449

Ein deutsches Städtebild.

( Siehe Illustrationen Seite 550 und 551.)

Unter den vielen an dem deutschen   Uferrande der Ostsee  belegenen Städten, in denen fast überall ein kräftiges merkan­tiles und gewerbliches Leben pulsirt, nimmt Lübeck  , das Haupt der alten Hansa, eine hervorragende Stellung ein. Wohl ist die einst so mächtige Stadt in ihrer Einwohnerzahl sowie in ihrer Rhederei von Königsberg  , Danzig   und namentlich Stettin  überflügelt, aber welche Stadt vermöchte es zu überbieten in der großartigen Fülle historischer Erinnerungen, die in mächtigen Bauwerken uns heute noch Kunde geben von der Stärke des deutschen   Bürgertums in jenen Zeiten, wo Deutschland   zerrissen unter dem Druck zahlloser kleiner und größerer deutscher   Fürsten  seufzte und der Städtebürger ein stets willkommenes Objekt der rohesten Ausbeutung war. Die alten Stadtgemeinden waren daher gezwungen, durch eigene Kraft sich Land- und Seewege zu sichern und dem verwegenen raub- und rauflustigen Adel und anderen Räubern mit schlagenden Gründen heimzuleuchten. Die Erstarkung der Städte führte denn auch bald dahin, daß die Wehrkraft zur Erlangung guter Handelsbeziehungen benuzt wurde und der immer mehr zunehmende Reichtum gab ihnen eine solche Fülle von Macht und politischer Bedeutung, daß ein Bürgermeister Lübecks   als Admiral der Hanseatischen Kriegs­flotte den König von Dänemark   zur See besiegen konnte und Kopenhagen   mit seinen Schiffen zu belagern vermochte. Mehr wie einmal ist das ganze Königreich Dänemark   in den Händen der Hansa gewesen, und Schweden   weiß von den scharfen Hieben, die ihm erteilt wurden, wenn es sich den Interessen des Hansa­bundes widersezte, ein Lied zu singen.

Die Geschichte der nordischen Reiche ist überhaupt eng mit der Geschichte der Hansa verflochten. Als einer der interessan testen Punkte gilt zweifellos die Einnahme Schwedens   durch den Dänenkönig Christian II.  , der nach seinem feierlichen Ein­zuge in Stockholm   1520 sein neues Regiment nicht würdiger zu inauguriren vermochte, als durch die Hinrichtung von vierund­neunzig der vornehmsten Schweden  , denen nahe an sechshundert in der Provinz folgten. Einem Sohne dieser Hingerichteten, Gustav Wasa  , der als Geißel nach Dänemark   geschleppt worden, gelang es nach Lübeck   zu entfliehen und den Hansabund für die schwedischen Interessen gegen Christian II.   zu interessiren. Der Uebermut des Dänenkönigs, der den Hansen ihre Privilegien entreißen wollte, mag wohl vorzugsweise zu dem Entschluß Lübecks   beigetragen haben, eine Flotte auszurüsten, um Christian II.  aus Schweden   zu verjagen. Nachdem lübeckische Schiffe Gustav Wasa   heimlich nach Schweden   brachten, erschien im Jahre 1523 eine starke hansische Flotte vor Stockholm  , die denn auch die Uebergabe der Stadt erzwang. König Christian war bereits nach Kopenhagen   entflohen, und so konnte Gustav Wasa   aus den Händen der beiden lübeckischen Natsherren Bomhover und Plönnies die Krone Schwedens   in Empfang nehmen. Als in­Als in teressantes Faktum glauben wir hier vermerken zu dürfen, daß die Königin Karola von Sachsen der lezte Nachkomme der

Wasas ist.

Das jezige Lübeck   ist um das Jahr 1143 von Graf Adolf II. bon Holstein- Schauenburg an der Trave  , ungefähr zwei Meilen von der Ostsee  , erbaut worden, nachdem das ältere Lübeck, an der eine Stunde von der heutigen Stadt entfernten Schwartau belegen, durch Krieg und Feuer vollständig zerstört worden war. Die außerordentlich günstige Lage veranlaßte viele Kaufleute, so namentlich auch aus Bardowiek, sich in Lübeck   anzusiedeln. Von einer Feuersbrunst fast vollständig in Asche gelegt, wurde die Brandstätte im Jahre 1158 an Heinrich den Löwen ab­getreten, unter dessen Schuzherrschaft die Stadt von neuem ent­stand und bald kräftig emporblühte. Spätere unglücklich geführte Kriege der norddeutschen Fürsten mit Dänemark   ermöglichten es Tezterem, einen großen Teil des deutschen   Nordens zu unter­jochen; auch Lübeck   und Hamburg   gerieten unter dänische Fremd­herrschaft. Eine an Kaiser Friedrich II.   heimlich abgesandte

Deputation erwirkte 1226 der Stadt den kaiserlichen Freibrief, der den eigentlichen Grundstein zu ihrer Macht legte. Nachdem die Bürger die dänische Besazung teilweise durch List verjagt hatten, mußte das junge Gemeinwesen sich seine Freiheit erst durch Blut erkaufen. In jener berühmten Schlacht von Born­ höved   kämpften lübeckische, holsteinische und mecklenburgische Schaaren mit dem Mute der Verzweiflung gegen das verhaßte Dänentum, und endlich, durch das Eingreifen der Dithmarschen  , wurden die Dänen vollständig aufs Haupt geschlagen und der deutsche   Norden auf lange Zeit hinaus von der blutsaugerischen Fremdherrschaft befreit.

Die Gründung des Hansabundes im 13. Jahrhundert war vorzugsweise darauf gerichtet, überall Handelsniederlassungen zu gründen und Privilegien zum Schuze derselben zu erwerben. Die erste derartige Verbindung wurde im Jahre 1241 zwischen Lübeck   und Hamburg   abgeschlossen, an der später über neunzig Städte teilnahmen. Die Hansa   unter der Führung Lübecks   hatte in England, Holland  , Norwegen  , Schweden  , Dänemark  , Ruß­ land   und auch in Preußen Niederlassungen eingerichtet, die oft­mals den Umfang ganzer Städte einnahmen. Der Einfluß der Hansa auf den gesammten nordeuropäischen Handel wurde daher von weitesttragender Bedeutung. Die vorerst zum Schuze der Kauffahrteischiffe dienende Flotte wurde auch bald gegen die­jenigen Fürsten   angewendet, die sich einen Privilegienbruch zu schulden kommen ließen, so daß der Hansabund, oder vielmehr Lübeck  , welches meistens die Suppe auszulöffeln hatte, gar nicht mehr aus dem Kriegszustand herauskam. Nur der unermeßliche Reichtum, der hier zusammenströmte, kann es erklären, daß Jahr­hunderte steten Kampfes vergehen konnten, ohne den Wohlstand und die Kraft der Stadt zu brechen.

Innerliche Unruhen im Anfange des 15. Jahrhunderts zeigten jedoch darauf hin, daß in der Leitung des Lübeckischen Staats­wesens manches faul sein mußte. Es hatte sich nach und nach eine Aristokratie herangebildet, die das Recht der höchsten Ver­tretung für sich in Anspruch nahm. Die von den Zünften an­gefachte, einen demokratischen Karakter tragende Bewegung wurde diesmal noch niedergeworfen, hundert Jahre später gelangte sie zum Siege.

Kluge Köpfe sahen ein, daß das ewige Kriegführen die Kraft der verbündeten Städte langsam untergraben würde, wenn es nicht gelänge, den Bestrebungen der Hansa   eine kräftige Stüze in Norddeutschland zu schaffen. Denn der Hansabund hatte nicht nur seine Interessen nach außen zu vertreten, er mußte auch die nachbarlichen Fürsten, die auf die Macht der Städte eifersüchtig waren, stets zu beschwichtigen suchen. Dies ging ohne schwere Opfer selten ab. Der Kopf, welcher der Entwicklung der Hansa   eine neue, bessere Wendung geben konnte, sollte sich bald finden.

Die Reformationswehen, welche die meisten deutschen   Städte bis in den Grund hinein aufgewühlt, hatten Lübeck   fast gar nicht berührt. Ueberall war die römische Kirche teilweise in Blut erstickt zusammengebrochen, während Lübecks   Ratsherrschaft mit der römischen Hierarchie unerschüttert in der von allen Seiten heranschlagenden Brandung stand.

Einen wie ungeheuren Druck," sagt Barthold in seiner, Ge­schichte der Hansa( 3. T., S. 244), mußten die alten Sazungen der Hansakönigin über die Seelen ausüben, daß in ihren Mauern bis zum Jahre 1528 Bewegungen fast spurlos vorübergingen, welche in allen bundesverwandten Städten von nah und fern,

von Westfalen  , der Weser, der Mittelelbe, bis nach Livland  hinauf, in Hamburg  , in Holstein, endlich in den nordischen Reichen nicht allein das alte firchliche System wesentlich ver­ändert, sondern auch die bürgerliche Verfassung entweder umge­stoßen oder bedenklich modifizirt hatten."

Zur vollkommenen Blüte gebrauchten die hansischen Städte vor allem einer freien Gemeindeverfassung, welche allen Bürgern