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" Die Autorität, welche die Reformatoren der Bibel beilegten und welche Autorität in dieser Richtung auch sehr bereitwillig von den Vertretern des Katolizismus acceptirt wurde, bildete bon nun an eine gewaltige Schranke gegen freie wis senschaftliche Forschungen. Die Wissenschaft erlangte auch unter der Herrschaft der Reformation nur so weit Duldung, als sie mit den Angaben jenes alten Buches übereinstimmte; die Forschung durfte nicht über das hinausgehen, was vor Jahrtausenden von unbekannten Verfassern geglaubt worden war; eine Entdeckung ward zur strafwürdigen Kezerei, wenn sie sich vermaß dem heiligen Buche zu widersprechen. Das alte bereits bor der Reformation erschütterte teologische Gebäude hatte durch Umbau und besonders durch die Stüze der Bibel neue Festig feit gewonnen, wie sie die Kirchenväter auf eine Reihe von Jahrhunderten hinaus- nimmermehr hätten gewähren können. Es ist gewiß eine sehr bezeichnende Tatsache, daß ehe die Reformation ihre Wirksamkeit entfaltet hatte, ein katolischer Domherr Copernicus die Bewegung der Erde lehrte die Bewegung der Erde lehrte und daß sein( sogar dem Pabste zugeeignetes) Buch nirgends verboten ward, daß dagegen ein Jahrhundert später Galilei auf Grund der Bibel Einterferung erfuhr, ja daß heutzutage noch gerade protestantische Pastoren( während die katolischen Priester in dieser Frage mindestens king verstummt sind) die Lehre von der Erdbewegung um die Sonne für eine Kezerei erklären, unter ganz richtiger Berufung auf die unzweifelhafte Teorie der Bibel."
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Troz alledem, was er an der Reformation auszusezen hat, fährt Kolb weiter unten fort:
" Es wäre unrecht, die wirklichen Verdienste der Reformation hinwegleugnen zu wollen. Schon die Abschaffung der zahllosen Feiertage sehen wir als eine nicht nur auf die ökonomischen Verhältnisse, sondern auch mittelbar auf die Anschauungen des Boltes sehr wohttätig wirkende Aenderung an. Der Gewinn aber ward erlangt großenteils auf Kosten der nächstfolgenden Generationen, die freilich kirchlich eine Erleichterung hatten, dagegen im wissenschaftlichen Forschen mit neuen Banden neben den alten umgeben waren.
" Der Protestantismus , wie er sich ausbildete, hat zwar allerdings verschiedene grelle Dinge vom Katolizismus abgestreift, die Konsequenz der älteren Kirche. aber er ist auf der gleichen Grundlage geblieben und zwar ohne
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er
" Indem er die Bibel zum unfehlbaren, Wort Gottes flärte, hat er es muß nochmals gesagt werden sehr wesentlich, und zwar fast vierthalb Jahrhunderte lang, mit nur allzugroßem Erfolg beigetragen, die freie Entwicklung des forschenden Menschengeistes nicht zu fördern, sondern zu hemmen und zu lähmen. Amicus Plato, magis amica
veritas!"*)
So die beiden Kulturhistoriker
- der radikal- materialistische
und der radikal- demokratische. Sie, die als Kulturhistoriker
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erbittert man die Kirche und ihre Anhänger in allen Schichten der Gesellschaft gegen sich da ist es gewiß klug, den Abschluß der Rechnung dem Leser selbst zu überlassen, der dann ja je nach seiner eigenen Gesinnung schon zum befriedigenden Resultate kommen wird.
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Nun, diese Art der Klugheit ist dem Schreiber dieser Zeilen völlig fremd, er wird sich daher bemühen, das Fazit zu ziehen, ziehen, aber dazu bedarf es eindringender, leidenschaftsloser Forschung auf allen Gebieten und über alle Fragen, welche die Reformation berührt hat. Die Grundlage derselben oder vielmehr ihr Anfang ist vorliegende Arbeit.
Mögen sie die Leser der„ Neuen Welt" so unparteiisch betrachten und prüfen, als sie unparteiisch geschrieben ward.
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Huldereich( Ulrich) Zwingli wurde am 1. Januar 1484 in der Grafschaft Toggenburg als dritter Sohn des Ammanns, d. i. des Vorstehers, der Berggemeinde Wildhaus am Fuße des Churfirsten und des Säntis geboren. Sein Vater war dem Berufe seiner Vorfahren gefolgt, wie diese war er ein Hirte, jedoch gehörte er zu den wohlhabenden Mitgliedern der kleinen Gemeinde, ein Umstand, dem er wohl nicht zum geringsten Teile das höchste Ehrenamt der Gemeinde zu danken hatte. Einzelne Glieder der Familie waren Geistliche geworden, so ein jüngerer Bruder des Ammanns, desgleichen ein Bruder seiner Frau.
Das mochte Ulrich Zwinglis Vater den Wunsch nahe gelegt haben, einen Sproß seiner, mit zwei Töchtern und acht Söhnen gesegneten Familie, gleichfalls zum geistlichen Herrn erhoben zu sehen, und die Wahl des Familienrats übertrug diesen Vorzug eben dem dritten der Söhne.
Neun Jahre alt verließ Huldereich Zwingli das Vaterhaus; man brachte ihn in die von dem Onkel Bartolomäus Zwingli, der damals Dechant in Weesen war, an diesem Orte gegründete
Lese- und Schreibschule. Die Gelehrsamkeit dieser sicher sehr bescheidenen Vorbereitungsanstalt beschäftigte ihn nur kurze Zeit,
nun kam er nach dem mit verhältnismäßig guten Bildungsstätten ausgestatteten Basel zu dem Ludimagister an St. Teodor, Gregorius Bünzli. Auch hier machte der lebhafte, mit trefflichem Auffassungsvermögen ausgestattete Bursch überraschende
Fortschritte in allen Lehrgegenständen, in Grammatik, Dialektik und Musik, und vorzüglich zeichnete er sich als Sänger sowie als schlagfertiger Redner aus. Nach kaum zweijährigem Aufenthalte in Basel hieß es weiterziehen, diesmal zu dem in der
Schweiz als bester der Lehrer bekannten Heinrich Wölflin( Lupinus) in Bern . Dieser war nicht nur ein schwer gelehrter
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Mann, sondern auch ein feinsinniger Dichter natürlich in lateinischer Sprache und genoß als ausgezeichneter Pfleger der humanistischen Studien weiten Ruf.
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Wölflin machte den dreizehnjährigen Zwingli mit den lateini
schen Klassikern, vornemlich auch den Dichtern vertraut und sein
Indes war auch sein berner Aufenthalt nicht von längerer Dauer. Die Klangvolle Stimme und die gewinnende Bered
protestantischen Reformation auffällig nahe; sie haben viel an ganzes Denken und Wesen gewann den tiefsten Einfluß auf den hr zu noch auffallender ist, sie stimmen auch darin überein, daß sie tadeln und verhältnismäßig wenig zu loben. Und was kühn und freudig emporstrebenden jungen Menschen. für und wider nicht gegeneinander abwägen und das Fazit zu teit, zu erkennen, gäbe, zit, we dejomation ver Menschheit, Versuche, ihn an sich zu ziehen. Wahrscheinlich wäre er in lechen samkeit Zwinglis veranlaßten die Dominikaner in Bern zu dem beziehentlich den Völkern, die sie vollführten, mehr genüzt als seiner Unerfahrenheit den Lockungen der Klostermänner gefolgt, geschadet oder mehr geschadet als genüzt hat. nicht so ganz ungefährlich. Entscheidet man sich zu Gunsten der Befehl gekommen wäre, unverzüglich Bern zu verlassen und sich ganz leicht und zu den Reformation, so tann man sicher sein, daß man sich hierbei zur Fortsezung seiner Studien nach Wien zu begeben, wo der Anfeindungen seitens sehr vieler religiösen Freidenkenden und
wenn nicht plözlich aus der Heimat, wohin er über seine Be
eine Revolution der Geister wider die scholastisch- teologische
selbst dem Verdachte aussezt, ein Verräter an der Sache des Wissenschaft des Mittelalters beginnende Humanismus soeben geistigen Fortschritts zu sein; entscheidet man sich gegen sie, so in Blüte gekommen war.
**) Der ehrliche idealistische Kolb ist geradezu des schneidigen ma* Plato steht mir hoch, doch höher noch steht mir die Wahrheit. die Hellwald anders beurteilt, in bissigen Anmerkungen wohlgezielte
Während der zwei Jahre, welche Zwingli an der Universität verbrachte, studirte er hauptsächlich Philosophie und ſezte außerdem das Studium der alten lateinischen Klassiker, der
terialistischen Hellwald Brügeljunge, der ihm bei jeder Angelegenheit, Redner und Dichter und am meisten der Historiker, eifrigst fort,
Stiche und Hiebe versezt.
die er jezt hoch über die Scholastiker stellte.