Mittel herbei, und wenn dieselben die gewünschte Wirkung nicht erfüllten, zeigte er sich geradezu untröstlich. Mine gewann Vertrauen zu ihm und gestand ihm denn auch in einer Schmerzensstunde, an allen ihren Leiden seien nur die vielen Süßigkeiten schuld, von denen sie nun ein­mal nicht lassen könne; Kuchen äße sie für ihr Leben gern und trüge dafür manchen Groschen zum Kuchenbäcker. Von nun an war Freund Bär beslissen, sie förmlich mit Kuchen zu nudeln. Der Freundschafts­bund befestigte sich mit jedem Stückchen Streußelfuchen mehr und mehr und endlich war er so sest geworden, daß er es wagen konnte mit seinem Anliegen herauszurüden. Anfangs verwarf Mine diese Zumutung mit großer Eutrüstung, doch als ihr Bär klar machte, daß für ihn Bier dasselbe bedeute, wie für sie Kuchen, da wurde sie milder gestimmt und versprach endlich ihre Hilfe bei Herbeischaffung des bewußten Fäßchens.

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Der verhängnisvolle Tag kam und wollte gar kein Ende nehmen; noch niemals hatte uns der Ruf:" Zu Bett!" so bereitwillig gefunden wie diesen Abend. In drei Säzen waren wir im Bett und schon nach wenigen Minuten erhob sich ein melodisches Schnarchsextett. Als der Herr Professor die lezte Runde machte, konnte er konstatiren, daß wir alle wohlbehalten und tief versunken in Morpheus Armen lagen. Kaum hatte er das Lokal verlassen, da husch, husch, schlüpften wir, einer nach dem andern, aus den Federn, die Schuhe in der Hand zur frischgeölten Tür hinaus, die Treppe hinunter, in den Garten. Mine hatte Wort gehalten; Bär als Gastgeber besorgte das Arrangement der Beleuchtung und des Anzapfens mit bewunderungswürdiger Gewandt­heit, und so saßen wir denn bald glückselig schwelgend in trauter Runde. Biertrinken war uns ungewohnte Arbeit, die erheiternde Wir­fung desselben blieb nicht aus. Der fleine Stein, jezt wohlbestellter Quartaner, äußerte sich plözlich, die italienische Nacht sei sehr schön, aber eigentlich sei es feine richtige italienische Nacht. Er habe einmal gelesen, daß Musik und Gesang dabei sein müsse. Sein hierauf­zielender Vorschlag, etwas zu singen, wollte aus Vorsichtsgründen zuerst keinen Anklang finden; jedoch, der Professor schlief außerordent­lich fest und nach der Straße hinaus, und wenn wir ganz, ganz leise fangen, fonnte es am Ende gewagt werden. Und so begannen wir denn mit gedämpfter Stimme ein Gaudeamus igitur  ", und siehe, es lief glücklich ab. Nun ließ es aber unserm musikalischen Quartaner nicht länger Ruhe, er verlangte nach Rundgefang und Rebensaft, denn es brannte ihm schon längst auf der Zunge, den Namen der kleinen Bäckerstochter von gegenüber, mit den knallroten Backen und den semmelblonden Zöpfen, zu nennen. Der Rundgefang begann mit dem vorschriftsmäßigen pianissimo, wurde piano und allmählich mezzo forte; sei es nun, daß das Bier uns so mutig machte oder war es das Feuer der jugendlichen Herzen, welches uns jede Vorsicht vergessen ließ, genug, als wir an Bär die Worte richteten: Bruder, deine Schöne heißt?" befanden wir uns im Stadium des Fortissimo. Und ehe noch das Wort seinen Lippen entflohn, erklang ein Fenster, und o Grauen! in der schwarzen Fensteröffnung wurde eine helle Gestalt sichtbar, die Frau Professorin im weißen Gewande der Nacht. Minutenlang saßen wir, als wären wir wie weiland Loths Weib zu Salzsäulen geworden, da nahte auch schon die rächende Nemesis,- das würdige Ehepaar, gefolgt von der händeringenden Mine, trat in den Lichtkreis unserer italienischen Beleuchtung. Was des Bieres Menge begonnen, das vollendete jezt das Entsezen, meine Sinne umflorten sich, mir war, als stünd ich am Ufer des Meeres, die Brandung rauschte zu mir empor, und durch das Brausen der Brandung tönten aus weiter Ferne einzelne Worte an mein Ohr: Pflichtvergessene Buben! Eltern schreiben! Pension ver­lassen!" Dann wurde es dunkel um mich her, und ich fühlte, wie eine rettende Hand mich vom Abgrunde fort zog und in einen sichern Hafen

geleitete.

Das war das Ende der poesievollen italienischen Nacht.

Schrecklich war das Erwachen am folgenden Morgen. Bleich und schuldbewußt betraten wir das Zimmer des alten Herrn, der gleich dem Jupiter tonans vor uns trat und in mächtiger Rede unsere Sünden geißelte. Wir sollten kommenden Ersten die Pension verlassen, da wir nach solcher pflichtvergessenen Aufführung feine Ansprüche mehr auf sein Vertrauen machen könnten. Wie vernichtet waren wir von seinen Worten, denn wir verehrten und liebten den alten Herrn, troz aller seiner

in längerer Rede, die selbst den alten Herrn durch ihre Dialektik zu lich von ganzem Herzen. Da ergriff Bär   das Wort und erging sich fesseln schien, denn die drohenden Wolfen auf seiner Stirn fingen an sich nach und nach zu verziehen. Bär nahm alle Schuld auf sich, er tlagte sich an des schwärzesten Undanks, er war der zerknirschteste Sünder, den je die Sonne beschien, er war bereit sich für die andern zu opfern, fortzugehen, nur sollte der Herr Professor den durch ihn berführten, verirrten Schafen Verzeihung gewähren. Und er gewährte Berzeihung, nachdem wir alle mit aufrichtigem Herzen bereut und Besserung gelobt hatten.

es müßte denn sein, daß die Frau Professorin diese Angelegenheit Der Verrat der braven Mine ist nie an das Tageslicht gekommen, durchschaut und in aller Stille mit ernstem Wort geahntet hätte. Manches Jahr ist seitdem verflossen, Freund Bär ist ein tüchtiger Landwirt geworden; zu Ostern will er mir seinen ältesten Sohn bringen, ich soll ihn mit dem meinigen erziehen. Unsern alten guten Professor und seine würdige Gattin bedt schon längst der Rasen, doch die Er innerungen an sie bleiben lebendig.

Unsere Illustrationen.

Aus dem alten Hamburg.( S. 400 u. 401.) Wer mit den Ver­hältnissen der alten Hammonia nicht genauer bekannt ist, der kann sich faum vorstellen, welche Umwälzung der Zollanschluß in diesem ehr­würdigen Gemeinwesen hervorbringen muß. Ganze Stadtteile müssen abgerissen und umgebaut werden. Der moderne Mensch sieht es im allgemeinen gar. nicht ungern, wenn an Stelle altersgrauer, düstrer und unbequemer Gebäude neue, freundliche und mit allen Bequemlich­feiten versehene Wohnhäuser kommen. Allein damit ist die Sache nicht abgetan; man gewinnt gegenüber den alten Gebäuden, den stummen Zeugen der Vergangenheit, eine gewisse Anhänglichkeit, um nicht zu sagen Vertraulichkeit; sie werden dem Bewohner lieb und wert, nament= lich wenn er den schönsten Teil seines Lebens, die goldene Jugendzeit, zwischen den alten, düstern und oft feuchten Mauern verbracht hat. So mag es auch den alten Hamburgern zu Mute gewesen sein, als 1842 die stolze Hammonia niederbrannte und die Wohnstätten, die von den alten Hanseaten gebaut waren, zum größten Teil in Asche legte. Eine neue Stadt mit modernen Gebäuden stieg wie ein Phönig aus der Asche empor, allein der Hamburger mag oft troz der neuen Behaglich­feit schmerzerfüllt zurückgedacht haben an die alten Häuser mit den spizen Giebeln und den niedrigen Stuben. Man hatte sich eben daran gewöhnt und die Gewohnheit ist eigentlich die stärkste Macht beim Menschen. Wenn sie den Eskimo in seinen Schneegefilden, den In­dianer in seinen weiten Prairien, den Araber in seiner Wüste zurück­hält, warum soll sie nicht den Kulturmenschen des Abendlandes mit doppelt starken Banden an den Ort fesseln, wo seine Vorfahren ge= lebt und gehaust und wo er selbst sich in fröhlicher Jugendzeit ge­tummelt hat. Die altersgrauen Häupter steinerner Dome, die er von Jugend auf gekannt, winken ihm wie gute Bekannte zu, und es gibt manche alte Mauer, mit deren Fall ihm ein Stück aus seinem eigenen Dasein entschwunden zu sein scheint.

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So mag es auch jezt sein mit den Hafenpartien in Hamburg  , die mit dem Zollanschluß fallen müssen. Dort befanden sich eine Menge von alten Straßen, die von dem großen Feuer von 1842 verschont geblieben waren. Auch die Baulust hat diese Viertel verschont, während sie im Innern der Stadt weit mehr aufgeräumt und auch einen Teil der sogenannten Gängeviertel" beseitigt hat. Diese Gängeviertel" waren ein seltsames Denkmal mittelalterlichen Zusammenlebens. Die ,, Gänge" waren lange Straßen, so enge, daß man die beiden Wände zugleich mit ausgestreckten Armen erreichen konnte. In diesen finsteren und ungefunden Massenquartieren wohnten viele Tausende zusammen. Am Hafen waren die Straßen weniger eng, aber immer noch eng genug. Diese Gegend wird durchkreuzt von jenen merkwürdigen Kanälen, Fleets genannt, welche unter dem Einflusse von Ebbe und Flut stehen und welche die Schäze der hamburger Kaufmannschaft in mächtigen Kähnen bei eingetretener Flut aus dem Hafen an die Waarenspeicher treiben. Diese Fleets sind für den Handel sehr wichtig; für die Gesundheit der Anwohner sind sie sehr nachteilig. Wenn das Wasser bei Ebbe abgelaufen ist und der Schlamm auf dem Grunde blosliegt, so entwickeln sich Miasmen, die kaum zu ertragen sind, nament­lich wenn die Sonne des Sommers auf die Schlamm- und Kotmassen ſcheint.

An diesen Kanälen erheben sich auch jene merkwürdigen Gebäude mit den spizen Giebeln und den vielen Fenstern, die für die alten Hansestädte karakteristisch sind. Manch wohlbekanntes altes Gebäude wird nun verschwinden müssen. Da ist zunächst das bekannte Zippel­haus", in welchem sich die Bardowiekerinnen aufhalten. Auch dies Gebäude ist ein Opfer des Zollanschlusses. Es erinnerte an jene einst so blühende Stadt, deren Bewohner dem furchbaren Welfen, Heinrich dem Löwen zu trozen wagten und so schrecklich bestraft wurden. Aus den großen Quadern der bardowieker Stadtmauern wurden die ham­burger Quaimauern hergestellt. Auch die Poppenmühle ist dem Unter­gang geweiht und die originellen alten Gebäude am Wandrahm, wo die alten hamburger Kaufleute noch immer stolz waren zu wohnen, trozdem die Wohnungen dort gar nicht sehr modern aussehen.

Seit Jahren schon sind alte Straßen und Gebäude hinweggeräumt worden; ganze neue Stadtteile sind entstanden. Nun ist auch die Zeit für die alten Stadtteile am Hafen gekommen; sie werden neuen und schönen Gebäuden und Straßen plazmachen. Die alte Originalität wird dabei freilich verloren gehen. Allein man darf die Sentimentalität gegenüber alten Bauten auch nicht zu weit treiben. Man wohnt in Sen modernen Gebäuden gesünder, bequemer und angenehmer als in den Häusern, die unsere Vorfahren gebaut haben. Mit dem Zollan­schluß selbst, der für Hamburg   diese Veränderungen mit sich bringt, ist es freilich eine andere Sache; er wird Hamburg   keine besonderen Vorteile bringen. Aus den Trümmern der alten Häuser aber werden neue und schönere erstehen. W. B.

Der Notschuß.( S. 393.) Ein trüber, naßkalter, schwermütiger Septembertag. Dichte Wolkenmassen haben die Sonne umhüllt, als ob sie nie mehr der Erde ihr Antliz zeigen sollte. Die Aequinoctialstürme treiben ihr Unwesen auf der weiten Wasserwüste und fürchterlich tost und grollt die Brandung. In der dürftig möblirten Stube sizt der wettergebräunte Lootse behaglich im Kreise der Seinen und erzählt von seinen Abenteuern auf der See und an fernen Küsten. Bochenden