338

Unsere Illustrationen.

"

Fahrender Musikant.( S. 321.) Sie glauben gar nicht, wie an­genehm es ist, einer Menge Menschen Dinge vorzusagen, die man selbst nicht glaubt, die aber von ihnen geglaubt und mit offenem Munde ange­hört werden", hat einmal ein Missionär gesagt, und wie mancher Kutten­träger denkt wie jener Missionär. Es liegt ein eigener Reiz in jener Sorte von Lügen, die man in Deutschland Aufschneiderei oder Münchhausiade, in Frankreich Gasconnade nennt. Der Aufschneider weidet sich an den buntschillernden Blasen seiner Phantasie wie an dem Effekt, den er auf die Zuhörer macht und der Bewunderung, welche diese ihm zollen, der so merkwürdige Dinge erlebt, beziehungsweise so erstaunliche Taten vollbracht hat. Hang zum Aufschneiden ist ganz besonders den Reisen­den eigen( a beau mentir qui vient de loin, Wer von ferne kommt, fann schön lügen"), denen das Außergewöhnliche, das sie wirklich ge= sehen haben, nicht genügt, weshalb sie der Phantasie lustig den Zügel schießen lassen, zuerst übertreiben und dann aus dem ff lügen, zumal man ihnen nicht leicht das Gegenteil beweisen kann. Münchhausiaden finden sich schon in den ältesten Literaturwerken, und ich bin geneigt, die Wunder des alten und des neuen Testaments, worüber sich auf­geklärte Teologen zumteil noch jezt die Köpfe zerbrechen und sie bald rationalistisch, bald mytisch auffassen, ganz einfach als biblische Münch­Hausiaden zu bezeichnen. Wenige mögen wissen, daß auch der Talmud, welcher sonst eine überaus ernste und heilige Miene zur Schau trägt, seine Münchhausiaden enthält. Im Traktat Baba Batra( fol. 73 ff.) erzählt Raba bar Chana u. a. folgende Seeabenteuer. Als wir ein­mal auf dem Meere waren, sahen wir einen Vogel, der bis zu den Knöcheln im Wasser stand und mit dem Kopf in den Himmel ragte. Wir dachten, hier müsse das Wasser seicht sein und wollten an dieser Stelle baden. Da hörten wir eine Stimme, welche rief: Gehet nicht ins Wasser! Ein Zimmermann ließ an dieser Stelle seine Art fallen und noch ist sie nicht auf dem Meeresboden angelangt. Ein andermal sah er einen Fisch, der so groß war, daß dessen Leichnam, als ihn das Meer auswarf, sechzig Städte zerstörte. Von dem Fleisch des Fisches nährten sich sechzig Städte und aus einer einzigen Augenhöhle flossen dreihundert Maß Del. Als die Reisenden nach einigen Jahren wieder in die Gegend kamen, baute man die zerstörten Städte aus den Knor­peln des Fisches wieder auf. Ein andermal sah er einen Fisch, der die Größe von sechzig Häusern hatte; derselbe wurde von einer Schlange ver chlungen, diese wieder von einem Seefisch und dieser endlich von einem Vogel, der sich hierauf auf einen Baum sezte. Man kann sich denken, bemerkt hiezu der Erzähler, welch ungeheure Größe der Baum gehabt haben muß! Ein anderer Rabbi fügte hinzu: Wenn ich nicht selbst dabei gewesen wäre, ich würde es nicht geglaubt haben. Viel­leicht sollten diese Ausschneidereien eine Satire auf jene glaubens­starken" Kreise sein, welche die unmöglichsten Dinge glaubten. Keines­falls sind es moralische Allegorien, wozu sie seichte Kommentatoren stempeln wollen. Der Typus aller humoristischen Aufschneider ist unser klassischer Münchhausen. Zu den besten Stückchen gehören die Geschichten von dem schönen schwarzen Fuchs, den er so lange peitschte, bis er aus der Haut fuhr, so daß diese nicht verdorben wurde; von dem Windspiel, das sich die Beine so abgelaufen hatte, daß es nur noch als Dachs gebraucht werden konnte; von dem Wolf, der sich so lange in das Pferd hineinfraß, daß er an dessen Stelle im Geschirr steckte und den Reisenden in den ersten Gasthof Petersburgs futschirte; von den festgefrorenen Tönen des Waldhorns, die hinter dem Ofen plözlich auftauend sich hören ließen; von dem General mit dem fil­bernen Hirnschädel, der nie betrunken wurde, weil er von Zeit zu Zeit den Hirnschädel lüftete und die Weindünste entweichen ließ; von dem Ueberrock, der von einem tollen Hund gebissen wurde und unvermutet in der Garderobe in Tobsucht und Raserei verfiel; von dem langen Zopf, mit dessen Hülfe Münchhausen sich und sein Pferd aus dem Morast zog; endlich von jener Winternacht im hohen Norden, wo er seinen Gaul an einen Pfahl band, sich in seinen Mantel hüllte und entschlief, währendes Tauwetter eintrat und der Schnee schmolz, so daß Münchhausen, als er aufwachte, sein Pferd oben an der Kirchturmspize hängen sah, die er für einen Baumpfahl gehalten hatte. Er nahm sein Pistol, schoß den Halfter entzwei, das Pferd kam herunter und Münch­hausen ritt weiter. Noch im Tode konnte er seine Streiche nicht lassen. Das Volk rief: Es lebe Münchhausen! und der Tote richtete sich auf und rief: In Ewigkeit! und legte sich auf die andere Seite. Eine unverdient in Vergessenheit geratene, von Geist, Humor und Satire sprühende, in bester Prosa abgefaßte Münchhaufiade in großem Stil sind die Memoiren des Friz Beutel" von dem rühmlich bekannten Herman Marggraff( 1864). Die Lügenbeutelei wird darin so weit getrieben, daß sogar den einzelnen Kapiteln aufgeschnittene Mottos vor­gesezt worden sind, was einmal zu einem ergözlichen Reinfall" Anlaß gab. Der bekannte Kalender des Lahrer Hinkenden Boten pflegt die leeren Räume seines Kalendariums mit Sentenzen aus den Klassikern beiläufig bemerkt: nicht immer in geschmackvollster Auswahl auszufüllen. Unter diesen fand sich vor einigen Jahren folgendes merk­würdige Zitat:

Es gibt im Menschenleben Augenblice, Wo man daheim sich nicht behaglich fühlt;

Dann rat ich dir, mach' schnell dich auf die Strümpfe, Sofern du welche hast!...

-

Schiller ."

Ich traute meinen Augen kaum, als ich dieses Zitat las; wo in aller Welt hätte Schiller diese Strumpfpoesie geleistet?! Es könnte allenfalls eine humoristische Parodie der Verse in Wallenstein sein: Es gibt im Menschenleben Augenblicke,

Wo man dem Weltgeist näher ist als sonst Und eine Frage frei hat an das Schicksal.

( NB. Ein Saz, der sich wohl im Munde des dem astrologischen Aberglauben ergebenen Wallenstein gut ausnimmt, der aber leider, wie manche andere etwas schwülstig formulirte Sentenz des großen Dichters, von konfusen Köpfen mit Vorliebe gebraucht wird.) Sicherlich aber hatte der Kalender den Saz als echtes Schillerzitat reproduzirt, da sämmtliche übrigen Zitate echt und ernsthaft waren. Da fiel mir der Friz Beutel" ein, und richtig, das Zitat findet sich als Motto vor dem zweiten Kapitel. Der gute Lahrer hatte sich die Sache leicht gemacht und statt seine Sentenzen aus den Dichterwerken selbst mühsam herauszuflauben, dieselben aus Zitatensammlungen genommen, wozu ihm auch Friz Beutel mit seinen zahlreichen Mottos brauchbar schien, da man bei oberflächlichem Lesen nicht merkt, daß die Zitate humoristisch parodirt sind. Heutzutage sind es die Handlungsreisenden, welche in der hyperbolischen Schilderung der Großartigkeit ihrer Häuser sich gegens seitig an Münchhausiaden überbieten. Behauptet der eine, in seinem Geschäft verbrauche man jährlich für 1000 Mt. Tinte, so versichert der andere, in seinem erspare man 1000 Mt. Tinte dadurch, daß man die Tüpfelchen aufs i nicht mache. Prahlt der eine, sein Haus brauche einen eigenen Hausknecht, um die Freimarken der Briefe anzufeuchten, so überbietet ihn der andere mit der Versicherung, in seinem Geschäft müsse der Buchhalter zweispännig vom Soll ins Haben fahren. Der eine erzählt, bei ihm werden so große Lieferungen Sand aus der Wüste bezogen, daß sich einmal ein lebendiger Löwe darin vorgefunden habe. Das sei noch gar nichts, meint der andere; bei ihm sei auch einmal ein Löwe im Sand gewesen, derselbe habe sich aber in den weitläufigen Magazinen verlaufen, so daß er bis dato noch nicht aufgefunden wurde.

Alte Soldaten und Waidmänner gleichen den Reisenden und schneiden auf, daß sich die Balken biegen". So der Soldat, der von einem Tambourmajor erzählte, er habe ein so feines Gehör gehabt, sogleich zu wissen, ob ein Trommelfell von einem ein- oder zweijährigen Kalb genommen sei, und wenn er durch das Brandenburger Tor zog, habe er mit solcher Kraft und Geschicklichkeit seinen Stock mit dem Silber­knopf über das Tor hinweggeworfen, daß er sich für einen Groschen Obst kaufen, durchs Tor schreiten und seinen aus der Luft kommenden Stock wieder auffangen konnte. Jägerlatein ist es, wenn ein Land­junker erzählt, er sei Nachts auf Rebhühner ausgegangen, habe seinem Hund eine Laterne an den Schwanz gebunden und so bei Laternen­schein Feldhühner zu Duzenden geschossen; oder daß er mit einer träd tigen Hündin eine trächtige Häfin gehezt habe, die starke Bewegung beschleunigte die Stunde der Geburt, die Hündin warf, der Hase fezte und das junge Hündchen jagte instinktmäßig das junge Häschen. Der fahrende Musikus auf unserem Bilde gehört offenbar zu dem edlen Geschlechte derer von Münchhausen. Das echte Kirschwasser, das man in den Dorfschenken häufiger vorgesezt bekommt, als in den vornehmen Hotels, hat ihn in die richtige Laune versezt, und er traktirt ſein kleines Publikum dafür mit echtem Musikanten latein. Die Bauern hören ihm gläubig zu; denn es kostet sie ja nichts. Wers nicht glaubt, zahlt einen Bazen" schlossen früher die Märchenerzähler. Würde es umfehrt lauten, so würden manche fromme und profane Märchen weniger Glauben finden, bei Bauern wie bei andern Leuten.- A menteur, menteur et demi( auf einen Lügner anderhalbe) ist das beste Haus­mittel gegen Aufschneidereien. Erzählt einer, er habe aus Gram in einer Nacht graue Haare bekommen, so erzählt man, daß einmal eine fohlschwarze Perrüde durch einen plözlichen Schreden ihres Trägers daß Roß und Reiter darunter Plaz hatten, so hat man den Kessel zu diesem Kohl gesehen, der so groß war, daß die Arbeiter, die ihn fertigten, einander gar nicht hämmern hörten. Hat jemand einen Flötisten ge­kannt, der die Flöte auseinanderblasen konnte, so dient man ihm mit dem Waldhornisten, der sein Horn kerzengerade blies. oben am Münster eine Fliege sizen sieht, den überbietet man mit der Es gibt indes Leute, die ihre Aufschneidereien so oft erzählen, daß sie schließlich selber daran

Versicherung, daß man sie sumsen hört.

glauben.

St.

Wer

seinen siebenzigsten Geburtstag. Man sieht es ihm kaum an, denn Der Geburtstagskuchen.( S. 328-329.) Großvater feiert heute seine Gestalt ist weder gebückt noch hinfällig und seine Bewegungen sind immer noch elastisch. Nur das silberweiße Haar, das von dem schwarzen Sammtkäppchen hell absticht, läßt uns erraten, daß mehr als sechszig Jahre über dies Haupt hinweggezogen sind. Der Mann hat ein Leben voll Pflichttreue und Entbehrung hinter sich; nahezu ein halbes Jahrhundert hat er mit den Tücken des Schicksals und der Ver­hältnisse unverzagt gerungen, um bei seinen Kindern den Grund zu einer auskömmlichen Zukunft zu legen. Mancher hat schon gedarbt und sich mit seinen Händen abgequält, um die Zukunft seiner Kinder zu sichern; wenigen ist es gelungen. Ihm scheint es bis zu einem ge­wissen Grade geglückt zu sein, denn seine Kinder haben alle einen lohnen­den Broterwerb gefunden. Sein ältester Sohn ist sogar in einer großen Stadt Prokurist bei einer angesehenen Firma geworden und seine Ein­fünfte sind groß genug, daß er den alten Vater bei sich haben könnte.