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gewissermaßen als Gast geduldet wurde, spielte hier die Haupt­rolle und lud den Patrizier zu Gast. Der Gondolier, in früheren Beiten eine Macht, mit welchem der Staat rechnen mußte, war in erster Linie bei diesem Feste beteiligt. Vom Ausgang der Regatta hing oft das Lebensglück des einzelnen ab. Denn mehr als eine glutäugige venetianische Schönheit, die von mehreren umworben war, schob die Entscheidung über ihr Herz und ihre Hand bis zur Regatta auf. Mancher Gondolier knieete wochenlang vorher mit seiner Geliebten allabendlich vor dem Madonnenbilde und betete um Sieg; zu arm, um das höchste Ideal eines Gondolier zu erreichen, nämlich eine eigene Gondel, sezte er seine ganze Hoffnung auf die Regatta. Gewann er den ersten Preis oder auch nur einen der anderen, dann konnte er sich eine Gondel kaufen, sein Name als Sieger verschaffte ihm Gönner, er konnte seine Braut heimführen sein Glück für das ganze Leben war gemacht.

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Abkömmlinge von ehemals hohen und von reichen Familien, deren Ahnen vor gar nicht so langer Zeit eigene Gondoliere im Solde hatten, die an den Marmorstufen des Palastes warteten. Unter den 25 000 Armen, die Venedig zu ernähren hat, ver bergen sich überhaupt hochklingende Namen, und wenn man fragt, wie die Träger derselben so tief ins Elend gekommen seien, so erhält man die Antwort: Weil der venetianische Nobili es unter seiner Würde hielt, zu arbeiten, weil er glaubt, seinem Wappenschild, das übrigens längst verblichen ist, Schimpf an zutun, wenn er irgend etwas Nüzliches treibt." Ich habe selbst junge Adelige kennen gelernt, die absolut nichts tun, als sich in das Kaffeehaus sezen, Cigaretten rauchen und über die Straße stolziren, und doch könnten sie vermöge ihres Adels in der diplo matischen Carrière oder doch als Vaterlandsverteidiger voran­kommen. Aber selbst zu solcher Tätigkeit verstehen sie sich nicht.

So hat sich manches in der alten Dogenstadt geändert. Wir Die Wettruderer stellten sich am östlichsten Punkte Venedigs werden bei unsern Zwiegesprächen nicht mehr ausgehorcht; unsere bei der Insel Castello auf, wo heute die von Napoleon ge Worte, unsere Gedanken werden nicht mehr brühwarm und ver schaffenen Giardini Publici( öffentlichen Gärten) liegen. Auf dreht höhern Orts angebracht. Wir brauchen den Dolch des ein gegebenes Zeichen sezten sie sich in Bewegung und fuhren Bravo nicht mehr zu fürchten, und, wie er, so ist auch eine mit Windeseile dem Kanal Grande zu, den sie fast seiner ganzen andere italienische und ganz besonders venetianische Figur, der Länge nach durchsausten, begleitet von dem Geschrei der tausende Cicisbeo, verschwunden. Der Bravo ist kein Gebild des Roman von Zuschauern zu beiden Seiten des Kanals. An einer be­An einer be- schriftstellers; er nahm vielmehr in Venedig eine wichtige Stel­stimmten Stelle befand sich mitten im Kanal ein großer Pfahl lung ein und bildete mit zahlreichen Kollegen" eine beſtimmte mit einer Fahne und hier mußte der Ruderer die schwierigste Klasse Menschen, die ihre" Prinzipien" hatten. Da, wo der Probe bestehen. Er mußte sein Boot, das wie ein wilder Gondolier zu einem Geschäfte zu ehrlich und zu gewissenhaft Renner über die schäumende Flut dahin schoß, um diesen Pfahl war, trat der Bravo an die Stelle, und mancher Bravo zählte herumlenken und ohne Aufenthalt denselben Weg zurücklegen. unter seinen Kunden hohe und berühmte Namen. Politische Man kann sich kaum vorstellen, wie viel Kraft, Gewandtheit und Gegner, persönliche Feinde, begünstigte Nebenbuhler, treuloſe Geschick ein solches Manöver erforderte. Mit derselben rasenden Liebhaber, unangenehme Gläubiger, Unkluge, die zufällig ein Schnelligkeit ging es dann zurück bis zum Palazzo Foscari, wo Geheimnis erlauscht, alle diese lieferten Arbeit für den Bravo. ein großes kunstreiches Gebäude aufgerichtet war, das als Ziel Wenn ein Nobili glaubte, seine Ehre" rächen zu müssen, so der Wettfahrt galt und auf dem auch die Preise verteilt wurden. vertraute er die Sache einem Bravo an, der für einen mäßigen Der Weg, den die Wettfahrer zurücklegten, betrug ungefähr Preis den Gegner in den Kanal stürzte oder ihm von hinten vier venetianische Meile oder etwa 8350 Meter, also ungefähr einen Dolchstoß beibrachte. Der Bravo war gewissermaßen ſelbſt 26,620 Fuß, was eine Länge von preußische Meile ergibt. von der Regierung anerkannt. Kam es vor, daß jemand sich Um nur allein an diesem Wettkampfe teilnehmen zu können, bedurfte es einer ungewöhnlichen Kraft und außerordentlichen ledigen wollte, so paßte dieser seinem Opfer auf. Nun aber eines Gläubigers, Feindes u. s. w. durch einen Bravo ent Geschicklichkeit. Die zwei lezten Regatta in unserem Jahr gelang es dem lezteren, sich des Bravo zu entledigen, oder hundert fanden statt 1846, als die Kaiserin von Rußland Venedig wurde ihm der saubere Plan verraten, kurz, er eilte zu besuchte, und 1875 bei Gelegenheit des Besuches des Kaisers Staatsinquisitoren und klagte seine Not und Gefahr. Dann ließ der Staatsinquisitor den Patrizier oder wer sonst den Bravo bewunderte man die Schnelligkeit der Wettruderer auf einen gedungen, kommen und verurteilte ihn eine Summe Geldes Kilometer in vier Minuten. Nimmt man an, was man wohl zu deponiren, die als Garantie für den Bedrohten liegen blieb. darf, daß die Gondoliere der alten Zeit ebensoviel Erfahrung Ja noch mehr, der Bedrohte nahm sich jezt selbst einen Schuz und Kraft hatten als die heutigen, daß die Wettkämpfenden von ehemals dieselbe Geschwindigkeit besaßen, so dauerte für den Uebles widerfuhr, so wurde sein Feind als Urheber bestraft. bravo auf Kosten seines Feindes, und wenn ihm trozdem etwas einzelnen Mann die Fahrzeit wenigstens dreiunddreißig Minuten, was bei so enormer Anstrengung viel heißen will.

Die Sieger erhielten aus den Händen der Preisrichter eine

Kleine Fahne, die entweder rot, grün, blau oder gelb war. Die Farbe gab die Höhe des Preises an. Der lezte Preis war immerhin noch ansehnlich und originell; er betrug zehn Dukaten

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Eine ganz andere Figur war dagegen der Cicisbeo, eine unangenehme Erscheinung, unmännlich und weibisch und nicht der verkommenen Zeit Ludwig XV. in den Salons und Bou doirs der pariser Damen auftauchten. Der Cicisbeo fommt erft im 17. Jahrhundert vor und ist jezt längst verschwunden. Er und ein lebendes Spanferkel. Ueberhaupt spielten die Gon- fand sich hauptsächlich in Italien und zwar in Genua , Florenz , doliere eine Hauptrolle. Sie bildeten eine Korporation und hielten ganz besonders aber in Venedig . Er war eine Art männliche streng auf die Privilegien, die fast so alt waren als die Republik Gesellschaftsdame, eine Mode, die wir uns faum vorstellen selbst. Noch heute umgibt den Gondolier ein poetischer Hauch. können. Er wahr mehr als Diener, etwas weniger als Haus Sie waren stets treue, zuverlässige Leute, denen ihre Patrone oft freund, sonst aber der stete Begleiter der Frau vom Hause. Er wichtige, oft zarte und delikate Aufträge anvertrauen durften. Sie frühstückte mit ihr, half bei der Toilette, begleitete sie zur standen selbst geistig höher als die übrigen Schiffer der Lagunen, Promenade, zu den Kaufläden, zum Teater; er nahm die An auf die sie vornehm herabblickten. Doch jene vielgerühmten ho- ordnung der Feste in die Hand, er gebot der Dienerschaft, er merisch- venetianischen Rhapsoden, die mit melodischer Stimme geleitete die Dame zum Diner, zu Hause oder auch außerhalb Es gehörte zum guten Ton, wenigstens einen Cicisbeo zu haben; fangen, Strophen aus der Gerusalamme Liberata rezitirten oder Frauen, die auf der Promenade drei, vier, fünf bis sechs solcher nobler war es, mehrere sich folgen zu lassen. Ja, es gab

und strengem Rytmus die Gesänge des Tasso und des Ariost bei herrlichen Mondscheinnächten auf dem stillplätschernden Kanal

auch bei Begegnung im Wechselgesang sich die Klagen der Hermione

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Kammermänner um sich hatten; dann trug der eine den

und die Seufzer des Tankred zuriefen- ihre Zeiten sind dahin, sie Fächer, der andere das Taschentuch, der dritte geleitete die Dame,

sind verschwunden mit so vieler Poesie und so manchem Orienta

lisch- Märchenhaften, das das schöne Benedig bezaubernd machte.

Unter den armseligen Gondolieren von heute befinden sich

der vierte trug ein Parfümfläschchen, der fünfte und sechste ent Borbei alles längst versunken und fast vergessen.