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Schreckenssystems nicht nachstanden, sammelte sich in Paris die neue Gesellschaft, die aristokratische Bourgeoisie, die ihre Herr­schaft genießen wollte. Während der reaktionär gewordene Kon­vent jene wutschnaubenden Dekrete erließ, in denen die Jakobiner als Blutsäufer( buveurs de sang) bezeichnet wurden, eröffnete Frau Tallien ihren berühmten Salon, in dem sich die feine" Gesellschaft und die berühmten Namen jener Zeit zusammen­fanden. Madame Tallien war eine Spanierin*); sie hatte in Bordeaux die Bekanntschaft Talliens gemacht, der dort als Kon­ventskommissär blutig gegen die Anhänger der Girondisten wütete, zu deren Aufspürung man u. a. auch Hunde abgerichtet hatte. Tallien verliebte sich leidenschaftlich in die schöne Spa­nierin und bald beherrschte sie ihn; sie soll viele Verhaftete gerettet, aber auch Geld nicht verschmäht haben. Tallien, der im ganzen ein nichtsnuziger Mensch war, wurde abberufen und Frau von Fontenay als verdächtig verhaftet. Um sie zu retten war Tallien sehr tätig, ein Komplott gegen Robespierre zu­sammen zu bringen, was ihm um so eher gelang, als niemand mehr seinen Kopf sicher fühlte. Tallien leitete den Angriff gegen Robespierre , der dessen Sturz herbeiführte, ein, und so ward die zwanzigjährige Spanierin eine der Ursachen jener großen Katastrophe vom 27. Juli( 9. Thermidor) 1794.

Werk. Barras war gewöhnlich träge, aber im Moment der| Racheakte vollzogen wurden, die den Ausschreitungen des Gefahr konnte er eine außerordentliche Entschlossenheit beweisen. Nicht nur beim Sturze Robespierres, sondern auch am 5. Ot­tober 1795, als die pariser Royalisten, 30 000 Mann stark, den Konvent angriffen, war Barras der Mann der Situation. Er sagte: Ich kenne einen kleinen Korsen, der es ihnen be­sorgen wird." Dieser kleine Korse war Napoleon Bonaparte , den Barras bei Toulon kennen gelernt hatte. Bonapartes Kartätschen schmetterten die Royalisten nieder, allein damit war die Bahn eröffnet, auf welcher Frankreich in die Hand eines glücklichen und verwegenen Artillerielieutenants kommen sollte. Uebrigens stand Barras zu Bonaparte noch in anderen Be­ziehungen betreffs der späteren Kaiserin Josephine . Diese Diese Josephine , eine heißblütige Kreolin, erfreute sich keines guten Rufes. Schon ihr erster Gemahl, der General Beauharnais, hatte die Scheidung gegen sie beantragt. Beauharnais ward 1794 guillo­tinirt und Josephine ward die intime Freundin von Barras, der sie an Napoleon Bonaparte abtrat, wozu der kleine Korse" auch den Oberbefehl über die italienische Armee bekam, an deren Spize er seinen Ruhm und seine Macht begründen sollte. Barras und die Bourgeoisie, die der Zeitrichtung ent­sprechend republikanische Manieren angenommen hatte, konnten sich unter dem strengen Tugendregiment Robespierres nicht be­haglich fühlen. Diese Klasse wollte ihren Sieg über die alte Aristokratie genießen. Unter der blutigen Herrschaft des Schreckens war dies nicht möglich gewesen. Ein verwöhnter Gaumen konnte seinen Besizer schon vor das Revolutionstribunal bringen; man weiß, daß Dantons Schmausereien in der Anklage gegen ihn eine große Rolle spielten*). Man mußte spartanisch leben, um nicht den Spionen Robespierres verdächtig zu werden; man mußte sich stellen, als nähme man seine trockenen Tugendpre­digten ernst, und man beugte sich der dogmatischen Strenge seines Genossen Saint Just . Paris kämpfte täglich mit einer Hungers­not und das Dasein der verarmten Massen war nichts weniger als ein menschenwürdiges. Die schönen Reden im Konvent und das Revolutionstribunal konnten über diesen Zustand nicht hin- Tracht der Frauen schien förmlich darauf berechnet zu sein, die wegtäuschen und die sich so oft wiederholenden Aufstände der äußerte Zügellosigkeit da einzuführen, wo sie nicht vorhanden Borstädte legten nur zu deutlich Zeugnis ab von der Not der

großen Menge.

statt Brod, weshalb auch die große Masse ihren früheren Ab­Das Schreckenssystem spendete dem Volke Hinrichtungen

Die Frau Parlamentsrätin ward nun Frau Tallien und gab unter den glänzenden, genußsüchtigen, leichtsinnigen und frivolen Besuchern ihres Salons den Ton an. Man wollte in vollen Zügen genießen; deshalb ward zunächst die Eheschei­dung erleichtert. Schon die Unzuträglichkeit der Gemüts­stimmung"( incompatibilité d'humeur) reichte hin, eine Schei­dung zu begründen. In der Mode, bei denen wiederum Ma­ dame Tallien den Ton angab, beslissen sich die Frauen einer mehr als griechischen Nacktheit. Die Männer bewohnten, um mit Viktor Hugo zu reden, ungeheure Halskrausen und waren bemüht, die Steifheiten und Lächerlichkeiten des ancien régime

wieder zu beleben oder womöglich noch zu übertreffen. Die

war. Ein Schriftsteller nannte die Mode, bei der Frau Tallien den Ton angab, das costume de nudité( die Tracht der Nackt­heit). Die Damen erschienen in weiten weißen Gewändern, die an den Seiten weit offen waren vom Gürtel an, der ungemein

hoch, dicht unter der Brust, um den Leib gelegt war. Bruſt

und Nacken waren ganz entblößt. An den Füßen trug man

Barras und Genossen hatten wohl die Zustände benüzt, um Robespierre und seine Genossen zu verdächtigen; in Wahrheit statt der Stiefelchen Sandalen; auch die Strümpfe fand Madame dachten sie aber noch weit weniger daran, dem Elend der Masse Tallien überflüssig, um die elegante Form ihres Füßchens besser zu steuern. Sie wünschten nur für sich, für ihre Klasse das alte Paris zurück mit seinen Genüssen, seinem Prunk, seinen

bewundern lassen zu können. Sie brachte die Mode auf, an den großen Zehen kostbare Ringe zu tragen. Zuweilen be­

galanten Frauen, seinen glänzenden Schauspielen und seinen schränkte man die Kleidung auch auf das Aeußerste und die leichtfertigen Sitten. Der Unterschied war nur der, daß die Direttoren im Luxemburg die Stelle des alten Hofes in den Tuilerien vertraten. Auf die Rückkehr der alten leichtfertigen

Damen erschienen in fleischfarbenen Trikots. In diesem Kostüm, das nichts verhüllt," wurde die Tallien häufig abgebildet.**) Unter der Menge gab es natürlich Frauen, die weit über

Sitten lauerte eine zahlreiche Menge, der das strenge Schreckens die Lascivität der Tallien hinausgingen. Es schien, als wolle

regiment ein Greuel war. Schon beim Sturze Robespierres

zeigte sich dies. Als der geächtete Diktator zum Schaffot ge­

man zu einem ganz und gar paradiesischen Kostüm zurückkehren.

Eines Tages entstand ein gewaltiger Straßenauflauf in Paris . führt wurde, erschienen an den Fenstern eine Menge von scham Drei junge Mädchen, die Töchter angesehener Familien, waren

Los

5 entblößten Frauen, die man früher bei solchen Gelegenheiten

nie gesehen hatte. Sie witterten, daß ihre Zeit wieder ge tommen sei. Indessen förderten auch noch andere Umstände die Wucht der neueintretenden Reaktion.

Das Schreckenssystem

hatte nicht nur die feineren Lebensgenüsse verpönt, sondern es hatten auch einige rohe Menschen die Kunst, die Wissenschaften und die Gelehrsamkeit in banausischer Weise verfolgt. Das tam alles zusammen, um nach dem Sturze Robespierres den Rückschlag um so größer zu machen.

Während man die Jakobiner verfolgte, die Aufstände der Borstädte niederschlug und während an den Terroristen blutige

*) Die Wütriche des Revolutionstribunals schlachteten eine arme Frau, bei der man im Kehricht einige faule Eier gefunden hatte. Dies wurde als Verbergen von Lebensmitteln betrachtet und darauf stand

der Tod.

*) Therese Tallien war die Tochter des Grafen Cabarrus in Sa­ ragossa ; sie heiratete sehr jung den Parlamentsrat Fontenay, von dem sie sich scheiden ließ, um Tallien zu heiraten. Napoleon gehörte auch zu ihren Verehrern, brach aber bald mit ihr. Sie ließ sich von Tallien scheiden und heiratete den Fürsten Chimay. Sie starb 1835.

**) Der bekannte Historiker Wachsmuth hat mehrere von diesen Abbildungen gesehen. Eine Broschüre aus jener Zeit, betitelt: Brief des Teufels an die verworfenste Dirne von Paris " zählt die Sünden der Tallien auf und spricht von ihren abgeschnittenen Haaren, ihrer entblößten Brust und ihren fleischfarbenen Beinkleidern. Ein Volkslied besingt die Mode der dünnen Kleider, durch welche alles durchscheint und die so sehr bequem sind:

,, Grâce à la mode On n'a qu' un vêtement, Ah! Que c'est commode; On n'a qu'un vêtement Il est transparent" etc.

Rr. 15, 1884.