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sollte sie bewohnen. Reinthal inspizirte zusammt den Damen dies alles, erbat in einigen Dingen ihren Rat, und lud sie hierauf zu einem kleinen Mahl in den Salon. Er und Helene waren von der muntersten Laune; sie scherzten beide über die nahe Nachbarschaft, und Reinthal behauptete, man werde mit Hülfe eines Opernglases von den Fenstern der Villen aus miteinander fokettiren können. Dabei suchten seine Augen immer wieder denen Elsas zu begegnen. Und nun war es der Gräfin interessant zu bemerken, wie Elsa, obwohl sie sich heiter und lebhaft gab, doch den Baron mit Kälte behandelte und einem. Geschick fern zu halten wußte, das sie in Erstaunen sezte.

Der Baron war es also nicht gewesen, der ihren Bekehrungs­versuchen im Wege gestanden? Wer war es also? Hatten sie nicht zu vorschnell dies Mädchen wieder freigegeben? Sie be­reute jezt ihre Nachgiebigkeit, sie schämte sich ihrer Schwäche, aber es war zu spät. Reinthal benuzte den nächsten Zug, um Helene und Elsa nach der Residenz zu geleiten. Die Gräfin fuhr allein in ihrem Wagen nach Obergau zurück. Heute, wo sie sich in ihrer Einsamkeit diese Vorgänge ins Gedächtnis zurückrief, regte sie sich aufs neue und in noch maßloserer Weise auf. Und er, auf den sie gerechnet hatte, der ihr seine Hilfe zugesagt, er, der ihr geistlicher Beirat geworden, er hatte sie in dem kritischesten Augenblick verlassen und war nicht wieder gekommen. Sie ging im Zimmer auf und nieder und wandte sich wohl auch einmal dem Fenster zu, aber der trübe graue Regenton, der auf allem lag, flößte ihr eine Art Efel ein. Sie war eben sehr nervös, die gute Natalie, und sie konnte nicht

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" Haben Sie es nicht bemerkt als wir damals zurück­sie trug einen Gegenstand in ihr Tuch gewickelt in famen der Hand sie hatte ihn aus der Hütte des Arbeiters mit­genommen erinnern Sie Sich doch!"

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Die Gräfin nickte. Ja ja, sie erinnerte sich jezt, es war ihr aufgefallen, und ihre Neugierde war gewachsen, als sie zu bemerken glaubte, daß Elsa diesen Gegenstand zu verbergen, ihrer Beachtung zu entziehen versuchte. Sie hatte ihn in ihren Reise­mantel gesteckt, aber die Kammerjungfer war die Indiskrete ge wesen und hatte der Gräfin verraten, daß dieser Gegenstand ein Buch war, eine Broschüre, ganz neu, noch nicht einmal auf­geschnitten.

Es ist richtig!" rief er, und er sprang auf in heftiger Be­wegung und durchschritt das Zimmer, unter den aufstürmen den Gedanken nach Fassung ringend. Jezt blieb er vor der Gräfin stehen, die in ihre Causeuse gelehnt, verwundert und etwas bänglich, jeder seiner Bewegungen gefolgt war.

"

"

Von wem war das Buch?" fragte er streng.

Ich weiß es nicht."

Sie haben nicht weiter geforscht?"

Nein."

Sie haben also diesem Umstande keine Bedeutung beigelegt, gar keine?"

Sie sah ihn mit ungewisser Miene an, halb ärgerlich, halb

erstaunt. Mein Gott, nein."

" Ach, ja ja, man ist blind, man ist taub, man sieht nichts; Iman scheint feine Ahnung zu haben von der Troftlosigkeit einmal im Gebet Trost finden. Auch dazu fehlte ihr Cölestin. unserer Zustände, von ihrer Gefahr; wohin treiben wir, o mein

In diesem Augenblick trat ein Diener ein und meldete den

Pater Cölestin .

Die alte aber noch lebhaft fühlende Dame hätte fast einen Freudenschrei ausgestoßen.

Gott !"

Ich verstehe Sie nicht."

Er lachte wieder, es flang nur noch gereizter.

Ein Arbeiter war es, nicht wahr, ein Arbeiter; nicht etwa Sie warf einen Blick in den Spiegel, und als sie sich über einer, der zu dem bereits verdorbenen Proletariate der Städte

zeugt, daß der innere Grimm ihr weder eine Spizenrüche ver

tuittert, noch ein Bändchen verschoben, und daß ihre Toilette Leben zugebracht, ein einfacher schlichter Bursche, und der ist

die distinguirteste Nettigkeit zeigte, wandte sie sich der Türe zu,

um dem Erwarteten einige Schritte entgegen zu gehen. Cölestin wir finden schon die neuesten Erscheinungen des Büchermarktes trat ein. Er reichte ihr die Hand, ohne etwas zu sagen. Sie unter der ländlichen Bevölkerung verbreitet, die moderne Literas sah ihn mit großen erschreckten Augen an, sie fand ihn sonder- tur, oder gar die moderne Wissenschaft in der Hütte der Armen, bar verändert. Seine Wangen waren eingefallen, und der starke die ihren lezten Groschen, den sie sich vom Munde abgedarbt, bläuliche Schimmer, den der seit Tagen nicht rasirte Bart darauf dafür hingegeben. D, dies erklärt mir vieles, es erklärt mir verbreitete, ließ sein Gesicht geradezu blaß erscheinen, sein sonst alles!" Er faßte mit beiden Händen nach seinem Kopfe, als sorgfältig geordneter Anzug hing lose und unordentlich an seiner müsse er ihn sichern vor allzu schwindelnden Eindrücken. Wiffen Sie, Gräfin, was ich in diesen Bergen erfahren habe!? Daß Sie sind krank gewesen!" und sie erfaßte in mitleidiger diese Aermsten, diese Ausgestoßenen, daß unsere Legionen, Teilnahme abermals seine Hand; sie war heiß und trocken. Gräfin, auf die wir bisher am festesten vertraut haben, daß auch sie schon angesteckt sind von der Verderbnis, wankend im Glauben, von der Strömung erfaßt, die sie vorwärts reißt, " Beunruhigen Sie Sich nicht, es ist nichts. Die Luft der unaufhaltsam!" Er sah sie mit trockenen geröteten Augen an,

Gestalt, die darunter hager erschien.

"

Um Gotteswillen was ist Ihnen?"

Er hatte ein mattes geringschäziges Lächeln.

Berge, die starke Bewegung hat mir so zugesezt."

Wo sind Sie denn gewesen?"

" Ich irrte in der Bergwildnis umher, über Schluchten und Eisfelder bin ich geklommen, und dann wieder nach den Hoch­tälern herabgestiegen; ich habe die Hochlandsnatur studirt und die Menschen, die da wohnen, da oben, so nahe dem Himmel - dem Himmel! O, ich bin um manche Erfahrung reicher geworden!" Er lachte, es klang schneidend, bitter.

"

"

in denen ein unheimliches Feuer glühte. Gräfin, da oben in jener Bergwildnis, da habe ich darüber gewütet und ich habe darüber geweint, heiße blutige Tränen habe ich um die Mensch

heit geweint und um mich selbst!"

Wie innerlich gebrochen ließ er sich in den Stuhl finken. Die Gräfin führte ihr Taschentuch gegen die Augen. Gott wird die Sünder züchtigen mit ewiger Verdammnis," lispelte sie, als ob sie ihm und sich selbst damit etwas recht

"

Sie nötigte ihn Plaz zu nehmen und sezte sich neben ihn. Trostreiches gesagt hätte. Er sah sich um.

Um seine Lippen zuckte wieder jenes Lächeln unfäglicher " Ist fie fort?" fragte er in einem Tone, der heiser, wie Verachtung, er stüzte den Kopf schwer in die Hand und schloß

aus zusammengeschnürter Bruft sich ihm entrang.

" Ja," sagte die Gräfin fast hart.

,, Sie ist wieder zu Helene zurückgekehrt?"

die Augen. Und wieder reihten sich ihm Gedanken an Ge danken, Bilder an Bilder. Und wieder stand das blonde Mädchen vor ihm, schöner in ihrem Widerstande noch und be Natürlich, Sie haben sie ihr ja selbst ausgeliefert. Sie gehrenswerter:" Ihre Vorstellungen sind nicht die meinen, Ihr Sie wußte, daß sie ihm wehe tat, aber es war ihr eine fahren, was ihr den Geist bewegte. In welchem Verhältnis

haben ja dazu geraten, sie aufzugeben."

Art Genugtuung, warum hatte er sie nicht besser gehütet.

Er biß die Zähne zusammen, seine Brust hob sich unter

Geist bewegt mich nicht," hatte sie gesagt.

Ah, er wollte er

stand sie zu jenem Arbeiter? Sie hatte ein Buch von ihm ge einem schweren Atemzuge. Nach einer Pause begann er leiser Er wollte für all die sich ihm aufdrängenden Vermutungen nommen, deutete das nicht auf eine geistige Verbindung?

und häufig stockend:

Gewißheit!