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Zur Zeit der großen Umwälzungen von 1789 bis 1815| haben in Frankreich verschiedene Regierungsformen miteinander abgewechselt. Die Berufung der ersten Nationalversammlung und die Erstürmung der Bastille leiteten die Bewegung für die tonstitutionelle Monarchie ein, die mit der Verfassung vom 3. September 1791 ihren Abschluß fand. Die konstitutionelle Monarchie dauerte bis zum 10. August 1792, an welchem Tage die Tuilerien erstürmt wurden und die Nationalversammlung den König suspendirte. Vom 10. August bis 21. September 1792 folgte ein Interregnum unter der eigentlichen Regierung Dan tons ; am 21. September wurde die französische Republik proflamirt. Die dritte Nationalversammlung, der Nationalkon vent, übernahm neben der Vertretung auch die Regierung und Verwaltung des Landes, die er durch seine Ausschüsse( Wohl fahrtsausschuß, Sicherheitsausschuß u. s. w.) besorgen ließ. Vor Ablauf seiner dreijährigen Legislaturperiode schuf der Konvent eine neue Verfassung, die Verfassung vom Jahre III*) genannt, welche ein aus fünf Männern bestehendes Direktorium als Exekutivgewalt einsezte und ein Zweikammersystem einführte. Die Verfassung vom Jahr III, die vom 4. November 1795 an bestand, wurde von Napoleon Bonaparte am 9. November 1799 umgestürzt. Die Republik blieb dem Namen nach über vier Jahre bestehen, während Napoleon als Konsul mit absoluter Gewalt herrschte; im Jahr 1804 ließ er sich zum erblichen Kaiser ernennen und dankte 1814 ab; von Elba zurückgekehrt, regierte er nochmals hundert Tage, bis die Schlacht von Waterloo seinen endgiltigen Sturz und die abermalige Herrschaft der Bourbonen herbeiführte.
In dieser Zeit der großen Staatsumwälzungen, die ganz Europa eine veränderte Gestalt gaben, ist die Episode von 1795 bis 1799, da Frankreich von einem Direktorium regiert wurde, eine der interessantesten, und zwar deshalb, weil wir in dieser Periode die bürgerliche Gesellschaft, welcher die alte aristokratische Gesellschaft hatte Plaz machen müssen, ganz ledig sehen jener Rücksichten, die sie während der sogenannten Schreckenszeit hatte nehmen müssen gegenüber den stürmischen Volksmassen der großen Städte, namentlich gegenüber der revolutionären Bevölkerung der Vorstädte von Paris . Die zur Herrschaft gelangte Klasse genoß ihren Triumph mit vollen Zügen. Wenn vorher die Freiheit das Stichwort der Revolution gewesen war, so wurde
es jezt die Gloire, der militärische Ruhm, womit sich die
neue bürgerliche Gesellschaft den Soldaten erzog, der ihr den Fuß auf den Nacken sezen sollte.
Nachdem man die Verfassung vom Jahre III vollendet hatte, wurden die fünf Männer gewählt, denen man die Geschicke Frankreichs anvertrauen wollte. Es waren Newbell, ein Advokat aus Kolmar im Elsaß , dem man große Kenntnisse in der Verwaltung zuschrieb; Letourneur, ein ehemaliger Genie
dessen Wert damals auf 10/15 Prozent stand und später auf 1/2 Prozent sank, so daß man für 200 Franks Papiergeld einen Frank in Münze erhielt. Man konnte den Generalen nicht einmal die acht Franks in Silber auszahlen, die sie als eine Monatszulage zu ihrem papiernen Gehalt erhalten sollten. Als die Direktoren in dem Luxembourgpalast, den man ihnen als Wohnung angewiesen hatte, ankamen, fanden sie nicht ein ein ziges Stück Möbel darin*). Vom Kastellan liehen sie sich einen Tisch, der sehr wackelig war, und fünf Strohstühle, deren Geflecht sehr schadhaft erschien. Im Kamin war Feuer, das mit vom Kastellan geborgtem Holze geschürt wurde. Man hatte Kluger Weise einige Bogen Papier mitgebracht, und darauf schrieb man die Botschaft nieder, durch die das Direktorium den zwei gesezgebenden Körperschaften anzeigte, daß es konstituirt sei.
Der Konvent hatte dieser Regierung eine sehr schlechte Erbschaft hinterlassen; eine unermeßliche Schuldenlast und eine in den Revolutionsstürmen schlaff gewordene Menge. Die republi faniſche Begeisterung war geschwunden; sie bestand faſt nur noch in den Heeren, die an den Grenzen kämpften. Der Royalismus trat drohend hervor; man hatte soeben( 5. Oftober 1795) erst einen royalistischen Aufstand der pariser Bürger mit Kartätschen unterdrücken müssen. Die Republik unter dem Direktorium unterschied sich übrigens von einer Monarchie nur durch den Namen, wenngleich die Phraseologie des Konvents noch in den öffentlichen Erlassen beibehalten wurde.
Die Direktoren teilten sich in die Beaufsichtigung der Staatsgeschäfte. Newbell beschäftigte sich mit der Justiz, den Finanzen und den auswärtigen Angelegenheiten, vergaß aber nicht, für seinen Geldbeutel zu sorgen; Lareveillère- Lépaur übernahm den Unterricht und Verwandtes und beschäftigte sich mit seiner neuen Religion; Letourneur hatte die Marine und die Kolonien unter sich. Carnot beschäftigte sich mit dem Kriegswesen, wie er im Wohlfahrtsausschuß getan. Er war der einzige Demokrat im Direktorium, und sein reiner Karafter mußte sich von der Atmosphäre von Korruption, die das Direktorium Verbrechen, mit denen sich das Direktorium. beladen hatte, nicht umgab, abgestoßen fühlen. Carnot ist für die Schmach und die haftbar**).
Barras, der von den Geschäften wenig verstand, übernahm es, die Regierung zu repräsentiren. Da er sich den Anschein gab, als sei er die Seele der Regierung, so wurde er sie auch. Die eigentliche Geschäftsleitung überließen die Direktoren, mit
Ausnahme Carnots, den Miniſtern***).
Barras ist so ziemlich der Typus der neugeschaffenen, wenn man sagen darf, bürgerlichen Aristokratie, welche damals in Frankreich herrschte, und zugleich ist seine Person das beste Bild von dem moralischen Zustand dieser Klasse. Er war ursprüng lich Vicomte de Barras und hatte in Ostindien als Lieutenant gedient. Beim Ausbruch der großen Bewegung wählte man
Barras, ein ehemaliger. Adeliger; CareveillèreLépaux, ein für einen neuen Kultus schwärmender Advokat, ihn in die Generalstände. Er spielte in dieser großen Ver
und Sièyes, der einen großen Ruf als staatsmännischer Denker besaß. Der ehemalige Abbé Sièyes lehnte ab und seine Stelle nahm der berühmte Carnot ein, der sich als Leiter des Kriegswesens im Wohlfahrtsausschuß einen Weltruf verschafft hatte.
Die Umstände, unter denen diese fünf Männer die Regierung antraten, waren nicht besonders ermutigend. Der Konvent, der sich am 25. Oftober aufgelöst, hatte die Republik in einer gänzlichen Erschöpfung zurückgelassen. Geld war fast gar keins mehr da; man mußte also wieder zu dem peinlichen Mittel seine Zuflucht nehmen, neues Papiergeld( Assignaten) auszugeben,
*) Die Franzosen hatten eine neue Zeitrechnung und einen republikanischen Kalender eingeführt. Die neue Zeitrechnung( das Jahr 1) begann mit dem 22. September 1792.
sammlung feine Rolle, beteiligte sich aber an fast allen revo lutionären Aften. Im Konvent hielt er sich mit Tallien, Freron und Bourdon von der Dise zu der Partei Dantons. Er ftimmte für den Tod des Königs. Als Konventskommissär wurde er 1793 nach dem Süden gesandt und war bei der Eroberung von Toulon und Marseille zugegen, wo er dem Siege eine blutige Rache folgen ließ. Er gehörte zu den Gegnern Robes pierres und der Sturz desselben war zum großen Teil sein
*) Nach Bailleul, Examen critique u. s. w.
**) Nach seiner Ausstoßung aus dem Direktorium deckte Carnot in einer Denkschrift die Schändlichkeiten seiner Regierungsgenoffen auf. ***) 1798 wurde ein Deutscher unter dem Direktorium Minister des Auswärtigen. Es war Karl Friedrich Reinhard , geb. 1761 zu