Im Konzert Bilse.

Eine musikalische Plauderei. Von J. Htern.

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Der prachtvolle Festsaal der Stuttgarter Liederhalle war bis auf den lezten Plaz besezt. So stark auch das Publikum in der verflossenen Saison mit Musit aller Art überfüttert worden war, Bilse zu hören durfte man nicht versäumen. Da stand er auf dem Podium, reich dekorirt wie ein General mitten unter seinen Stabsoffizieren, die muster­haft disziplinirt jeder Bewegung des Taftstocks in gleichem Schritt und Tritt folgten. Stürmischer Beifall brauste durch den Saal, als das Stück zu Ende war, währenddessen ich den leidlich passirbaren Mittel­gang zu gewinnen suchte, um vielleicht doch noch einen Plaz zu erobern. Es ist ein unbehagliches Gefühl, wenn man so als Buspätgekommener, wie der Poet bei der Teilung der Erde, Spießruten laufen muß zwischen den Leuten, die mit impertinenter Behaglichkeit ihre sicheren Pläze be­haupten und einen starr angaffen, wie einen unbefugten Eindringling. Schon wollte ich wieder den Rückzug antreten, als ich einen nicht eben sanften Schlag auf den Rücken erhielt. Mich rasch umwendend fiel mein Auge auf einen älteren Herrn, der seine Garderobe, Hut und Ueberzieher, von einem Stuhl nahm und mir winkte, Plaz zu nehmen. Diese hierorts nicht eben häufige Liebenswürdigkeit stach gegen den stark ins Mephi­stophelische spielenden Gesichtsausdruck des Unbekannten auffällig ab. Sarkastisch verzogene Mundwinkel, gekniffene, schadenfrohe Aeuglein, lauernde Haltung des Hauptes sollte mich der Mann zum Opfer seiner satirischen Laune ausersehen haben? Ich überlegte nicht lange und ſezte mich hin, während die Kapelle die nächste Programmnummer in Angriff nahm. Es war ein Potpourri. War der Applaus vorhin stürmisch, so war er diesmal orkanartig. Da Capo! brüllte es von allen Seiten, während die Physiognomie meines Unbekannten sich bis zum Grinsen verzerrte und sein Kopf immer heftiger verneinend schüttelte. Auf die Gefahr, von ihm satirisch geschunden zu werden, begann ich: Bilse hat nicht Ihren Beifall? Sie verstehen mich falsch, mein Herr; gegen Bilse habe ich nichts, aber gegen die Komposition. Daß ein Kapellmeister von Geschmack solchen Kohl auftischen mag, begreife wer fann. Wenn ich Sie recht verstehe, sagte ich, hat Ihnen dieses Potpourri nicht gefallen. Dieses Potpourri, was soll denn just dieses Potpourri verbrochen haben? Es ist nicht schlimmer als seine Kameraden. Wissen Sie, was so ein Potpourri ist? Eine Harlekinsjade, aus bunten musi

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kaliſchen Fezen zuſammengeschneidert, oder beſſer, susammengeſchreinert.

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erfüllt, vereinigen sie den reinsten Willen und die stärkste Kraft, eine beffere Zukunft herbeizuführen und tragen in ihrer Brust die kommen den Geschicke. Der männliche, heroische Stil Michelangelos ist auch der Richard Wagners, spröde, herbe Großheit des Stils ist beiden gemeinsam, beide sind Meister im Ausdruck energischen Wollens, mächtiger Tat kraft.

Wie war der Mann nunmehr so ganz verändert! Jeder satirische Zug war verschwunden und aus seinem Auge blizte das Feuer jugend­licher Begeisterung. Als aber die Musik eine Quadrille aus Carmen " zu spielen begann, war er plözlich wieder verwandelt, wie von Circe's Stab berührt. Carmen, musikalischer Zolaismus, brummte er. Tingel tangel- Operette, die Gott danken mag, daß ihr der Librettist einen tragischen Ausgang gegeben hat, denn ihm allein verdankt sie ihre Aufführung auf besseren Bühnen. Diese Carmen, bemerkte ich, wat in der lezten Saison das beste Zugstück unseres Hosteaters.- Glaubs gern, war seine Antwort, und ich wette, fuhr er fort, daß Figaro und Fidelio vor leeren Bänken gespielt werden.

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So ist es in der Tat. Und doch ist das dumme Wort vox populi vox Dei noch nicht polizeilich verboten. Da fällt mir eine Erzählung aus dem Talmud e Zwei gelehrte Rabbiner gingen mit einander auf Reisen und kamen in eine große Stadt, wo sie mehrere Vorträge halten wollten. Der eine sprach ernst und eingehend über religiöse und sittliche Gegenstände, dod faum ein Duzend Zuhörer hielten bei seinen Vorträgen aus. Der andere unterhielt das Publikum mit Parabeln, Anekdoten und Wizen und fand ein begeistertes Auditorium. Hierüber war der erstere schwer gekränkt; sein Kollege aber tröstete ihn und sagte: Zwei Händler schlugen ihre Buden auf. Der eine verkaufte bunte Glasperlen, der andere ächte Brillanten. Weißt du, zu welchem von beiden die Leute liefen? Zu dem,

welcher bunte Glasperlen feilbot. Gute Nacht, mein Herr!

Unsere Illustrationen.

Der Stadtherr auf dem Lande.( S. 345.) In recht anmutiger

Weije

hat der Zeichner unseres Bildes ein Stück glücklichen Dorflebens zur An­selbe in seiner Einfachheit, Ungezwungenheit und robusten Gesundheit auf den Sommerfrischler macht, der seinen Lungen das Labfal eines reitet, nachdem er zehn Monate an das Aftenpult in der dumpfen Sie brechen also Schreibstube gebannt war. Wie geht ihm das Herz auf in der freien Natur mit ihren grünen Tälern und Höhen, dem erquickenden Geruch der buntbepflanzten Felder und dem majestätischen Anblick des Waldes, der sich am tiefblauen Horizont malerisch abzeichnet. Wie entzüdt ihn der melodische Schlag der Schwarzamsel, der aus einem nahen Gehölz tönt und mitunter von den muntern Wirbeln einiger Buchfinken unter brochen wird. Die halsbrecherischen Koloraturen der Primadonna des föniglichen Hofteaters, die er neulich am Geburtsfest Seiner Majestät pflichtschuldigst angehört hat, haben nicht entfernt so auf ihn gewirkt, wie dieses Konzert der Natursänger, die mit der geringen Gage von mehreren Fruchtkörnern und ein paar Würmchen des Tages vorlieb nehmen. Nicht minder behagt ihm die trauliche Gruppe, die wir auf unserem Bilde sehen, und er läßt sich sogar herbei, von dem barfüßigen

Schreiner heißt ja wohl der Kerl( er sah durch seinen Kneifer auf das Programm), der das Zeug fabrikmäßig herstellt. Sie brechen also den Stab über das Potpourri, das beim Publikum so beliebt ist?- O das füße Publikum mit seinen Midasohren! höhnte er. Aber wann hätte ich denn den Stab darüber gebrochen? Wo es hingehört, laß ichs gelten, in einer Fastnachtsreunion ist es an seinem Plaz; aber Abend für Abend derlei Uit anhören zu müssen, noch dazu auf Beethoven ! Die Musik unterbrach unsern Dialog, ein Walzer von Johann Strauß wurde gespielt. Wissen Sie, wie mir so ein Straußscher Walzer mit seiner feierlichen Einleitung vorkommt? begann mein Nachbar wieder, als eine Pause eingetreten war. Wie in ,, Robert der Teufel " die ge­spenstischen Nonnen. Plözlich werfen sie die Kapuzen ab und stehen in ihrer wahren Gestalt da, als leichtfertige Balleteusen. Edles Patos als raffinirte Folie für die Lüderlichkeit! und das im Zeitalter Richard

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Sancta Simplicitas! versezte mein Unbekannter, muß man denn

Wagners! Sie lieben Wagner? Stellen Sie ihn auch über Mozart? Roznäschen einen Batsch zu verlangen. Der Kleine aber weiß diefe immer einen Genius verkleinern, wenn man einen andern erhebt? Hat fosung; vielleicht wittert er in dem Fremden einen jener fonservativen

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der Olymp oder meinetwegen der Barnaß nicht Plaz für viele Götter? Weil Sie nun aber doch Mozart und Wagner zusammengestellt haben, will ich Ihnen mit einem Gleichnis dienen. Hören Sie: Mozart ist Champagner, Wagner Rheinwein; oder wenn Ihnen das zu trivial flingt: Mozart führt uns durch einen lachenden Blumengarten, Wagner durch einen brausenden Eichenwald. Das wieder beginnende Spiel der Musik ließ mir Zeit, über den sonderbaren Vergleich nachzudenken. Nachdem dieselbe geendet hatte und die große Pause eingetreten war, fuhr er fort: In allen Künsten lassen sich zwei Hauptrichtungen unter­scheiden. Die eine fließt aus einem mit der Welt zufriedenen Gemüt. Des Künstlers Auge ruht mit innigem Wohlgefallen auf den Erscheinungen des Daseins, seine Seele ist mit Entzücken über alles Große und Schöne getränkt und sie strömt es aus und spiegelt es wieder wie der Tau­tropfen die Strahlen der Morgensonne. So Raffael , Goethe, Mozart . Die andere Richtung ist jenen Geistern eigen, deren Blick auf das Un­

Herablaffung noch nicht zu würdigen und sträubt sich gegen die Liebe Bauernfänger, die sich um die Gunst des armen Mannes so angelegent O rus( Land!) rust schon der alte Horaz sehnsüchtig aus, mitten in den Herrlichkeiten der prächtigen Roma, und bis herab

lich bemühen.

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zu Schiller , der in seiner Braut von Messina " singt: Wohl dem, selig muß ich ihn preisen, Der in der Stille der ländlichen Flur, Fern von des Lebens verworrenen Kreisen Kindlich liegt an der Brust der Natur

ist dieses Tema in zahllosen Weisen variirt worden. Niemals aber hat demus Frischlin , des hochberühmten, freimütigen und vielangefein­das Lob des Landlebens so böses Blut gemacht, als das des Niko­deten Gelehrten und Dichters aus dem 16. Jahrhundert. Seine Rede vollkommene in der Welt gerichtet ist, auf die Schranken des Daseins schließlich seinen tragischen Tod herbeiführte. Denn neben Lobpreisungen heraufbeschwor, der seine Wohlfahrt in den Wurzeln erschütterte und über das Bauernleben" war es, mit welcher er einen Sturm gegen fid des Landlebens enthält die auch jezt noch sehr lesenswerte Rede heftige Ausfälle auf den Adel seiner Zeit, so daß sie ihm beinahe den ganzen Kulturrads mächtig einzugreifen, die Welt umzugestalten und eine bessere heißt es darin u. a., von dem grausamen Wüten, das adelige.

und Dissonanzen des Lebens. Nicht passiv verhalten sie sich dagegen wie zu etwas unabänderlichem, sie sind vielmehr von dem heroischen Drang beseelt, jene Schranken zu durchbrechen, in die Speichen des

Zukunft herbeizuführen. Die Werke dieser Künstler atmen nicht eitel Wohllaut und Weltfreude, absolute Schönheit, wie die der ersteren. Die Stimmung, in welcher sie fonzipirt werden, ist Verstimmung, die sich bald in tiefer Wehmut äußert, bald in finstrem Groll, bald aber auch in energischem Ringen und Rütteln, in willenskräftigem, titanischem Stürmen( was aber nicht mit dem Sturm und Drang der Unreife zu verwechseln ist). Haben Sie schon die Propheten und Sibyllen gesehen,

Adel seines Landes auf den Hals hezte.

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Was soll ich aber fagen,

Leut

fresser an ihren Bauern verüben? Es gibt an gar vielen Orten zahl reiche Edelleut, von welchen ein jeder etliche ganz unschuldige Bauern um geringer Ursach willen auf den Tod oder auch gar zu tot ge schlagen hat. Und wer hat dennoch jemals gehört, daß man einem solchen den peinlichen Prozeß gemacht oder gar mit dem Henter ge straft hätte? Versucht es aber einmal jemand, dem von einem solchen

zu

welche der Titane Michelangelo an die Dede der Sixtina gemalt hat? sich alle Adlige wie die Glieder einer Kette einander und veranstalten

Haben Sie gemerkt, wie diese gewaltigen Gestalten in tiefernste Be trachtung und gramvolles Brüten versunken oder von stürmischer Er­regung bewegt sind? Von tiefstem Gefühl für die Schäden ihrer Zeit

gegen den einzelnen eine Meuterei, wie vor Zeiten Catilina in Rom . den Menschen eine große Gnad, wenn sie solche Onmenschen mit ihren