Siegfried las das Schreiben ein duzendmal und schüttelte wohl hundertmal den Kopf. Die ganze Sache kam ihm, je mehr er darüber nachdachte, desto bedenklicher vor. Er allein nach Liebenhausen, wo er gänzlich unbekannt war! Ein Freund sollte ihn in Empfang nehmen, was für ein Freund? Er, Siegfried, hatte sicher keinen in Liebenhausen und zehn Meilen in der Runde. Ein Freund von Jungmann jedoch,- wie sollte der ihn auf dem Bahnhofe erkennen?
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Und dann der Gedanke, ohne Jungmann in das Haus Prechtling zu kommen!? Er fühlte sich jezt schon bis zur Sprachlosigkeit verlegen, wenn er an diese Eventualität dachte, ja, wenn er noch wenigstens seine altgewohnte Ladentafel hätte mitnehmen können, hinter der er seine Geistesgegen wart niemals völlig verlor, wo er immer von neuem Worte zu finden gewöhnt war, aber ohne Ladentafel, auf wildfremdem Boden, wo er eigentlich gar keine Existenzberechtigung hatte, ein kecker Eindringling, eine Art Räuber, der da kam, in der verwegenen Absicht, eine harmlose brave Familie um eines ihrer teuersten Mitglieder, ja sogar- Siegfried war fest davon überzeugt um ihr Teuerstes, ihre Perle und Krone zu bringen!
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Es war imgrunde eine Tolldreistigkeit, die er da vorhatte, ein Unternehmen, das eigentlich garnicht gelingen konnte.
Aber Gustav Jungmann nahm auf den Sturm in Siegfrieds Busen nicht die mindeste Rücksicht.
Plözlich traf eine Postkarte ein folgenden Inhalts:
„ Lieber Junge!
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Nächsten Freitag Abend punkt 7 Uhr fährst du mit dem Schnellzuge ab, trifft alsdann 9 Uhr 40 in Liebenhausen ein.
Beim Aussteigen halte eins von deinen großen rotseidenen Taschentüchern in der linken und, damit eine Verwechslung unmöglich ist, deinen Stock mit der silbernen Krücke in der rechten Hand. Tue aber ja genau wie ich bestimme, sonst steh ich für nichts, und solltest du etwa gar den Zug verbummeln oder dich anders besonnen haben, so wäre ich blamirt und würde mich als persönlich beleidigt betrachten. Liebenhausen erwartet dich, Siegfried; auf Wiedersehen da, wo unsere Liebe zuhause ist. Dein Gustav."
Nach Empfang dieser Zeilen konnte für Siegfried nicht mehr
zweifelhaft sein, was er zu tun habe. Die Würfel waren geworfen! Er mußte tun, was Jungmann bestimmte.
Dieser hatte aber in der Tat auch sehr umsichtig disponirt. Das große rotseidene Taschentuch,- alle Jahre bekam er ein solches von seinem Prinzipal zu Weihnachten geschenkt,- eignete sich vorzüglich zu einem Erkennungszeichen in nächtlicher Stunde. Der silberbefrückte Stock, es war zwar nur Neu silber , aber sah wirklich in der erfreulichsten Weise echt aus, dieser Stock war eigentlich überflüssig, aber besser war. allerdings besser.
beenden.
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rief, war ein großartiger. Der Hausknecht, welcher ihm im Halbdunkel der Hausflur begegnete, erkannte ihn garnicht wieder, machte aber vor ihm eine Verbeugung, wie vor einem König. Die Kellnerin blieb anfänglich mit offenem Munde vor ihm stehen, dann schlug sie die Hände über dem Kopfe zusam. men und schrie:
" 1
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Sie haben
Nein, wie Sie schön sind, Herr Bandmeyer, wohl's große Loos gewonnen, und wie Ihnen alles ſizt, die Hosen,' s ist zu reizend."
wie
Siegfried wurde brandrot; die Kellnerin, welche recht hübsch, wenn auch nicht grade übermäßig jung war, hatte sich sonst um ihn nur sehr wenig gekümmert; die kecken derben Herren, Gustav Jungmann einer war, wurden von ihr immer bevorzugt, aber heute hatte sie wirklich den ganzen Abend über nur Augen für Siegfried Bandmeyer.
Auch der Wirt kam und gratulirte Siegfried in aller Form zu seinem nunmehrigen Exterieur.
Gaft
„ Sie sehen nobel aus, sehr nobel, Herr Bandmeyer," sagte er.„ Ich versteh mich darauf; Sie wissen, ich war zehn Jahre lang Oberkellner im Hotel de Russie, wo der lumpigste mindestens Baron ist. Wie Sie jezt aussehen, könnten Sie im Hotel de Russie in der zweiten Etage wohnen."
Das überstieg Siegfrieds kühnste Erwartungen.
Und seine Freunde stimmten zu. Er mußte sich mindestens zehnmal von seinem Stuhl erheben und sich um- und umdrehen, damit sie ihn besser betrachten konnten, immer wieder kniffen sie ihn in die Beine und Arme, um sich von der Feinheit des Stoffes von Hose und Rock zu überzeugen, alle notirten sich sofort die Adresse von seinem Schneider und fragten, wie lange
er pumpe u. f. 1.
dem Nachtschnellzuge abreisen werde.
Im Laufe des Gesprächs erzählte Siegfried, daß er mit
" Mit dem Nachtschnellzuge?" fragte der Bankkommis Her mann Kleinert mit bedenklichem Gesicht.„ Hören Sie, Band
meyer, das würde ich mir doch noch sehr überlegen."
" Wie so?" sagte Siegfried etwas erstaunt.
der Nacht fährt, schläft man ein,
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" Ja, wissen Sie, s' ist riskant, verflucht riskant. Wie Sie jezt aussehen, hält Sie jeder, der Sie nicht fennt, für'n Berl mit riesig viel Geld im Portemonnaie. Und wenn man so in da braucht so ein Spiz bube nur' nen Griff zu machen und schrumm, da hat er Uhr und Kette, und merkt man was, da friegt man schließlich noch mit dem Totschläger was gründliches auf die Nase. Na, ich will Ihnen natürlich nicht Angst machen, Bandmeyer, aber vorfehen
würde ich mich doch sehr an Ihrer Stelle."
" Angst habe ich nie, keine Spur von Angst," beteuerte Siegfried; aber wie könnte man sich denn da vorsehen?"
fügte er etwas weniger zuversichtlich hinzu.
Nun galt es die Vorbereitungen zu der großen Aftion rasch der Meinung Kleinerts beistimmten, daß man heutzutage gar Darüber waren die Freunde nicht einig, obgleich fie alle nicht vorsichtig genug sein könnte; denn verzweifeltes Gefindel graue Hose, zwei Paar neue Stiefeln, darunter ein Paar und die prachtvolle goldene Uhrkette und der silberbefchlagene Ein neuer Anzug, lichtbrauner Rock und Weste und hell- gebe es überall, dem es auf'n Menschenleben nicht antame,
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hohe Stulpstiefeln, die den Vorzug hatten, die etwas sehr dünnen Waden unseres Helden in vorteilhaftester Weise zu mastiren, ein neuer Herbstüberzieher, der sehr lang war und seinem Träger
ein ungemein würdiges und wegen seines eleganten Stoffes ein
Stock reizten folossal.
Siegfried fragte immer von neuem und immer fleinlauter: „ Aber was macht man denn da, wenn man sich vorfehen will? Denn wenn man sich auch nicht fürchtet, so darf man
vornehmes Aussehen verlieh, ein neuer piffeiner Cylinderhut, sich doch nicht leichtsinnig und wehrlos in Gefahr begeben,
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dazu ein vergoldeter Nasenquetscher mit lichtblauem Fenster
glase, eine dito vergoldete Uhrkette, deren mächtige Dicke ihr erlaubt hätte, als Hemmkette an einem Lastwagen eine achtungs
man hat ja doch auch Verpflichtungen
werte Rolle zu spielen, endlich feine hellgraue Glaçeehandschuhe, auch sein Befiztum durfte er sich nicht schmälern lassen, denn
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das war die mit äußerster Sorgfalt gewählte Ausstaffirung des trefflichen Siegfried.
Am Donnerstag um die Mittagsstunde hielt er im stillen Kämmerlein große Ankleideprobe. Der Erfolg bezauberte ihn
Er dachte an seine zukünftige Familie. Dieser einen ge sunden Familienvater zu erhalten, war gewiß seine heilige Pflicht, I am Ende war doch alles, was er jezt besaß, rechtliches Eigen tum seiner Nachkommen. Und wenn das Schlimmste paffirte, - er dachte an das dralle, reizende Lehnchen, und es wurde
ihm
ganz weh und weich ums Herz,
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- wenn das arme Ding
so, daß er nicht umhin konnte, des Abends in der Stammkneipe seinen ihm von einem gütigen Geschick bestimmten Bräutigam
zum erstenmale in vollem Freiersglanze vor den Leuten zu erscheinen.
Der Eindruck, welchen er auf alle, die ihn kannten, hervor
verlieren sollte, noch ehe es ihn auch nur einmal ans Herz nein, Vorsicht, formidable, unüberwindliche Bor
sicht war unerläßlich geboten. gedrückt,-