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Heldensaale Odins , die Walhalla , in Asgard bringen, stehen uns näher als Parzen und Furien im griechisch- römischen Altertum. In der deutsch - nordischen Götterwelt spiegelt sich das einfache, gewissenhafte Volksleben, die rauhe Tugend und die zarten Empfindungen unserer kräftigen Altvordern. Es ist viel weiter nach dem Olymp des Zeus als nach der Walhalla Odins in der glänzenden Götterburg Asgard, wo man Met ( Bier) zecht statt Nektar, und dennoch haben wir immer den weiteren Weg lieber zurückgelegt. In dieser nordisch- germanischen Göttersage ist ein tiefer und unversiegbarer Quell deutscher Poesie vorhanden; wir aber haben das künstlich von den alten Hellenen und Römern geborgt, was wir natürlich bei uns selbst haben konnten. Wir brauchen nicht den kastalischen Quell, der den antiken griechischen Poeten Begeisterung verlieh.*)
Aber es gibt auch unter unseren Dichtern solche, die aus dem unerschöpflichen Born unserer alten Volkspoesie getrunken haben. Wir müssen Grimm, Simrock u. a., die durch Sprachforschung und Uebersezung uns die alten Schäze wieder erschlossen, anführen; es bleibt aber ein unbestrittenes Verdienst bon Richard Wagner , so sehr bei ihm auch der Tonkünstler den Poeten überragen mag, die alten glänzenden und kräftigen Gestalten, die unsere ureigenste Volksphantasie geschaffen, wieder belebt und in den Vordergrund gebracht zu haben. Das war es auch, was er meinte, als er bei der Aufführung seiner großen Nibelungentragödie zu Bayreuth die vielfach als zu stolz bezeichneten Worte sprach:„ Wenn wir wollen, so haben wir eine deutsche Kunst!"
Wir könnten noch manchen Dichter erwähnen, der über den alten Griechengöttern die trauten und verwandten Figuren der Heimat nicht vergessen hat; wir erinnern an Uhlands Gedicht: " Die sterbenden Helden". Lange haben die Asen vergessen in Asgard gesessen, und es mag den Helden in Walhall manchmal langweilig geworden sein beim Met und bei ihren goldlockigen Mädchen, wenn sie sahen, daß sich ihre Epigonen gar nicht um sie bekümmerten. Die mächtigen Töne Wagnerscher Musik haben sie jedoch aufgerüttelt aus ihrem Brüten und Träumen.
*) Unsere moderne gar zu„ klassisch" gebildete Jugend freilich wird es kaum verstehen wollen, was Heinrich von Kleist meint, wenn er in seinem flammenden Hymnus„ Germania an ihre Söhne", der gegen die
anreden läßt:
Meines Busens Schuz und Schirmer, Unbesiegtes Marsenblut!
Enkel der Kohortenstürmer, Römerüberwinderbrut!"
"
Und so wollen wir bei dieser Gelegenheit auch eines jungen Dichters gedenken, der sich in neuester Zeit viel Mühe gegeben hat, unsere alten und kräftigen Götterhelden zu Ehren bringen zu helfen gegenüber dem leichtfertigen Völklein der Olympier. Wir meinen Franz Siking, der durch seinen Roman Die Rose von Urach" vorteilhaft bekannt geworden, nun auch mit einem Heldengedicht:„ Des Nordlands Königstochter" hervorgetreten ist.*) Es ist ein erhabenes Gedicht, feierlich und ernst, wie einer jener großen Göttertempel des Nordens, oder wie ein lauschiger Hain mit uralten Eichen, in deren Zweigen und Blättern zuweilen ein sanftes Rauschen den Odem der Götter verrät. Drei Helden werben um eine Königstochter des Nordens, aber nicht dem wildesten und trozigsten verleihen die Götter den Sieg, sondern dem, der seine Leidenschaften am besten zu zähmen vermag. Helfriede, die Königstochter, strahlend in Schönheit und Jugend, stellt uns eines jener lieblichen Frauenbilder vor, an denen die deutsch - nordische Mytologie so reich ist. In diesem kleinen Epos ist die Philosophie des altgermanischen Priestertums mit ihrem Glauben an ein Urwesen und mit ihrem Sonnenkultus in eine blühend schöne Ferm gefaßt, frei von allem gelehrten Beiwert. Der Dichter hat gezeigt, welch reiche Schäze in der nordischen Göttersage verborgen liegen. Möge sein Streben durch den reichsten Erfolg belohnt werden!
Zum Schlusse noch eins; wir wollen uns dagegen verwahren, als ob wir einseitig seien. Wir wissen recht wohl, daß im ganzen und großen die Poesie weder von griechischen, noch römischen, noch germanisch- nordischen Göttersagen abhängig iſt. Jedes Zeitalter, jedes Jahrhundert, jeder Tag gebiert neuen poetischen Stoff, und der Dichter hat es nicht nötig, immer und ewig am Alten fleben zu bleiben. Aber wie ein alter Mensch gerne in den Handschriften seiner Jugend lieſt, so geht auch die Dichtung gerne zurück auf die Jugend der Völker und schaut liebevoll auf die seltsamen Zeichen, die auf wenigen verwehten Blättern übrig geblieben sind. Und da wollten wir sagen: die Runenschriften aus der Jugendzeit unseres deutschen Volkes sind inhaltsreich genug und anziehender für uns, als die anderer Völker. Wir sehen aus den farbenprächtigen Bildern der nordischen Sagenwelt das jugendliche
Antliz unseres eigenen Volkes strahlen, und das enthält der
Poesie genug, so daß wir nicht so arm sind, um bei anderen borgen zu müssen.
*) Des Nordlands Königstochter. Eine epische Märchendichtung von Franz Siting. Frankfurt a. M. Sauerländers Verlag. 1884.
Moderne Schicksale.
Novelle von Earl Görlik.
Lea hatte Jacke und Barett abgelegt und erschien in der noblen Einfachheit des bis an den Hals geschlossenen schwarzen Sammetkleides in vollkommener Täuschung als seine Frau.
Mistreß Jonston bat Lea näher zu kommen und den für fie eingeschenkten Tee zu nehmen, was diese anfänglich ab
Ichute.
Amalien entging, so harmlos sie auch tat, keine Miene ihres
Gastes.
fast
" Ich bin etwas matt," gestand Lea unsicher,„ und fürchte
" Sie stocken, Frau Gräfin ? Was fürchten Sie?" versezte Lca, deren Augen unwillkürlich " Den morgenden Tag, wenn ich an die Weiterreise denke,"
stets nach dem
( Schluß.)
Lea fuhr erschreckt zusammen, Purpurröte übergoß ihr Gesicht. " Jener Tisch," stotterte sie,„ ich bemerkte ihn kaum." Jezt hatte Mistreß Jonston Gewißheit, das Erröten der Gaunerin hatte dieselbe verraten.
,, Sie bemühen Sich so viel um mich," sagte Lea, indem sie jezt von dem Tee nahm ,,, daß ich ganz verlegen werde.
"
Was soll ich dagegen tun, um Ihnen meine Dankbarkeit zu
beweisen?"
,, Gnädige Frau Gräfin," begann Mistreß Johnston nun, indem sie das Haupt senkte ,,, darf ich Ihnen eine Bitte aussprechen, eine recht große
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Eine Bitte?" fragte die Pseudogräfin sehr verwundert. ,, Ja, ich fühle mich zwar recht peinlich berührt, Ihnen viel
Schreibtische hinüberschweiften, auf dem die bewußte rote leicht läftig zu fallen, aber ich muß mich Ihnen endlich doch
Mappe lag.
erregt?" fragte die Engländerin.
" Darf ich fragen, was Ihr Interesse an jenem Schreibtisch
entdecken."
Entdecken?" rief Lea und rückte verwirit bis an die Lehne des Sophas zurück.