Gefühls höher stimmt, die inneren Regungen weckt, die in der Seele schlummern. Erörterungen, welche dem höheren Gefühlsleben ferne stehen, können daher nicht Gegenstand der Poesie im eigentlichen Sinne sein. Reine Belehrung ist Sache der Wissenschaft, Ueberredung und Polemik Sache der Rhetorik. Wie mit dem Stab des Götterboten Beherrscht er das bewegte Herz;
Er taucht es in das Reich der Toten,
Er hebt es staunend himmelwärts
Und wiegt es zwischen Ernst und Spiele
Auf schwanker Leiter der Gefühle
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Stets lächelt' er und schwazt' und fragte mich Mit vielen Feiertags- und Frühlingsworten. Jch, den die kalt gewordnen Wunden schmerzten, Nun so genedt von einem Papagei, Antwortete so hin, ich weiß nicht was:
Er sollte oder sollte nicht. Mich macht' es toll, Daß er so blank aussah und roch so süß Und wie ein Kammerfräulein von Kanonen, Von Trommeln schwazt' und Wunden u. s. s.
Daher ziemt es dem Dichter wohl, den auf große Ziele gerichteten Bestrebungen der Partei melodischen Ausdruck zu geben und seine Genossen mit seinen Liedern zu befeuern. Schön
singt Schiller von dem Dichter und ähnlich Goethe( Vorspiel singt Heine( mit etwas ironischer Uebertreibung): zum Faust):
Wenn die Natur des Fadens
ew'ge Länge
Gleichgültig drehend auf die
Spindel zwingt,
Wenn aller Wesen unhar
mon'sche Menge
Verdrießlich
flingt,
durcheinander
Wer treibt die fließend immer
gleiche Reihe
Belebend ab, daß sie sich rhytmisch regt?
Wer ruft das einzelne zur allgemeinen Weihe,
Wo es in herrlichen Akkorden schlägt?
Wer läßt den Sturm zu Leidenschaften wüten?
Das Abendrot im ernſten Sinne glühn?
Wer schüttelt alle schönen Frühlingsblüten
Auf der Geliebten Pfade hin? Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter
Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art?
Wer sichert den Olymp, vereinet Götter?
Des Menschen Kraft, im Dichter offenbart.
Die Parteipolemik ist darum nicht Sache des Dichters als solchen, welcher„ der Leier zarte Saiten, doch nicht des Bogens Kraft" zu spannen hat, in einer mit dem Staub der Arena geschwängerten Atmosphäre mag die Muse nicht weilen. Das von den bergänglichen Bestrebun
gen des Tages stets unberührt Bleibende ist allein fähig, den echten poetischen Effekt auf das Herz zu machen und jene er lösende, befreiende Wirkung auszuüben, welche jedes echte Kunstwerk hervorbringt.
darf
Aber ist der Dichter nicht auch Mensch und wird, kann, er dem, was seine Zeit bewegt, teilnahmlos gegenüberstehen?
Deutscher Sänger! sing und
preise
Deutsche Freiheit, daß dein Lied
Unsrer Seelen sich bemeistre Und zu Taten uns begeistre, In Marseillerhymnenweise.
Girre nicht mehr wie ein Werther,
Welcher nur für Lotten glüht! Was die Glocke hat geschlagen, Sollst du deinem Volke sagen, Rede Dolche, rede Schwerter! Sei nicht mehr die weiche Flöte,
Das idyllische Gemüt Sei des Vaterlands Posaune, Sei Kanone, sei Kartaune, Blase, schmettre, donnre, töte!
Der Sänger in der Hansastadt an der Trave , dessen Harfe vor wenigen Wochen auf immer verstummt ist, ließ von den Zinnen der Partei herab manches feurige Lied ertönen; was ihn aber zum Liebling der Nation machte, waren nicht Lieder dieser Art, sondern jene, die er auf der höheren Warte anstimmte. In ihnen entfaltete sein Genius seine höchste dichterische Kraft. Und diese Kraft war so unerschöpflich und vielseitig, offenbarte sich in einer solchen Fülle herrlicher Schöpfungen von gediegenem Gehalt, tiefer
Innigkeit und bezauberndem Wohllaut, daß auch wir, die ihn als Parteimann nicht zu den Unsrigen zählen, ohne Bedenken einen Ehrenkranz auf seinen Grabhügel legen dürfen.
Emanuel Geibel *) wurde am 18. Oftober 1815 als das siebente Kind des Predigers Johannes Geibel zu Lübeck geboren und verlebte in seiner Vaterstadt eine angenehme Jugend
wird er mit verschränkten Armen dem ernſten Kampfe der Bar- zeit. Zwanzigjährig verließ er das städtische Gymnasium als
teien zuschauen und während der Streit der Meinungen um ihn wogt und tobt, die Zeit in den Wehen liegt und eine neue Epoche ihrem Schoße sich entringen will, nur von Lenz und Liebe singen und quictistischer Schönheitsseligkeit sich hingeben? Würde er da nicht jenem Hofmann gleichen, von dem Percy ( im Shakespeares Heinrich IV.) sagt:
Als ich, von Wut und Anstrengung erhizt, Matt, atemlos, mich lehnte auf mein Schwert, Kam ein gewisser Herr, nett, schön gepuzt, Frisch wie ein Bräutigam; sein gestuztes Kinn Sah Stoppelfeldern nach der Ernte gleich. Er war bebaljamt wie ein Modekrämer, Und zwischen seinem Daum' und Finger hielt er Ein Bisambüchschen, das er eins um andre Der Nase reichte und hinweg dann zog.
Primus der Prima, um in Bonn Teologie zu studiren. Die Neigung zur Dichtkunst, welche schon in der Gymnasialzeit manche Blüten trieb, trat hier noch lebhafter hervor, so daß er die
Teologie mit den humanistischen Wissenschaften vertauschte. Ein Jahr später ging er nach Berlin , wo er von Hißig in die
„ Literarische Gesellschaft " eingeführt wurde, in der er mit Chamisso, Willibald Alexis , Gaudy u. a. bekannt wurde. Im Hause Bettina's lernte er die nachmalige Frau Kinkel kennen, durch deren Vermittlung er 1838 eine Hauslehrerstelle bei dem russischen Gesandten, Fürst Katakazi in Athen , erhielt. Von dem klassischen Boden von Hellas, wo sich sein Schönheitssinn
*) Salomon, Geschichte der deutschen Nationalliteratur, XI; Gödeke, E. Geibel .
Rr. 20. 1884.