Streit zwischen Napoleon und Lucian keineswegs darin seinen Ursprung hatte, daß Lucian von unbeugsamer republikanischer Gesinnung gewesen wäre. Wie hätte sonst Lucian so eifrig zum Staatsstreich vom 9. November 1799, durch den der eigentliche Umsturz der Republik bewirkt wurde, mithelfen und den ganzen Verrat einleiten fönnen? Der ehrgeizige Lucian hielt sich für einen großen Staatsmann und glaubte sich mit Unrecht durch Napoleon verdunkelt. Er beneidete seinen Bruder um dessen Ruhm und Macht. Dieser Neid und der Einfluß der Madame Jouberteau bestimmten seine Haftung gegenüber Napoleon .
Die Aufreizungen der Madame Joubertcau brachten Lucian so weit, daß er eine Partei gegen seinen Bruder zu bilden begann. In seinem Hause durfte der Name Napoleon nicht ausgesprochen werden; einen seiner Sekretäre, welcher Napoleons Bild besaß, wollte Lucian entlassen. Auch seine Brüder Joseph und Jerome) reizte Lucian gegen Napoleon auf. Endlich wurde Lucian von Napoleon, der ihn nicht verhaften lassen wollte, aus Frankreich verbannt. Im April 1804 schied Lucian von Paris und begab sich nach Mailand . Als er hörte, daß Napoleon sich in Mailand zum König von Italien frönen lassen wolle, verließ er auch diese Stadt und lebte teils in Rom , teils auf seinen Landgütern.
Zahh eiche Versuche seitens der anderen Familienmitglieder, die feindlichen Brüder zu versöhnen, waren vergebens. Napoleon verlangte immer als erste Bedingung die Scheidung Lucians von seiner Frau und darin gab Lucian nicht nach. Er schlug Tione aus und so veränderte sich die Gestalt der europäischen Reiche um der Frau Jouberteau willen. Der Oheim Lucians, der bekannte Kardinal Fesch, bot für Lucians ältesten Sohn das Herzogtum Parma an und wollte die Ehe mit Frau Jouberteau für ungültig erklären. Aber Lucian schlug alles ab; er befreundete sich mit dem Pabste und blieb Napoleons Feind. Auch die Vermittlungsversuche seines Bruders Joseph wies Lucian zurück.
Als 1807 Napoleon nach Italien tam, gelang es Joseph, eine Zusammenkunft zwischen den beiden feindlichen Brüdern in Mantua zustande zu bringen. Ein diplomatischer Agent hatte an Lucian geschrieben:„ Lassen Sie Sich von Ihrer Frau scheiden, so steht Ihnen der Himmel offen und die Trone liegen zu Ihren Füßen." Lucian aber antwortete darauf:„ Mein Herr, wir können uns nicht verstehen, Ihre Sprache ist mir
unbekannt."
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Allein so republikanisch sich Lucian in diesem Briefe geberdete bei der Zusammenkunft mit Napoleon schienen ihm die Kronen schon etwas begehrenswerter zu sein. Napoleon verlangte immer wieder die Scheidung.„ Ich kann davon nicht abstehen," sagte der Kaiser;" trennen Sie sich wenigstens auf einige Zeit von Ihrer Frau und wir wollen sehen."" Keine Stunde!" antwortete Lucian. Nun sprach Napoleon nicht mehr von Lucian selber, sondern von dessen Kindern. Er erbot sich, für seine zwei ältesten Töchter zu sorgen, welche ihm Christine Boyer geboren hatte. Die älteste Tochter Charlotte bestimmte er zur Gemahlin des Prinzen von Asturien. Wenn Lucian wirklich Republikaner gewesen wäre, so würde er auch diesen Vorschlag gleich anfangs zurückgewiesen haben. Er tat es aber erst später, als wieder die Scheidung verlangt wurde.
Als diese Abmachung in die Deffentlichkeit drang, glaubte man, Lucian solle König von Italien werden. Das war ein
dankung erzwungen sei, worauf Napolcon dem Prinzen von Asturien dem Tron entsagen ließ. So kam die Heirat nicht zustande, wozu Lucian und Madame Jouberteau bedeutend mitwirften. Man sprach davon, Frau Jouberteau solle ein Her zogtum erhalten, wenn sie sich scheiden ließe. Lezteres ist sehr unwahrscheinlich. Auch für die Heirat von Lucians Tochter mit dem spanischen Kronprinzen stellte Napoleon die Bedingung der Scheidung von Frau Jouberteau. Leztere wußte Lucian abermals gegen Napoleon einzunehmen, so daß er plözlich alles abwies und an Napoleon schrieb:„ Ich werde nie zugeben, daß meine Kinder Ihrer Politik aufgeopfert werden." Könnte man dies Wort für aufrichtig halten, so würde es Lucian viel Ehre machen. Aber er war zuvor auf das Heiratsprojekt eingegangen, ohne es gleich abzuweisen. So verhinderte Frau Jouberteau die spanische Heirat, welche wahrscheinlich der ganzen spanischen Politik Napoleons eine andere Wendung gegeben hätte. Die ehemalige Frau des Wechselagenten hatte in der Tat viel Einfluß auf die politische Gestaltung Europas .
Auf dem Gute Canino, das Lucian 1808 erworben 1814 ernannte ihn der Pabst zum Fürsten vom Canino - beschäftigte er sich mit Jagd, Ackerbau, Intriguen und mit literarischen Arbeiten. Seine Heldengedichte und Romane fanden keinen Anklang; interessant dagegen sind seine Memoiren( es gibt von ihm auch geheime Memoiren), denen wir Verschiedenes zu diesem Auffaz entnommen haben. Zu Canino erhielt er von neuem die Aufforderung, seine älteste Tochter an den Hof Napoleons zu schicken, und diesmal tat er es auch. Man sprach in ganz Europa davon, daß Napoleon , der sich eben von Josephinen hatte scheiden lassen, selbst Lucians Tochter heiraten wolle. Seine Werbung um die österreichische Prinzessin Marie Louise machte diesen Gerüchten ein Ende.
Charlotte, die Tochter Lucians, die erst 1796 geboren, also vierzehn Jahre alt war, wurde von Napoleon gut aufgenommen. Aber Madame Lucian hatte hier die Hand im Spiel. Ehe das junge Mädchen abreiste, legte sie ihm die heilige Pflicht" auf, alles, was sie am Hofe sehen und hören würde, gewissenhaft an sie( die Jouberteau) zu berichten. Die junge Dame führte denn auch verständnisinnig eine Art von Tagebuch, das sie ge wissenhaft von Zeit zu Zeit nach Hause sandte. Allein sie hatte nicht an die Brieferbrecher Napoleons gedacht, welche es dem Kaiser ermöglichten, die ganze geheime Korrespondenz des jungen Mädchens zu überwachen. Er amüsirte sich, wenn er die Be merkungen der Briefschreiberin über die leichtfertigen Abenteuer seiner Schwestern und ihrer Hofdamen las; als er aber sich selbst in den Briefen verspottet say, geriet er in Zorn. sprach über diese Sache mit seiner jüngsten Schwester, der Königin von Neapel , der Gemahlin Murats, und diese sagte: „ Der Madame Lucian werde ich es nie verzeihen, daß sie ihre Kinder nicht besser erzieht. Diese Frau hasse ich aufs Aeußerste, denn sie ist an dem Zwist in unserer Familie schuld." Uebrigens war die Königin von Neapel auch feine musterhafte Gattin.
Er
Napoleon blieb indessen doch dabei, die Tochter Lucians zu versorgen und so machte er den Vorschlag, sie mit dem das maligen Großherzog von Würzburg , Ferdinand von Toskana , zu verheiraten. Das war Lucian offenbar ein zu geringes Angebot für seine Tochter, für die er den spanischen Königstron ausgeschlagen hatte; er schrieb an Napoleon :„ Wenn Sie meine Tochter nicht schicken, so werde ich sie, trozdent ich geächtet bin,
Irrtum. Napoleons Abneigung gegen Lucian war mit der Zeit selbst aus den Tuilerien holen!"- Napoleon befahl Chars so gestiegen, daß die Schwester Elise Lucian nicht mehr bei Tage zu empfangen wagte. Aber der Prinz von Asturien, der nachmalige König Ferdinand VII. , hielt in der Tat 1807 bei Napoleon brieflich um die Hand der ältesten Tochter Lucians an, allein der Brief ward aufgefangen und der Prinz verhaftet. In Spanien entstand ein Aufruhr, infolge dessen der König von Spanien abdankte. Er schrieb an Napoleon , daß die Ab
*) Jerome, der bekannte König von Westfalen( Morgen wieder Iustick!") war mit einer Amerikanerin Namens Patterson verheiratet, von der er sich auf Napoleons Andrängen scheiden ließ, um eine württembergische Prinzessin zu heiraten.
lotten,*) binnen vierundzwanzig Stunden Paris zu verlassen. Da, wurde bekannt, daß Lucian sich auch beim preußischen Ge sandten in Rom heftig gegen Napoleon ausgesprochen habe, und es langte ein Brief von ihm bei Napoleon an, worin es hieß: " Ich weiß recht gut, daß Ihre Wut imstande ist, Sie dahin zu bringen, einen Brudermord zu begehen."
*) Diese Charlotte, zweimal und zwar zulezt mit einem Arzt verheiratet, starb 1865 in Rom . Lucians zweite Tochter von der Boyer, erst mit einem Schweden , dann mit einem Engländer vermählt, starb Kronen trugen, bei Napoleons Sturz auch keine zu verlieren hatten. 1847. Die Kinder Lucians waren insofern glücklich, als sie, da sie feine