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Nach Egypten.
Reiseskizze von Ewald aul.
Ich habe wirklich merkwürdiges Pech in meinem Leben. Will ich da nach Südafrika fahren, komme nach Hamburg und verpasse durch ein Mißverständnis den Dampfer. Will ich dann das Land der Pyramiden hindurch nilaufwärts ins Innere des schwarzen Erdteils vordringen und bleibe mitten in meinem Vorhaben stecken, weil es einem ingrimmigen Araber, der auf den holden Titel Mahdi hört, eingefallen ist, sich als Propheten von dem dummen also größeren Teile der Egyptenbewohner verehren zu lassen, den Krieg gegen alle nicht an ihn glaubenden Christen und Mohammedaner zu erklären und jedem, der ihm in die Hände gerät, recht langsam aber gründlich den Hals zu durchschneiden. Da ich aber am besagten Körperteil besondere Empfindlichkeit besize, so kehrte ich um und- da siz' ich nun, ich armer Tor und bin so klug als wie zuvor. Vor mir liegt das Tagebuch meiner Reise, über deren Beginn ich jezt den Lesern berichten will. Die flüchtig hingeworfenen Bleifederstriche formen sich zu Gebilden. Es tauchen alte Erinnerungen vor mir auf, Gemälde aus alter und neuer Zeit, aus der heiligen wie der profanen Geschichte. Ich sehe die Tochter Pharaos, wie sie prächtig geschmückt und von ihrem Gefolge umgeben, am Ufer des Nil steht und ein Knäblein beschaut, das soeben den Fluten entrissen worden. Doch die heilige Doch die heilige Schrift weiß noch nichts von den Pyramiden, jenen Denkmälern, welche die Griechen„ Wunder der Welt" nennen. Ich sehe dieselben, unweit vor ihnen den Nil, nicht weit davon auf einem Hügel ein altes Gebäude, das zu einer englischen Kaserne umgeformt ist. Im Sande zieht mit klingendem Spiel eine englische Truppe vorüber. Einige hundert Schritte davon erblickt das Auge eine Reiterschaar. Es sind Beduinen. So treten sich die Gegensäze in Egypten schroff gegenüber: hier die finster blickenden stolzen Repräsentanten des Orients in ihrem malerischen Kostüm, dort die nicht minder stolzen Vertreter des Abendlandes in ihrer wenig kleidſamen Tracht.
Passagiere winkten aus den Fenstern der Waggons nach den auf dem Perron Stehenden und bekamen dabei schmuzigen Rauch ins Gesicht, andere winkten von drüben nach hüben. Dahin ging die wilde Jagd. So wild fuhren wir nun eigentlich nicht, sondern recht behutsam, da ich mir den sogenannten Bummelzug ausgewählt hatte, um die schönen Gegenden, die ich durch kreuzte, besser beschauen und an einigen Orten Freunde, die meiner dachten, besuchen zu können. Es war Juni und die Sonne schien recht schön warm auf die herrliche Kulturland schaft, die sich zur Linken und zur Rechten hinzieht und die die Provinz Sachsen als besonders von Gott begnadet erscheinen läßt. Ueberall herrschte reges Leben in der Natur, die Vögel sangen so lustig draußen; ab und zu tauchte eine Kirchturmspize auf, um dann wieder zu verschwinden und in einigen Minuten näher und deutlicher vor uns zu stehen. Landleute stiegen in den Zug, um ihre Bodenerzeugnisse zur Stadt zu schaffen. Ich hatte Muße, die Mitinsassen meines Coupés zu beobachten. Es waren deren drei, die sich aus zwei jungen Handlungsreisenden und einem, seinen Erfahrungen und Kennt nissen nach im ersten, seinem verhauenen Gesichte nach im achten Semester befindlichen Studenten zusammensezte. Erstere sprachen sehr lebhaft, natürlich vorerst über ihre geschäftlichen Erfolge und Kniffe, versuchten auch mich in das Gespräch zu ziehen und tischten mir die auf ihren Reisen gesammelten Wize auf. Leider waren mir diese zumeist einem Zufall ihr Entstehen verdankenden Geistesprodukte auf meinen Kreuz- und Duer fahrten, die mich oft mit Vertretern des sehr selbstbewußten Standes der Handlungsreisenden zusammenbrachten, schon bes kannt geworden und ebenso zähe von jenen Erzählern als eigene Erlebnisse ausgegeben, wie diesmal von diesen, so daß alle Ver suche, mich zu belügen oder mit Lügen zu unterhalten, fehl schlugen. Der Student war schweigsamer und ließ nur ab und zu einige Stichworte fallen, wie solche bei unserer studirenden Jugend so sehr beliebt und bei einem tüchtigen Korpsbruder unentbehrlich sind. Ich war froh, als der Pfiff der Lokomotive unsere Ankunft in Halle meldete, stieg aus, nahm von einem Freunde Abschied, stieg Abends wieder ein und fuhr nach Leip zig , wo ich im strömenden Regen ankam, mehrere Bekannte aufsuchte und am nächsten Morgen bei abscheulich naßkaltem Wetter über Dresden nach Prag weiterdampfte. Bald sah ich die Elbe und mit ihr eine wunderbare Gebirgsgegend, deren entzückender Genuß nur durch strömenden Regen beeinträchtigt wurde. Langs sam fuhren wir jezt entlang der Elbe und der sächsisch- böhmischen Sandsteingebirge in das Böhmerland hinein. Jezt taucht eine blaue Uniform auf, da mehrere; der Zug hält an, wir sind in Bodenbach , wo uns eine Gepäckrevision nach steuerbarem Gut erwartet. Da Wäsche, Kleidungsstücke und Bücher nichts Steuerbares sind, so war ich bald frei und benuzte die Zeit, um in einem, dem Bahnhofe benachbarten Hotel ein vorzüg liches Glas böhmischen Bieres zu trinken. Hier sah ich auch eine niedliche Sammelbüchse für den deutschen Schulverein auf gestellt, der jezt eifrig gegen die Slavifirung der deutsch - böhnischen Bevölkerung ankämpft. Das Ding bestand aus einer Schießscheibe mit davorstehendem Schützen. Lezterer schoß das ihm auf das Gewehr gelegte Geld durch die Scheibe in den dahinter befindlichen Becher. Ihm zur Seite stand eine Fahne mit der Ausschrift„ Für den deutschen Schulverein". In Boden bach wechselte ich mir auch einen Teil meines deutschen Geldes um, das man hier sehr gern nimmt, namentlich Gold, welches und erwachte gerade eine halbe Stunde vor Abgang des Zuges, also zeitig genug, um Bahnhof und Zug erreichen zu können. nach dem Course bezahlt wird. In Prag bewunderte ich den Richtig traf ich auch fünf Minuten vor der festgesezten Abfahrts- Bauten, vor allem den großartigen Dom und belegte einert auf einem Berge gelegenen Hradschin mit seinen prächtigen zeit ein, löfte ein Billet bis Halle, musterte die den Perron Plaz bis Wien . Unterwegs hatte ich Gelegenheit, den Sport belebenden Personen und stieg in ein Coupé. Der Schaffner des österreichischen Nationalitätenstreits im Coupé zu erleben. schlug die Türe zu, die Lokomotive pfiff recht hell, verschiedene Der Zufall wollte es, daß sich in demselben eine bunt zusammen
Eine Reise ist für den Geist, was ein Umzug für die Wirtschaft, sagt der geistvolle Lothar Bucher . Der Umzug bringt uns nicht nur in eine neue Umgebung, unter neue Dinge und Menschen; er öffnet auch Rumpelkammern, die wir jahrelang nicht betraten, zieht Reste alter Zeit, Zeugen vergangenen Leides und vergangener Freuden hervor. So auch die Reise. Die gewohnte tägliche Arbeit wird abgeschüttelt, ein neues regeres Leben beginnt. Man fühlt sich als ein anderer Mensch und handelt als ein solcher. Die Beobachtungsgabe schärft sich, alte Kenntnisse werden hervorgekramt und neue gesammelt. Ich hätte
nie geglaubt, daß ich an den Ufern des Nils derartigen Stimmungsbildern nachhängen könnte, wie ich das wirklich getan und wie solche jezt beim Durchblättern meines Tagebuches wieder auftauchen, daß ich, der eifrige Kämpfer für den Fortschritt auf allen Gebieten, so sehr für den streng konservativen Orient eingenommen sein könnte. Der Zauber desselben hielt auch mich gefangen. Doch über diesem sentimentalen Geplauder vergesse ich beinahe, daß ich jezt meine Erlebnisse erzählen will. Ich
size hier schon geraume Zeit vor meinem Schreibtisch, blase Rauchwolken in die Luft und sehe in denselben Gebilde, anstatt in die nackte Wirklichkeit zurückzukehren, wie solche meine Reise bietet. Also ich hatte die Absicht, nach Egypten zu reisen. Die Vorbereitung machte mir als erfahrenem Touristen wenig Schwierigkeiten. Ich packte am Vorabend meinen Handkoffer mit der nötigen Wäsche und Kleidung, legte einige gute Bücher zur Zerstreuung in trüben Stunden bei, begab mich zur Ruhe