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15. Kapitel.

Die Alten und die Neuen.

Roman von. Kautsky .

In Solenbad hatte die Saison ihren Anfang genommen. Der Badeort war in der Mode und die Beliste zeigte täglich neue und darunter sehr illustre Gäste.

Auch in der Villa der Gräfin Dönhof, in dem benachbarten Obergan, herrschte einige Lebhaftigkeit. Gräfin Marie war mit den Kindern gekommen, und Cölestin weilte ebenfalls noch als Gast in ihrem Hause.

Seit ihrem Besuche bei der Hofer, über den sie an maß­gebender Stelle Bericht erstattet und gleichs in Klage geführt, fühlte sich Gräfin Dönhof auch ihre eits beufen, mit allen Mitteln diesen verderblichen modernen( trömungen entgegen zu arbeiten, und sie wußte die passive Merie, die mit den Ueber­zeugungen einer Ortodoxen auch deren Schwerfälligkeit besaß, ebenfalls für ihre Bestrebungen zu gewinnen. Sie besuchten zusammen die katolischen Institute, die von den Nonnen ge­leiteten Mädchenschulen und wohnten hie und da einer Unter­richtsstunde bei. In einer monotonen sinnbetäubenden Manier hörten sie die Zöglinge unisono die Sprüche und Gebete nach plappern, welche die Lehrerin ihnen vorsprach.

Es war ein klägliches Schauspiel, diese ihren Gebirgsdialekt sprechenden Kinder, hochdeutsch gedrechselte Säze, die Selbst­laute und Endsilben in affektirter Deutlichkeit betonend, herunter­leiern zu hören, und zu sehen, wie sie dabei alle, in gleich prononzirter Weise, automatenhaft die Lippen und Kiefern be wegten. Nicht ein Wort konnten sie von dem hochtrabenden Schwulst verstehen, mit dem sie hier Tag für Tag gequält

14. Fortsezung.

ihn berichtet habe, und daß Cölestin von dem Ordensgeneral selbst zur Verantwortung gezogen werden könnte.

Auch die vornehmen Damen des Kurortes, die mit ihren Sympatien den schönen Jesuitenpater heimlich verfolgt hatten, zeigten sich aufgeregt über dies plözliche Verschwinden.

Sie liebten ihn doch eigentlich alle, ihn, der keine lieben durfte. Sie fanden das so pikant und so traurig, und hätten ihm gerne, um ihn zu entschädigen, eine unbeschränkte Macht über ihr Gewissen eingeräumt.

-

an dem

Nach acht Tagen erhielt die Dönhof einen Brief aus Nizza , der sie indes wieder beruhigte. Cölestin teilte ihr darin mit einiger Ausführlichkeit mit, daß er hieher an das Krankens bett seines Bruders berufen worden sei, der an der Riviera von den Segnungen des Klimas und der Kunst der Aerzte die lezte Hilfe erwarte, wie es scheine, leider vergebens. " So stehe ich denn," so schrieb er, schmerzerfüllt Lager des einzigen Bruders, der, seit ich ihn wieder gesehen, meinem Herzen so wunderbar nahe getreten ist. Ich wußte bisher nicht, was das heißt, einen Menschen zu lieben und um ihn zu zittern, in Mitleid und Angst ihn an die klopfende Brust zu ziehen, sich selbst hingeben zu mögen, um ihn zu retten, jezt lerne ich diese süße Bitternis kennen."

"

Die Dönhof schüttelte den Kopf; das klang nicht geistlich. Der Ausdruck seiner brüderlichen Liebe und Barmherzigkeit hatte etwas weltliches und etwas leidenschaftliches an sich. Und er hatte auch nicht einmal seinen Ordensnamen darunter gesezt. Er hatte Ernesto Giuliano unterzeichnet.

Es war sein

wurden und ihre natürlichen Anlagen und Fähigkeiten erhielten Familienname, und Papier und Siegel zeigten das gräfliche

dadurch gewiß keine Förderung. Aber die Gräfinnen zeigten sich nichts destoweniger befriedigt, und sie wünschten nur, daß die Anzahl der Kinder, die der Wohltat einer Erziehung" teil­haftig wurden, eine größere sein möge.

Um diesen Wunsch tatkräftig zu unterstützen, votirten sie für die Dauer der Sommermonate einen Betrag, für welchen den

Kindern täglich eine Pflaumen- oder Grüzensuppe verabreicht

werden sollte. Das war gewiß das beste Mittel, um alle Säumigen heranzulocken, und selbst die protestantischen Mädchen.

Wappen.

Die Gräfin wußte, daß sein Bruder der Erbe eines großen Namens und eines fürstlichen Vermögens war, aber das fonnte nimmer auf ihn übergehen, der Professe von drei Gelübden war, der dem Orden Gehorsam, Keuschheit und Armut zugelobt. sein, Oder gedachte er aus dem Orden zu treten? Wollte er wieder

und sie verwarf diesen Gedanken mit Entrüstung.

Zwei Tage behielt sie in eifersüchtiger Ausschließlichkeit den Der Futterschale konnten diese armen Kinder nicht widerstehen, Brief für sich allein. Dann erst teilte sie ihn Marie und auch

und sie würden alle kommen, ohne Unterschied.

Gräfin Marie, in ihrer frommen Ehrlich eit und Beschränkt­heit, freute sich aufrichtig über dieses Ausku stsmittel mit seinen ersprießlichen Folgen. Die Nonnen mit de schwarzen groben Kleidern und den weißen flügelartig gebundenen Tüchern waren nun die täglichen Besucherinnen der Villa, und fromme Uebungen famen daselbst immer mehr in Schwung. Ein zweiter Jesuit, Pater Franziskus, der vor einigen Tagen nach Solenbad ge kommen und durch Cölestin bei den Gräfinnen eingeführt worden, leitete dieselben.

In der Gesellschaft kursirten über Pater Franziskus, der ein

ihr Helenen mit. Sie hatte mit Vergnügen bemerkt, daß zwischen Busammensein nur mehr von kurzer Dauer sein würde.

Zum erstenmal tauchte in ihr eine Ahnung auf von der Gefährlichkeit dieser Unbekehrten, und auch sie wünschte sie aus

ihrem Kreis entfernt, sobald wie möglich.

Mit Helenens Auftreten war in das bisher kühle und umdrängte sie und schmeichelte ihr und hätte sie gern zum monotone Badeleben eine erhöhte Temperatur gekommen. Man punkt der Geselligkeit gemacht.

Mittel­

Sie zeigte indes keineswegs jene Heiterkeit und ungetrübte strenges asketisches Aussehen hatte, die verschiedensten Ver- Laune, die man an ihr gewohnt war. Seit Wochen war eine mutungen. Vor allem diskutirte man den Grund seines Hier- Unruhe und eine Reizbarkeit über sie gekommen, die sie vorher seins. War er zur Kräftigung seiner Gesundheit gekommen, nicht gekannt hatte. Ihre Oberflächlichkeit und noch mehr ihre oder hatte er eine Mission zu erfüllen? War er vielleicht zur Bequemlichkeit hatten sie bisher davor bewahrt, irgend etwas zu

Ueberwachung Cölestins bestimmt, und hatte dieser zu Mißtrauen Anlaß gegeben? Man erschöpfte sich in diesen und ähnlichen

Schlüssen. Jezt war die Fürstin Lilli in Solenbad eingetroffen, und gleichzeitig auch Helene und Elsa.

Am nächsten Morgen erwartete die Dönhof Pater Cölestin , der mit ihr zu frühstücken pflegte, vergebens.

Ein Billet, das ihr zugestellt wurde, meldete seine Abreise. Er habe Ordre erhalten, hieß es darin, und müsse ge­horchen.

Die Dönhof war außer sich darüber.

hassen oder zu lieben.

und diesem Bestreben hatte sich nichts entgegen gesezt. Ihr einziges Bestreben war gewesen, sich zu unterhalten, füllung sie begehrte und vor der ihr gleichzeitig bangte Jezt stiegen mit einemmale Wünsche in ihr auf, deren Er Sie war entschlossen, sich wieder zu vermählen, und zwar Sie hatte die Auswahl unter den ersten und reichsten Kavalieren, aber ihre Wünsche gingen nach einer andern Seite. Aber war es nicht eine Tollheit, ihnen einen Menschen vor

demnächst.

Sie vermutete, daß sein Ordensbruder Nachteiliges über zuziehen, der nicht einmal Baron war?