lassen, um ihrem Mitschuldigen draußen nicht etwa ein Zeichen zur Flucht zu geben, ehe wir ihn genau erkannt haben! Im äußersten Falle halten Sie sie mit Gewalt zurück!"

Der Baron trat dicht vor Lea, welche vor Angst sich nicht rührte.

„ Sie soll nicht mehr schaden!" flüsterte Herr von Warren dem Justizrate zu.

Der leztere war zu Mistreß Jonston gegangen und bog sich dicht an das Ohr der Dame.

"

Ermannen Sie Sich," sagte er leise zu ihr, es ist das lezte, was Sie noch tun müssen!"

" Ohne Sorge," erwiderte sie ebenso leise zurück, ich habe mich vollständig erholt, was verlangen Sie?"

" Geben Sie mir die Mappe, welche die Dokumente um­schloß, und dann löschen Sie die Lichter aus."

Sie holte die Mappe, welche auf dem Schreibtisch lag, übergab dieselbe Harder und trat an den großen Sophatisch zurück, wo sie die Lichter ausblies.

Der Justizrat trat in das anstoßende Gemach.

Die Lade des einen Fensters war geöffnet und ließ den Schein der auf der Straße brennenden Gaslaterne hereinfallen. Unhörbar näherte Harder sich auf dem weichen Wollen teppich dem Fenster, machte den Flügel der Fensterlade völlig auf und trat dicht an die Scheiben; die vor denselben herab­hängenden Tüllgardinen ließen ihn von außen nicht sichtbar werden, während er jeden Gegenstand auf der erhellten Straße erkennen konnte.

Er wollte die Krampe des Fensterriegels aufhaken, dieselbe war zu seiner Verwunderung abgebrochen und das Fenster nur angelehnt. Darauf schlug er scharf und kurz dreimal an die Scheibe.

Wenige Augenblicke darauf erschien der Oberkörper eines Mannes, den Rockfragen hochgeschlagen, den Hut tief in das Gesicht gedrückt, an der Fensteröffnung und blickte in stummer Erwartung in das dunkle Zimmer.

Harder tritt vor, die rote Mappe vor das Gesicht haltend, so daß deren grelle Farbe in dem Laternenscheine glänzend be­leuchtet zuerst dem Draußenstehenden in die Augen fällt. Dieser hebt schon die Hand, die Mappe in Empfang zu nehmen, da schlägt Harder mit Blizesschnelle dem vor dem Fenster Stehenden den Hut vom Kopf, und ein von blondem Vollbart umrahmtes, nur zu bekanntes Gesicht starrt im Schein der Gaslaterne

deutlich ihm entgegen.

" Herr Senger!" ruft der Justizrat hinaus, sind Sie es wirklich?"

Wie die Posaune des jüngsten Gerichts dringt dieser Anruf in des Entlarvten Ohr. Er taumelt, vor Schreck fast nieder geschmettert, cinige Schritte zurück.

" Die Mappe," fährt Harder kräftig fort, ist wertlos ge­worden, denn ihr Inhalt ist seit einer Stunde in meinen Händen!"

Ein unterdrückter Fluch tönt dumpf von der Straße herein, Senger verschwindet im Dunkel der Nacht.—

-

Der Justizrat ließ in der natürlichen Erregung, in welche ihn die soeben erlangte Erkenntnis des wahren Karakters eines

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im schnellen Ruck ein Sprung auf den Sessel am Fenster, von dort auf das Fensterbrett, und dann mit flinkem Saze auf die Straße. Als ob der Sturmwind ihr Flügel geliehen, ver schwand sie wie ein Phantom in der nächsten Seitengasse.

Jezt flammte das Streichholz in der Hand des Barons auf. Er zündete die Kerzen mit demselben an und heller Lichtschein überflutete das Zimmer wieder.

„ Nun zunächst an ein strenges Gericht!" rief der Justizrat und wollte sich zu der am Boden Knieenden wenden. Er stuzte, als er sie nicht mehr erblickte, eilte in das Nebenzimmer, und da er sie auch dort nicht fand, verriet das offene Fenster so gleich ihm ihre Flucht. Er bog sich zum Fenster hinaus, die Flüchtige war nicht mehr zu sehen.

" Lassen Sie dies elende Werkzeug jenes Menschen," sagte Mistreß Jonston, was liegt an dieser Person?!"

"

"

„ Sie haben recht," entgegnete der Justizrat, der Haupt­schuldige ist anderswo zu suchen; wir wissen, wo er zu finden ist." " Ich bitte Sie," antwortete Mistreß Jonston, nichts ohne mein Wissen zu unternehmen; seitdem seine unglückliche Frau mir in den Weg trat, fühle ich Mitleid, nicht für ihn, sondern für sie, die durch ihre Liebe zu diesem Elenden die Duelle namenlosen Leidens in sich trägt!"

"

„ Aber wollte der Justizrat sie unterbrechen.

Doch Mistreß Jonston ließ ihn nicht zu Worte kommen. Unbegreifliches Rätsel des Frauenherzens! So glühend Amalie diesen Mann haßte, verschwand doch dieser Haß in seiner äußerlichen Wirkung, sobald sie an Leopoldinens Tränen dachte. Die alte Erfahrung bestätigte sich auch bei Mistreß Jonston, daß die Frauen stets mit der unglücklichen Liebe einer anderen sympatisiren, sobald diese Neigung nur nicht den eigenen Ges liebten trifft.

" Hätte ich Sie nicht schon längst bewundert, gnädige Frau, sagte der Justizrat, so würden Sie durch solchen Edelmut jezt gewiß mich dazu zwingen."

Baron Warren sprach kein Wort, doch lag in seinem Blide mehr, als die feurigste Sprache bezeichnen konnte. Das ihr von Senger zugefügte Leid wob in des Barons Augen einen Heiligenschein um ihr schönes Haupt, sie erschien ihm wie eine Märtyrerin der Tugend.

*

*

Eine Woche später durchschnitt ein stolzer Dampfer die rauschenden Wogen der Nordsee . Am Horizont tauchten die

ersten nebelhaften Umrisse der englischen Küste auf.

Zwei der Reisenden hatten das elegante, mit prächtigem Zelt überzogene Hinterdeck der ersten Kajüte verlassen, sie standen isolirt vorn am Bugspriet und sahen entzückt vor sich auf den unermeßlichen Wasserspiegel, der im Klarsten Schein Frühlingssonne vor ihnen ausgebreitet lag.

der

Es waren Mistreß Jonston und Baron Warren. Lange Zeit sprachen sie kein Wort; sie dachten nicht an die Vergangenheit, nicht an die Zukunft, sie genossen wünschelos den Augenblick der Gegenwart. Ruhe lag über beiden ausges breitet, zufriedene gedankenlose Ruhe und mit ihr des kurzen Erdenlebens einziges wahres Glück.

so lange verehrten Mannes versezte, Fenster und Laden offen sich

stehen und ging in das erste Zimmer zurück.

Beide sahen dem Spiel der Wellen zu, welche brausend durchschnitt, wodurch das Meerwasser zu beiden Seiten des

„ Er ist im Nebel verschwunden," sagte er, aber der Ge- Schiffes in millionen weißer Schaumperlen glizernd aufgewirbelt

rechtigkeit soll er nicht entgehen!"

Dann ersuchte er Mistreß Jonston, die Lichte wieder an­zuzünden. Die Dame tappte nach einem Ecktisch, auf welchem

sie die Streichholzdose bemerkt zu haben glaubte.

wurde und wie ein feiner erfrischender Staubregen oft bis auf

das Deck sprizte.

Zwei schneeweiße Möwen umkreisten das Schiff in immer engeren Bogen und ließen sich endlich wie ein Willkommens „ Meine Hand zittert," sprach sie nach einer kleinen Pause gruß des Ozeans dicht vor dem jungen Paare auf das Bug­

des Suchens,„ ich finde die Streichhölzer nicht!"

Der Justizrat und der Baron Warren, den die Gewißheit,

spriet nieder.

Bei dem Niederflattern der beiden Möwen, die traulich daß Senger ein Schurke sei, jezt ganz auf Lea vergessen ließ, nebeneinander sizen blieben, schlang der Baron seinen kräftigen

tappte gleichfalls eine Weile vergebens nach Zündhölzchen umher.

Arm um Amaliens elastische Figur.

" Bedarf es," flüsterte er ihr dabei zu, zwischen uns noch

Kaum sah sich Lea unbewacht, so dachte sie an Flucht; schlangengleich glitt sic lautlos auf dem weichen Teppich, der der Worte?" jedes Geräusch aufhob, zur Tür des Nebenzimmers, erhob sich

Sie schüttelte den Kopf. Das größte Glück ist stumm.