freontischen Lieds vertiefen und verdichten sich mehr und mehr zu feinsinnigen Gedankendichtungen und markigen Situations­bildern, Oden von volltönendem Psalmenschwung reihen sich an Hymnen von seltener Formenschönheit."( E. Ziel in der A. 3.") Zwischenhinein ist eine Reihe Sprüche verstreut von großer Weisheit, Prägnanz und Klarheit und geadelt durch die nobelste etische Gesinnung. Wir lassen einige folgen:

Warum du wider alles Hoffen

Noch niemals mitten ins Schwarze getroffen? Weil du nicht lassen konntest, beim Zielen Immer ins Publikum zu schielen.

Lüge, wie sie schlau sich hüte, Bricht am Ende stets das Bein; Kannst du wahr nicht sein aus Güte, Lern' aus Klugheit wahr zu sein.

Als jung und start wir waren, Da hatten wir nichts erfahren; Als wir an Wissen gewonnen, War unsre beste Kraft zerronnen.

Läßt sich nicht vermeiden der Strauß, Fasse kühn das Schwert am Hefte, Im Angriff wachsen dir die Kräfte, Dem feigen Baudrer gehn sie aus.

Je größer deine Flügel,

So mehr halt dich im Zügel! Unkraut auf gutem Acker

Gedeihet doppelt wader.

Obgleich auf religiösem Standpunkt stehend, gehört der Dichter doch nicht zu den kirchlich Gläubigen, denen er zuruft: Soll ewig denn als Pförtnerin Am Kirchtor die Dogmatik stehen? Gönnt endlich jedem einzugehen,

Der sich bekennt zu eures Heilands Sinn.

Zu dem Schönsten gehört das Gedicht Geschichte und Gegenwart", worin der Glaube an den Fortschritt der Mensch­heit in schwungvollen Strophen begeistert verkündet wird:

Wohl stürzt, was Macht und Kunst erschufen,

Wie für die Ewigkeit bestimmt,

Doch alle Trümmer werden Stufen, Darauf die Menschheit weiter flimmt.

In den beiden Tragödien schuf Geibel   zwei in hohem Grade formschöne und gedankenreiche Werke; aber sein eigener Vers Sprich als Dramatiker gut, doch wirf dein Stück in die Flammen, Wenn man den Ausdruck nicht über der Handlung vergißt reduzirt die Schäzung der Tragödie auf ihren wahren Wert. Gewiß, es sind darin gewaltige Leidenschaften entfesselt und in hochtragische Konflikte gebracht, die sich in spannender Handlung entwickeln; es pulst darin warmes dramatisches Blut und die Karaktere sind markig umrissen und plastisch ausgestattet; und dennoch verdanken sie ihre Bühnenwirkung weit mehr dem hin­reißenden Patos und der prächtigen, dichterischen Sprache, weil ihnen die echte dramatische Seele, die innere Glaubwürdigkeit abgeht, weil der tragischen Katastrophe in Sophonisbe  " die psychologische Motivirung fehlt, während in Brunhild  " die Redken der Nibelungensage nicht blos zu Normalmenschen, son­einen antifen Stoff zum Vorivurf nimmt, so kann er dabei von zweierlei Gesichtspunkten ausgehen: entweder will er eine ent schwundene Kulturperiode aufwecken, und uns ein Stück Men schenleben aus derselben darstellen, in welchem Fall er selbst­verständlich sich der größten Treue befleißigen muß, oder aber die antike Fabel reizt ihn deshalb zur Behandlung, weil sie Gelegenheit bietet, interessante Situationen und Karaktere vor­zuführen, bedeutende psychologische oder etische Probleme zu be­handeln, überhaupt die poctische Kraft nach der einen oder andern Richtung daran zu entfalten. Im lezteren Falle mag

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und Cressida, das beinahe zu einer Travestie der homerischen Heldenwelt geworden ist); ein mustergiltiges Beispiel der zweiten Art ist Goethes Iphigenie  : Agamemnons   Tochter( wenn über­haupt die Sage geschichtlichen Untergrund hat, was durch Schlie­manns Funde keineswegs bestätigt wird) hatte sicherlich kein so zart besaitetes moralisches Gewissen wie die Goethe'sche Iphi­genie. Goethe hat dem antiken Leib eine moderne Seele ein­gehaucht; trozdem aber ist dieser Anachronismus ästhetisch voll berechtigt, da darin kein Gegensaz zu den hellenischen An­schauungen und Empfindungen liegt, es ist im Gegenteil echt griechisches Wesen, gereift unter einem milderen Kulturhimmel. Auch die Sprache und vollends die dramatischen Motive sind echt griechisch. Wenn dagegen der Dichter eine antike Fabel sich in durchaus modernen Angeln bewegen läßt, welche der be­treffenden Epoche total fremd sind oder gar eine förmliche con­tradictio in adjecto zu derselben bilden, wenn z. B. ein G. Ebers einen egyptischen König aus dem Jahre 1500 v. Ch. mit seiner Tochter im modernen Salon- und Romanstil ver­kehren läßt, und in dieser Manier auch in anderen Romanen ganz moderne Menschen in ein altes Kostüm steckt und solches Zeug historischen Roman nennt, so ist das eine geschmacklose Maskerade, woran wohl das blasirte, nach Seltsamkeiten lüsterne Leihbibliotekenpublikum, aber nimmermehr die Muse Gefallen finden kann. Soweit konnte sich nun ein Geibel freilich feineswegs verirren und unsere heutige bankerotte Dramatik hat allen Grund, dem Dichter für seine dramatischen Gaben dankbar zu sein, auch wenn sie nicht ganz dem strengsten Maßstabe des Koturns gerecht werden. Eine weitere Frucht des sechszehn­jährigen münchener Aufenthalts waren, außer der Herausgabe des münchener Dichterbuches, einige Bände feinsinniger Ueber­sezungen französischer Dichter im Vereine mit seinem intimen Freund Paul Heyse  , Heinrich Leuthold   und A. F. v. Schack.

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Die Ereignisse des Jahres 1866 sezten diesem Wirken ein Ziel. Als Preußen mit Desterreich um die Herrschaft in Deutsch­ land   kämpfte, wandte sich Geibel  , ohne Rücksicht auf seine Stellung, Preußen zu. Wiederholt forderte er die deutschen  Stämme auf, den alten Hader zu lassen und sich zu einem ge­einigten Reich zusammenzuschließen, und als er im Herbst 1868 seine Vaterstadt besuchte und der König von Preußen ebenfalls dorthin kam, da passirte dem Dichter jener Hymnus an den Preußenfönig, der mit den Worten schloß:

Daß noch dereinst dein Aug' es sieht, Wie übers Reich ununterbrochen Vom Fels zum Meer dein Adler zieht.

Dieses Wort erfuhr in Süddeutschland, besonders in Baiern  , die heftigsten Angriffe. G. Herwegh   richtete ein Gedicht an ihn, worin es hieß:

Emanuel von Geibel  , ach Wie lang dich nähren soll er? Bezahlt hat dich der Wittelsbach, Und du besingst den Zoller.

Der baierische König Ludwig II.  , der einige Jahre später selbst dem Preußenkönig die deutsche Kaiserkrone anbot, ent= zog dem Dichter den Ehrensold, der ihm bei seiner Berufung zugesichert war. Darauf legte Geibel   sein Amt nieder und siedelte nach seiner Vaterstadt über, die ihn zu ihrem Ehren­bürger ernannte; zugleich erhöhte der König von Preußen seine Jahrespension auf 1000 Taler. Mit Bezug hierauf apostrophirte

ihn Herwegh   im Februar 1870:

Ach! ein bairisches Guldenstück Jit fein preußischer Taler; Darum folge nur Cäsars Glück, Nationalliberaler!

Daß die Jahre 1870/71, welche des Dichters politischen

Ideale über ihn zu begeisterten Liedern Dichter freier schalten, er wird sich manche Anachronismen ge- inspirirten, läßt sich denken. Seine Gesänge aus dieser Zeit. statten dürfen, wenn er Grund dazu hat, vorausgesezt, daß diese sind unter dem Titel" Heroldsrufe" erschienen. Anachronismen nicht in direktem Widerspruch zu jener Kultur­

epoche stehen.

Mustergiltige Beispiele dieser Art bieten

Shakespeares historische Dramen( mit Ausnahme von Troilus

Seine lezte poetische Gabe waren die" Spätherbstblätter" ( 1877), von denen Rudolf Gottschall   treffend sagte: Die Lebens­sonne wirst schräge Strahlen; es liegt etwas wie Resignation