einmal angehörte, mit Leib, Leben und Vermögen verfallen war. Auch der furchtbarste Zwang konnte diese Assoziationen nicht mehr zusammenhalten; sie zerfielen und mit ihnen stürzte krachend das alte Römerreich zusammen, an dessen morsche Tore schon längst die Fäuste wilder germanischer Völkerschaften schlugen, denen es bestimmt war, auf den Trümmern des Römerreichs ihre Herrschaft zu errichten.
In dieser Periode des römischen Cäsarismus sind für den Historiker viele Räthsel vorhanden, die vielleicht niemals gelöst werden können, da auch die besten römischen Geschichtsschreiber, Tacitus mit inbegriffen, nicht frei von Parteileidenschaft sind, wie unseres Erachtens Adolf Stahr überzeugend nachgewiesen
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hat.*) Aber die feststehenden Tatsachen genügen immerhin, um den unanfechtbaren Beweis zu liefern, daß ein kräftiges Volk keinen größeren Fehler begehen kann, als sein Dasein auf Eroberung begründen und anderen Nationen mit ganz verschiedenen Interessen und Lebensbedingungen sein Gepräge aufdrücken zu wollen. Die Ausartungen des römischen Cäsarismus, deren Spuren noch im heutigen Italien zu finden sind, bilden eine furchtbare Lehre für alle diejenigen, die den Beruf der Völker in der Unterwerfung und Unterdrückung anderer Völker finden wollen.
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*) Siehe namentlich Agrippina, die Mutter Neros," von Stahr , sowie von dessen Uebersezung Snetons das Vorwort.
Wer trägt die Schuld?
Novelle von E. Sanger.
Nach vielen kalten Regenwochen war endlich wieder ein sonniger warmer Tag gewesen. Die Fenster standen gegen Abend überall weit geöffnet, und wer nicht hinaus konnte, um die milde balsamische Luft zu genießen, der lag im Fenster und blickte in das Gewühl der Straßen, in denen das Gaslicht bereits mit der lezten Tageshelle zu kämpfen begann.
Auch in das geräumige Wohnzimmer eines hübschen Vorstadthauses der Residenz wehte der warme Hauch des Sommerabends durch die geöffneten Fenster herein; doch schien er die beiden darin befindlichen Personen nicht gleich angenehm zu berühren, wie man aus der fröstelnden Bewegung schließen mußte, mit welcher der junge Mann, der neben dem zierlichen Kaminofen auf einem niedrigen Polsterstuhle saß, das über seine Stniee gebreitete Plaidtuch höher herauszog. Die zweite im Zimmer anwesende Person war die Gattin des jungen Mannes, eine etwa zwanzigjährige schlankgewachsene Brünette, die in leichtem Sommerkleide mit anmutiger Geschäftigkeit den Tisch zum Abendessen ordnete, zu welchem, nach der Zahl der Gedecke zu schließen, noch zwei Personen erwartet wurden.
leiter mühsam emporklomm, gehätschelt und verzogen von der Mutter, die bald nach dieses Spätlings Geburt Witwe gewor den war. Wohl hatte Franz, nachdem auch sie die Augen geschlossen, sich des Knaben angenommen und ein wachsames Auge auf den Jüngling gehabt; als Reinhold dann aber nach beendeter Lehrzeit die Provinz verlassen, hatte sich das Band zwischen den Brüdern gänzlich gelockert. Franz hatte dem Studium entsagt und sich der Landwirtschaft gewidmet, da er sich mit einem Mädchen verlobte, welches ihm ein hübsches schuldenfreies Gut als Morgengabe brachte. Der Entschluß war ihm um so leichter geworden, als er bei seiner radikalen politischen Gesinnung eine Staatsanstellung als wenig wünschenswert betrachtete.
Indessen war die Beschäftigung mit Ackerbau und Viehzucht keineswegs geeignet, seinen regen, von den Zeitideen erfüllten Geist auf die Dauer zu befriedigen. Seine Bemühungen um die intellektuelle Hebung der bäuerlichen Bevölkerung der Umgegend, auf die er sich anfangs mit großem Eifer warf, blieben ohne merklichen Resultate, das Gut selbst verlor unter seiner Bewirtschaftung an Ertragsfähigkeit, alles entmutigte ihn. Nach fünf Jahren verkaufte er es und siedelte mit seiner Frau nach der Hauptstadt der Provinz über. Ein Kind, welches ihnen in
Das junge Paar war erst etwa zwei Jahre verheiratet und die ganze häusliche Einrichtung zeigte jene Behaglichkeit und Eleganz, welche in unseren Tagen auch dem weniger Bemittel zwischen geboren worden, war in noch zartem Alter gestorben,
ten erreichbar sind.
und der kleine Grabhügel am Ende des Parks ging mit dem Gut an den Käufer desselben über. Die Mutter hatte sich nur schwer davon getrennt, wie sie überhaupt das mit ihren
Dem Kaufmannsstande angehörig, ohne es zur Selbständigkeit gebracht zu haben, denn das väterliche Erbteil, aus wenigen tausend Mart bestehend, war bereits zerronnen gewesen, noch frühesten Erinnerungen verwachsene Landleben ungern gegen das che er die Lehrjahre vollständig hinter sich gehabt hatte, mußte beengte Dasein in der Stadt vertauscht hatte. Aber welches Reinhold Livonius seine ganze Rechenkunst aufbieten, um den Opfer hätte sie nicht aus Liebe zu ihrem Manne gebracht? Bald kleinen aber bedürfnisreichen Hausstand zu unterhalten und nachdem sie sich in der Stadt eingerichtet, hatten sie die Nachdaneben seine hübsche junge Frau so modisch und elegant zu richt von Reinholds Verlobung und der gleich darauf folgenden fleiden, wie es sein Stolz auf sie und ihre Eitelkeit verlangten. Vermählung erhalten. Man hatte den Schritt in der unsicheren Anfänglich war dies auch recht gut gegangen, und wenn hier Stellung des jungen Mannes etwas gewagt und übereilt ge= und Kredit gewähren mußten, i hatte dies für ein paar junge Erwählten, deren Bildnis die Vermählungsanzeige begleitet gesunde Menschen, welche einander liebten, wenig zu bedeuten. hatte. Die Hoffnung auf allmäliche Gehaltserhöhung, die der Prinzipal
jede Falte von der Stirn.
Das änderte sich jedoch, als Reinhold, der seine Jünglingsleiden sich bei ihm herausstellte. Die Pflege war kostspielig. lehre wild durchlebt hatte, zu kränkeln begann und ein BruſtArzt und Medizin wollten bezahlt sein und die Aussicht in die
Bukunft verdunkelte sich.
Die Angelegenheit trat wieder in den Hintergrund. Franz
lebte jezt wieder seinen Studien und den öffentlichen Angelegen
heiten, denen er sich mit ganzer Seele widmete. Die Politik,
welche alle Geiſter beschäftigte, wurde mehr und mehr sein eigenstes Gebiet. Er schrieb für mehrere große Zeitungen und
trat in öffentlichen politischen Versammlungen als Redner auf. Dabei war es natürlich, daß sich sein Blick auf den Mittelpunkt des politischen Lebens, auf die Reichshauptstadt, wandte,
der in einer östlichen Provinz lebende Bruder Reinholds bei aufzuschlagen. Seine Gattin war wie immer bereit, sich seinen Da war eines Tages, wie ein Stern in düsterer Nacht, und daß bei ihm der Wunsch entstand, dort seinen Wohnsiz seinen Verwandten in der Residenz erschienen. Die Brüder Wünschen zu fügen und ihr Zelt von neuem abzubrechen, um hatten nach Brüderart seit Jahren keinen Verkehr miteinander mit ihm zu ziehen. Sie wäre ihm bis ans Ende der Welt schieden, daß es wenig Anknüpfungspunkte für sie gab. Der refognosciren, bevor er seinen Hausstand dorthin verpflanzte, gepflogen, auch waren sie nach Alter und Gesinnung so ver- gefolgt. Indessen hielt er es für geraten, das Terrain erst zu um zehn Jahre ältere Franz war schon auf der Universität
und so kam es, daß er eines Tages bei seinem Bruder allein
gewesen, als Reinhold erst die untern Sprossen der Wissens- erschienen war.
Rr. 11. 1884.