schriften der Humanisten waren lateinisch abgefaßt, so daß das
Volt gar nichts davon verstand. Die berühmten„ Briefe der Dunkelmänner"( Epistolae obscurorum virorum ) von Reuchlin , diese prächtige Satire auf die Pfaffheit, verlieren, wie Vilmar sagt, in der deutschen Uebersezung das beste Salz. Ulrich von Hutten , der klassisches Latein schrieb, sah ein, daß, wenn er zum Volke sprechen wolle, er deutsch schreiben müsse, und er
schrieb deutsch auf seinem seltsamen Schreibtisch, dem Sattelknopf. Luthers Bibelübersezung hob das Ansehen der deutschen Sprache gewaltig, aber die Professoren dozirten noch immer lateinisch, und die Wissenschaft, soweit sie von dem armseligen
" Wer hat früher alles mögliche getan, um unsere Volkssprache niederzuhalten? Alle die Leute, die eine hohe Bildung bekommen haben; aber die Bildung ist häufig, wie Tacitus in seinem Leben des Agrifola sagt, ein Mittel der Knechtschaft, welches die Leute Bildung, nennen. Wer hat unsere Sprache niedergehalten? Erstens die Geistlichkeit und zweitens die Höfe. 63 liegt wahrlich nicht an Deutschland ; wahrlich die Höfe sind lichkeit aber auch nicht, denn die hätte lieber lateinisch fort in das fremde Gewand. Im vorigen Jahrhundert kam dann
der erste gewesen, der deutsch gelehrt hat, und erst vor ein versitäten zu disputiren. Wer hat die deutsche Sprache er halten? Das, was man so geradezu„ Volk" nennt. Die Akademieen nicht, welche kein einziges deutsches altes Lied aufgeschrieben haben. Gott bewahre uns, die hatten keine
deten hinzu; Friedrich II. von Preußen fand die deutsche Sprache
noch abgeschmackt, nachdem ein Klopstock, ein Lessing, ein Herder,
ein Wieland, ein Goethe den Flug ihres Genius bereits begonnen hatten. Die deutsche Sprache blieb noch lange Aschenbrödel. Und als dies endlich anders geworden, als die fremden und toten Sprachen durch die lebendige einheimische Mutter
Beit dazu; die hatten genug zu tun mit dem Griechi sprache einigermaßen verdrängt waren, da blieb der fremde Geist schen, Hebräischen und Gott weiß was für alten Per- haften, der durch die fremden Sprachen sich eingebürgert hatte;
gamenten.
Die hohen gelehrten Versammlungen auf den
die aus totem Altertum aufgesogenen Anschauungen beherrschten
Universitäten, haben die etwas getan für die deutsche Sprache? und beherrschen immer noch warmes Leben der Gegenwart. Gott bewahre! Ein armseliger Schulmeister hat mehr getan, und da haben sie Maul und Nase aufgesperrt, als Grimm mit
Man möge uns nicht mißverstehen. Wir unterschäzen den Wert des Studiums antifer Sprachen keineswegs. Allein wir
seiner deutschen Grammatik hervortrat.( Bassermann:" Der bestreiten, daß dasselbe die richtige Hauptgrundlage mo war Professor!") Aber ehe er Professor war, hat er es schon derner Bildung sein könne.
Die dominirende Gelehrtenkaste, die unser Unterrichtssystem
höfe von Deutschland , sämmtliche Schöppenstühle etwas getan Verhältnis besteht noch immer, wenn auch nicht so wie früher. für die Kenntnis des deutschen Rechts? Wer hat dafür Es fällt den Herren Gelehrten ordentlich schwer, diese„ ge= gefannt.( Große Heiterkeit.) Haben denn sämmtliche Gerichts- beeinflußt, läßt sich dies aber nicht nehmen; das alte unselige etwas geleistet? Wer hat das geleistet sammt und sonders, wöhnliche" deutsche Sprache für ihre tiefsinnigen Abhandlungen was Grimm zusammengestellt hat in seinen Rechtsaltertümern
In den
Spinnstuben sind sie geblieben; ich will aber zu dem Volke
*) Jahn meint Wilhelm Zimmermann , den berühmten Verfasser der„ Geschichte des großen Bauernkriegs", der im Frankfurter Barlament die Stadt Schwäbisch- Hall vertrat. Zimmermann hatte sicherlich feinen Grund, jene Behauptung zu bestreiten, für die in seinem ge
jagen, ich habe selber deutsch in den Spinnstuben zuerst gelernt. nannten Werke so viel Beweise vorhanden sind. Neuerdings hat der ( Heiterkeit). Auf dem Gymnasium habe ich keinen Unterricht belgische Gelehrte Emil de Laveleye in seinem Buche:„ Das Urchisch; Bokabeln hat man lernen müssen und sie wie eine Meze Urformen des Eigentums veröffentlicht und gezeigt, welche Verwüstun im Deutschen gehabt; da trieb man Hebräisch und Grie- eigentum"( ins Deutsche übersezt und vervollständigt von Dr. Karl
lernt.( Heiterkeit.)
Wer hat deutsches Leben erstickt und
Bücher. Leipzig 1879, bei Brodhaus), seine Forschungen nach den
gen das römische Recht unter dem ehemaligen Gemeineigentum an Grund und Boden in Deutschland angerichtet hat, so daß man nicht
großen Teil die Schuld an der heutigen Massenarmut in Deutschland .
wer hat Deutschland zerstört? Die höheren Stände sind zuviel sagt, wenn man behauptet, das römische Recht trage zu einem es gewesen, die mit ihrer Bildung sich rühmen. Ich berufe Wir werden es uns zur Aufgabe machen, gelegentlich die fatalen Einmich auf Spittler; der behauptete in seinen Vorlesungen zu
wirkungen des römischen Rechts auf die Eigentumsgestaltung in Deutsch
ich land in diesen Blättern gemeinverständlich zu beleuchten.