Einer hat ihnen schon einmal den Abschied gegeben. Der unbarmherzige Spötter Heinrich Heine   hat die frierenden Olympier einmal in seiner Manier begrüßt. Sie mußten den Olymp ver­lassen, als das Christentum kam, und wie es dabei dem schönen Apollo ging, erzählt Heine*) so:

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Viele dieser armen Emigranten, die ganz ohne Obdach und Ambrosia waren, mußten jezt zu einem bürgerlichen Handwerk greifen, um wenigstens das liebe Brod zu er werben. Unter solchen Umständen mußte mancher, dessen heilige Haine konfiszirt worden waren, bei uns in Deutschland   als Holzhacker tagelöhnern und Bier trinken statt Nektar. Apollo scheint sich in dieser Not bequemt zu haben, bei Viehzüchtern Dienste zu nehmen, und wie er einst die Kühe des Admetos  weidete, so lebte er jezt als Hirt in Niederösterreich  , wo er aber, verdächtig geworden durch sein schönes Singen, von einem gelehrten Mönch als ein alter zauberischer Heidengott erkannt, den geistlichen Gerichten überliefert wurde. Auf der Folter ge­stand er, daß er der Gott Apollo sei. Vor seiner Hinrichtung bat er, man möchte ihm nur noch einmal erlauben, auf der Citer zu spielen und ein Lied zu singen. Er spielte aber so herzrührend und sang so bezaubernd, und war dabei so schön von Angesicht und Leibesgestalt, daß alle Frauen weinten, ja viele durch solche Rührung später erkrankten. Nach einiger Zeit wollte man ihn aus seiner Gruft wieder hervorziehen, um ihm einen Pfahl durch den Leib zu stoßen, in der Meinung, er müsse ein Vampyr gewesen sein und die erkrankten Frauen würden durch solches probates Hausmittel genesen. Aber man fand das Grab leer. Ueber das Schicksal des alten Kriegs­gottes Mars seit dem Siege der Christen weiß ich nicht viel zu melden. Ich bin nicht abgeneigt zu glauben, daß er in der Feudalzeit das Faustrecht benuzt haben mag. Der lange Schim­melpennig, Neffe des Scharfrichters von Münster  , begegnete ihm zu Bologna  , wo sie eine Unterredung hatten. Einige Zeit nachher diente er unter Frondsberg in der Eigenschaft eines Landsknechts und war zugegen bei der Erſtürmung von Rom  , wo ihm gewiß bitter zu Mute war, als er seine alte Lieblings­

stadt und die Tempel, worin er selbst verehrt worden war, sowie auch die Tempel seiner Verwandten so schmählich ver­wüsten sah."

Der leichtsinnigen Frau Venus hat Heine noch weit schlimmer die Wahrheit gesagt.**) Doch genug davon. Wir wollen die armen Vertriebenen nicht noch mehr kränken.

entsprossen. Sie sind in Deutschland   selbst geboren und ent­sprechen sonach weit mehr dem Wesen unseres Volkes und seiner Vergangenheit. Und niemand wird behaupten wollen, daß es diesen Figuren an Poesie fehle. diesen Figuren an Poesie fehle. Sie treten auf in nordischer Stärke und Schönheit, und die nordische Phantasie nimmt einen Flug, der die Höhe der hellenischen Phantasie völlig erreicht. Wenn sich in den Göttern Griechenlands   die ganze Formen­schönheit des alten Hellas offenbart, so stellt die nordische Mytologie uns den ganzen tiefen und philosophischen Ernst unseres Volkes dar, den es betätigt hat in langer Entwicklung. Die nordischen Formen sind rauher; sie zeigen nicht die weichen Linien hellenischer Kunst, aber sie sind niemals unschön und überragen jene weit an Großartigkeit und Kraft. Schon wie die altdeutsche und nordische Göttersage die Entstehung der Erde   dar stellt( hauptsächlich nach der Edda  ), beweist eine ihr innewohnende poetische Kraft, die man bei der hellenischen vergebens suchen würde. Die nordische Mytologie und die deutsche   unterscheiden sich nicht wesentlich; es finden sich viele Spuren, daß die Asen, die nordische Götterfamilie, im eigentlichen alten Germanien  gerade wie im hohen Norden verehrt worden sind, und die Unterschiede kommen teilweise auch daher, daß wir einen Teil der altgermanischen Götterlehre nur aus römischen Darstellungen ( von Cäsar und Tacitus  ) kennen. Die nordische und die eigent lich germanische Götterlehre fallen in so vielen Punkten zu sammen, daß wir sie hier nicht zu trennen brauchen.

Aber auch die einzelnen Gestalten der nordischen Götters sage entsprechen dem deutschen Naturell. Sind die Karaktere auch nicht so sein herausgearbeitet, wie bei den Hellenen, so sind die allgemeinen Züge doch dem Volksgeist angepaßt. Odin  , das Haupt der Asen, ist eine ernste und würdige Erscheinung; er verläßt diese Haltung nur, wenn er an der Spize des wilden Heeres durch die mächtigen Eichenwälder des alten Deutschland  jagt, und ist kein Mädchenjäger, wie der olympische Zeus; seine Frau Freia   ist eine liebliche und gewinnende Gestalt, eine flotte Jägerin, aber auch treue und liebende Gattin, weit er haben über die intriguante Juno und die leichtsinnige Venus. Dann der gewaltige Donnergott Thor  ( Thonar), der Kriegsgott Ziu( Tiu), der sanfte Fro oder Freyr, der herzerfreuende Gott der Liebe, und neben ihm der meist im hohen Norden verehrte Balder  ( Baldur) der Gott des Lichts; Frouwa( auch Freya  ), die Göttin des Minnegesangs.*) Die nordische Mytologie, von der wir durch die Edda   mehr Kunde haben, als von der eigent lich deutschen, zeigt die einzelnen Göttergestalten mehr aus geprägt; dort gibt es u. a. einen Gott des Meeres, der Sonne, des Schweigens, des Schlittschuhlaufens, des Bogenschießens u. s. w., auch eine Göttin der Jungfräulichkeit und der Unsterb­lichkeit, während Loki  , der Feind der Götter, ihnen nachstellt, namentlich dem strahlenden Baldur  , dem Gott des Lichts. 3 ihrer Höhe aber erhebt sich die nordisch- deutsche Mytologie dämmerung, bei der die Feuerriesen vom äußersten Süden der dramatischen Darstellung des Weltuntergangs, der Götter gegen die Götterburg Asgard vorbrechen und wobei nach einem Uebrige vom Feuer verzehrt wird. Doch bald steigt die Erde wieder frischgrünend empor und bevölkert sich wieder. Sowohl in der Darstellung der Entstehung als auch des Untergangs der Welt erreicht die nordisch- deutsche Phantasie eine Kraft und Natur gleich sie schon im Altertum selbst die größten Verherrlicher wüchsigkeit, die man in keiner anderen Göttersage zu finden vermag.

Wir sind die lezten, welche die herrlichen Gestaltungen an­tiker Kunst verkleinern möchten. Aber wenn unsere Dichter in die alten Göttersagen hineingreifen, um sich Material und Schmuck für ihre Schöpfungen zu beschaffen, haben sie es da nötig, die unter dem glühenden Himmel Griechenlands   und Italiens   geborenen Götter nach dem fühlen Norden zu zerren?

Namentlich bei Schiller  , dem Nationaldichter, wimmelt es von

den Olympiern, und sie füllen fast all die Räume aus, welche der Dichter mit seinen Zaubergestalten zu bevölkern hat. Venus, Ceres, Diana, Minerva, Juno, Zeus  , Mars, Apollo  , Hermes, die Götter wechseln ab mit den antiken sterblichen Menschen Kassandra  , Semele, Herakles   und dem ganzen Schwarm der

trojanischen Helden.

Es wäre unsinnig zu verlangen, daß die antiken Götter­sagen aus unserer Poesie ausgeschlossen werden sollten, wenn

gefunden haben. Was wir tadeln wollen, ist nur, daß unsere

in

eigenen deutschen Göttersagen so sehr in den Hintergrund ge- jungfrauen, welche die in der Schlacht Gefallenen nach dem

drängt, so fast ganz verdrängt worden sind. Und doch sind die Figuren unserer Götterlehre dem ureigensten deutschen Wesen

*) Die Götter im Exil( 1836 und 1853).

**) Heine   läßt den Tannhäuser der Venus überdrüssig werden. Als sie dem Tannhäuser ihre Reize rühmt, antwortet dieser: ,, Denk' ich der Götter und Helden, die einst Sich zärtlich daran geweidet,

Dein schöner lilienweißer Leib,

Er wird mir schier gar verleidet."

Da hörts allerdings auch mit der Venus auf.

*) In vielen Gegenden Deutschlands   zeigen sich noch Spuren davon, wie tief die alten Göttersagen ins Volk eingedrungen waren. Die hölzernen Pferdeköpfe auf den Giebeln der norddeutschen Bauernhäuser sind ein Zeichen davon; das Pferd war Odin   geheiligt. Für altgriechische und römische Sagengestalten wird sich aber fein norddeutscher Bauer höchstens das Resultat erreichen, das in jenen Bersen enthalten ist: mehr erwärmen. Wollte man ihn dazu zwingen, dann würde man

" In dem schönen Mytenlande Schleichet traurig Hans herum, Denn das Lond ist gar so klassisch Und der Hans ist gar so dumm!"