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Friedenspfeife emfig aus­fogen. Scheffel besingt den biedern Pfahlbauer   in föſt­licher Weise:

Dicht qualmende Nebel um­feuchten

Ein Pfahlbau- Gerüstwerk

im See,

Und fern ob der Waldwild­

nis leuchten

Die Alpen   im ewigen Schnee. Ein Mann sizt auf hölzer­nem Stege,

In Felle gehüllt, denn es zieht,

Er schnipst mit der Feuer­steinsäge

Ein Hirschhorn und ſummet sein Lied.

Und hier von der Pfahlstadt­aus beherrscht der stolze Venetier Länder und Meere, flößt den Männern des mäch­tigen Halbmond Schrecken

ein, sieht die Herrscher um

seine Gunst buhlen, zählt unter seine Eroberungen drei Königreiche und ist stark genug, dem stolzen Spanien  die Durchfahrt durch den Golf zu verwehren!

Wie Scheffel unaufge fordert den steinzeitlichen Pfahlbauer besingt, so mußte der Dichter Sannazar  auf Befehl der Stadt die Republik   durch ein Loblied berherrlichen und erhielt für jede Zeile den bescheidenen Preis von hundert Duka­ten, macht für sechs Zeilen sechshundert Dukaten oder 5700 Mart, ein anständi­ger Preis. Nobel waren die benetianischen Nobili. Man­her unserer Leser hat noch fein Gedicht für 5700 Mark gelesen; für sie lassen wir es in der Uebersezung fol­

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gen:

Stehen in Adrias Fluten sah einst Neptunus Benedig Und beherrschen das Meer durch sein mächtiges Wort;

Und

er sagt: Jupiter, rühm' der tarpejischen Burg dich, Brüste dich immerhin fort mit den Mauern des Mars. Ziehst du die Tiber   dem Meer bor  , schau auf die Städte,

die beiden,

Sag dann: Von Menschen ist die, jene von Göttern ge­

baut."

Es war noch hell genug. um das interessante Schau­spiel genießen zu können, Venedig   aus der Vogelper­spektive zu betrachten. Vor der Markuskirche erhebt sich von allen Seiten freistehend der Campanile Benedigs, der fast tausend Jahre alte Glockenturm. Ein gewun­dener Weg, fast so breit,

Die Scala Contarini in Venedig  .

als manche Straße Venedigs es nicht ist, führt ohne starke Steigung zu dem Glocken­jause empor, dessen hohe und offene Bogenfenster eine prachtvolle Aussicht gewäh­Auf dieser luftigen Höhe steht wie ein Guck­fasten das Häuschen des Wächters und Glöckners zu­gleich; der mag schon wissen, woher der Wind weht.

ren.

Welche prächtige Aus­sicht von diesem hohen Standpunkte aus, auf den Napoleon geritten sein soll, wahrscheinlich um etwas ganz Außergewöhnliches zu tun. Das Auge ist ver­wirrt, es muß einen Ruhe­punkt suchen, um dann all­mälich die einzelnen Punkte finden zu können. Vor uns

liegt die herrliche Markus­kirche mit ihren stolzen, orientalischen Kuppeln und neben ihr breitet sich bis zur Piazetta hinunter die marmorne Säulenwand des Dogenpalastes aus. Tief unten in der schwindelnden Tiefe bewegt sich, ameisen­ähnlich anzuschauen, die Menge. Von der Markus­firche her ertönt ein gewal­tiges Rauschen, eine Wolke steigt hinab auf den Mar­kusplaz. Sind das die Kra­niche des Jbikus? Nein, es sind die Tauben des hl. Markus, das Wahrzeichen Venedigs  , die viele hundert Jahre da oben wohnen und da unten auf Staatskosten gefüttert werden. Durch das Gewirr der Häuser zie­hen sich dunkle Linien, oft hell aufblizend, wenn die Sonne sie beleuchtet; es sind die von hier oben kaum zähl­baren Kanäle Venedigs.- Jezt lassen wir die Blicke weiter schweifen und magisch beleuchtet von den Strahlen der untergehenden Sonne steigen die Inseln aus den Lagunen und dem Meere empor, und hinter ihnen breitet sich weit und un­übersehbar das adriatische Meer aus.

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Wie ein Gruß aus dem deutschen   Vaterlande tau­chen am Horizont die tiro­ler Alpen auf, deren schnee­bedeckte Gipfel wir mit unserem Glase deutlich wahr nehmen können. Und immer tiefer senkt sich die Sonne und immer näher rückt der

Mr. 10. 1884.