nichts weiter zu sehen, als Brod und Wein und nicht den Leib Christi selbst. So bekannte er z. B. im Jahre 1524 selbst: Hätte ihn fünf Jahre vorher jemand berichten mögen, daß im Abendmahl bloßes Brod sei, so wäre ihm hiermit ein großer Dienst getan worden, und er habe selbst auch harte Anfeindung darüber erlitten, indem er gesehen, daß er damit dem Pabsttum den ärgsten Puff hätte geben können*), später aber wäre er tiefer in den Sinn des Einsezungswortes, wie es vom Herrn Christo selbst herrühre, eingedrungen und dieser hielte ihn nun gefangen.

Demgegenüber wird eine unparteiische Geschichtsforschung höchst wahrscheinlich dem vollkommen zustimmen müssen, was der ausgezeichnetsten einer unter den lebenden Kennern der Refor mationsgeschichte, Döllinger, zu diesen interessanten Punkten in Luthers Glaubenslehre sagt; nämlich folgendem:

" Indes pflegten ihn( Luther ) die klarsten Bibelstellen, wenn sie mit seinen Lieblingslehren in Konflikt gerieten, nicht zurück­zuhalten, und er hatte eben erst während des Streites mit Erasmus **) in Mißhandlung und gewaltsamer Verdrehung flarer Schriftterte das Unglaubliche geleistet. Es war die Oppo­sition, erst gegen Carlstadt, dann gegen Zwingli und Dekolam padius, die ihn antrieb, sich mit aller Straft seines Geistes in die Ueberzeugung hineinzuarbeiten, daß die streitigen Texte der Schrift nur von einer substantiellen Gegenwart und Mitteilung des Leibes Christi verstanden werden könnten. Den Glauben hielt er fest, daß er ein von Gott auserforenes und mit allen erforderlichen Gaben reichlich ausgerüstetes Werkzeug zur Wieder­bringung des verlorenen Evangeliums, zur Wiederherstellung der seit den Zeiten der Apostel verfallenen Kirche sei, daß daher auch im langen Laufe der Jahrhunderte niemand erschienen, der mit ihm an Reichtum der Gaben und Erhabenheit der Sendung verglichen werden könne. Jezt sah er in der Schweiz und in

Oberdeutschland eine von ihm unabhängig sich entwickelnde Partei, an deren Spize Zwingli stand, sich erheben und rasch um sich greifen; so mischte sich auch die Bitterkeit der Eifersucht und des verlezten Stolzes in den Streit, und Luther gab dies selber durch den nachher ausgesprochenen Vorwurf zu erkennen: Zwingli trachte seinen Ruhm als Reformator zu schmälern, er habe sich in das Werk, welches ihm, Luther , eigentümlich sei, hineinge­drängt. Die gereizte Gehässigkeit und Leidenschaftlichkeit seiner Stimmung und seines polemischen Verfahrens ward aber dadurch noch erhöht, daß er jezt eben die Waffen gegen sich gekehrt sah, die er selber geschmiedet hatte: willkürliche, von aller Tradition losgerissene Interpretation einzelner Schriftstellen, und daß er bald genug auch erkennen mußte, wie auf diesem Boden der

Streit schlechthin unausgleichbar und endlos werden würde. Er

selbst hatte die Hauptbollwerke des Dogmas, das er nun ver­fündigte, niedergerissen, durch seine Verwertung der Verwand­lungslehre hatte er bereits den einfachen Sinn der Einsezungs­worte verlassen und die Figur einer Synekdoche***) angenommen; es sei, erläuterte er auf der Konferenz zu Marburg , eine ein­gefaßte Rede, wie man etwa von einem Schwert rede, aber mit

dem Schwerte auch zugleich die Scheide meine; denn der Leib Christi

sei im Brode, wie der Degen in der Scheide.")

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den gemeinsamen Feinden gegenüber beiseite lassen wollten. Der Forderung, die auch von vielen seiner Anhänger ge stellt wurde, daß er Zwingli und die mit diesem eines Glaubens waren, als Brüder anerkenne, gab er jedoch nicht nach, und es hätte sich in der Tat auch gar seltsam ausgenommen, wenn er Zwingli und den Seinen die Bruderhand gereicht hätte, nach­dem er kurz zuvor von ihnen behauptet hatte, sie hätten ein eingeteufeltes, durch teufeltes, überteufeltes, lästerliches Herz und Lügenmaul, kein Christ solle für sie beten und er müsse sich selber in den Abgrund der Hölle verdammen, wenn er mit ihnen Gemeinschaft haben sollte".

Der Streit mit Luther und dessen äußerliche Beilegung in Marburg war für Zwingli , wenn auch der bedeutsamste, so doch keineswegs der schwierigste und anstrengendste. Viel mehr zu schaffen machten ihm auf der einen Seite die Anhänger des Pabsttums in der Schweiz und auf der anderen die grimmigſten Feinde des Pabsttums, welche viel weitergehende und nicht blos auf Kirche und Religion zu beschränkende Reformen wollten, als er selbst, nämlich die schweizerischen Wiedertäufer.

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Dieser lezte der drei großen Kämpfe, welche Zwingli auszu fechten hatte, war ihm nach seinem eigenen Bekenntnis der schwerste von allen, konnte er sich doch nicht verhehlen, daß er sich hier gegen Menschen wendete, welche im Grunde mit ihm auf demselben Boden standen, gewissermaßen seine Haus­genossen" waren.

Die hervorragendsten der Wiedertäufer in der Schweiz , Wil helm Steublin, Simon Stumpf, Ludwig Hetzer , Felix Manz und Konrad Grebel , hatten in der Tat längere Zeit mit Zwingli Schulter an Schulter den harten und gefahrdrohenden Kampf gegen den Pabst geführt. Sie nahmen es aber noch viel ernſter mit der Rückkehr zum Urchristentum als Zwingli selbst. Eine Menge fanatisch erregter Handwerker umgab sie und trieb sie vorwärts, Schwärmer, die nun endlich das Himmelreich auf Erden eingerichtet sehen und sich mit den schönen Predigtworten allein nicht mehr begnügen wollten. Die Zwinglische Staats­kirche gefiel diesen Stürmern und Drängern der schweizerischen Reformation, je näher sie sie kennen lernten, desto weniger, sie war ihnen noch lange nicht volkstümlich genug, halb hielten sie gottesdienstliche Versammlungen in ihren eigenen Häusern und reformirten auf eigene Faust, so gut sie es eben konnten und verstanden, unter anderem in der Taufe, die ihrer Meinung nach nur den Erwachsenen, und nicht den noch nicht zum Glauben herangereiften Kindern zuteil werden

sollte.

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des

Nach der Meinung der meisten Wiedertäufer war es un bedingt nötig, mit dem Bestehenden ganz und gar zu brechen und total neue Zustände herbeizuführen. Wie sollte das num aber geschehen? Nun, sehr einfach: genau nach den Vorschriften der Bibel. Ernst mußte gemacht werden mit dem Evangelium, Christus müsse jedem Chriſten zum Vorbild dienen, dem er in allen Dingen auf das genaueste nachzufolgen habe. Luther und Zwingli gehörten nach ihnen zu jenen Weltkindern, die den Heiden gleichen, mit denen sie als Kinder Gottes feinen Um gang pflegen durften. Luther wurde u. a. von den Wieder täufern direkt vorgeworfen, daß er in Wittenberg mit den Doktoribus Bier trinke und die Laute schlage, was, wie wir Ein rechter Christ, meinte der große Haufe der Wiedertäufer, dürfe so etwas nicht tun, sondern müsse sich von der Welt absondern. Darum verschmähten es die echten und rechten Wiedertäufer, den Weltkindern", d. h. allen, die nicht so evangelisch radikal" dachten wie sie, auch nur die Hand zu geben oder sie zu grüßen; sie nahmen nicht Teil an den Freuden der Welt, nicht einmal an festlichen Hoch­zeiten, und suchten sich auch durch allerlei sonderbare Aeußerlich feiten, z. B. in einem eigentümlichen Schnitt und Stoff ihrer Kleidung, von den" Heiden" rings um sie her möglichst zu

Diese Stellung Luthers zu der Abendmahlfrage erklärt, weshalb es in Marburg zu einer vollen Einigung mit Zwingli nicht kommen konnte; und sehr widerwillig nur ließ sich Luther zu der übereinstimmenden Erklärung bewegen, daß er und Zwingli sich künftighin freundlich begegnen und den gegenseitigen Streit

*) Realenzyklopädie für protestantische Teo­logie und Kirche, II. Aufl. 9. Bd. 1881. S. 58.

**) Erasmus, einer der allerhervorragendsten Humanisten, über den und dessen Streit mit Luther wir in einer späteren Abhandlung Der Humanismus und die Reformation" ausführlicheres berichten werden. ***) Die Synekdoche ist eine rhetorische Figur, bei der durch einen einzelnen oder besondern Gegenstand das Ganze oder Allgemeine oder umgekehrt durch das Ganze oder Allgemeine ein Teil oder ein Beson­deres bezeichnet werden soll. Also z. B. wenn man sagt: Ein Cicero " für ein großer Redner", oder andererseits: Der Deutsche ist ein Träumer", während man meint: die Deutschen überhaupt sind Träumer." Katolisches Kirchenlerifon, Bd. VI, 1851, 664.

trennen.

Neben vielerlei verworrenen und törichten Dingen stedte in den Gedanken und dem Streben der Wiedertäufer jedoch auch manches verhältnismäßig oder wirklich Vernünftige und Gute.