nicht reiten zu lernen. Einstweilen kann ich genug verdienen, um uns beide zu erhalten. Aber ich muß dich doch etwas studiren lassen, damit du dir einst dein Leben fristen kannst, falls ich vom Trapez herunterfalle und mir das Genick breche. Willst du Blumen machen lernen, du mein kleines Blümchen?" Alles, alles, was du willst, Papa, nur nicht die bösen vielen Augen!"

Bernard hatte eine entfernte Verwandte in Paris , eine alte Frau, die einen kleinen Kunstblumenladen besaß, und selbst im Blumenmachen sehr geschickt war. Dieser vertraute Bernard sein Pflegekind an, und Violette wurde gegen eine verhältnis mäßig reichliche Bezahlung von Madame Lenoir in Lehre und Verpflegung aufgenommen.

Der gute Bernard zahlte gern die Hälfte seines Verdienstes, um dem liebgewordenen Kinde eine Zukunft zu sichern, und seine größte Freude war es, an Sonntagen Vormittags sammt Marco zu seiner Violette zu kommen ihr ein paar Stunden Unterricht zu geben oder sie spazieren zu führen.

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So vergingen sechs Jahre. Violette war eine sehr geschickte Arbeiterin geworden und erhielt bereits eine monatliche Zahlung für ihre Leistungen. Sie zählte nun sechzehn die Zeit des Lebenslenzes. Doch war sie nicht schön. Klein, schwächlich, von bleichem Aussehen und unscheinbaren Zügen. Ihre einzige Schönheit waren ein paar große, veilchenblaue Augen, mit einem eigentümlich schuzsuchenden Blick, und prachtvolle schwarze Haare so lang, daß dieselben, wenn sie sich kämmte, bei­nahe bis zum Boden fielen; aber da zu ihrer Zeit alle Mädchen und Frauen einen riesigen Aufbau falscher Zöpfe trugen, so fiel diese Schönheit bei Violette nicht auf.

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Sie selbst glaubte sich sehr häßlich, und das tat ihr einiger­maßen weh so ein armes Veilchen kränkt sich manchmal über sein unscheinbares dunkel- lila Kleid und möchte auch lieber das morgenrotfarbene Gewand der Roſe tragen.-- Doch im ganzen fühlte sich Violette nicht unglücklich; das stille, arbeit same Leben gefiel ihr; sie war stolz darauf, sich schon Geld ver­dienen zu können; die Besuche ihres Adoptivvaters waren ihr stets ein Fest, denn ihr warmes, liebereiches Herzchen hatte sich so innig an ihn geschlossen, und er zeigte sich seinerseits so gut und liebevoll ihr gegenüber, daß ihr seine Nähe stets ein un­geteiltes Gefühl der Freude brachte. Auch den jezt ältlich und ernster gewordenen Marco hatte sie gleich lieb behalten; sie freute sich schon immer auf ihre wöchentliche Partie Domino mit diesem bewährten Freunde, der zum Lohn seines Kunststückes stets ein gutes Stückchen Wurst von seiner Herrin bekam, und troz seines gesezten Alters die tollsten Sprünge machte, wenn ihm der Leckerbissen aus Neckerei ein wenig hoch gehalten wurde. -Zudem die prächtigen Promenaden in den elyseeischen Feldern oder in den dichten Waldpartien des boulogner Holzes welche reichen Freuden boten diese dem anspruchslosen Kinde... Es

durchzitterte ihre Seele wie eine Glücksahnung, wenn sie mit Marco durch die duftigen Auen um die Wette lief schien ihr so schön ihr freundlicher Pflegevater so teuer die Menschen so gut!

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Zum Lesen hatte sie nur wenig Zeit, und wenn sie cin Buch zur Hand nahm, so war es stets um zu lernen. Gram­matik, Geographie, Geschichte, einige klassische alte Dichter das waren ihre Studien.

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Romane las sie nicht, mit Ausnahme eines Feuilleton­romans, den sich Madame Lenoir täglich aus der Zeitung vor­lesen ließ. Dieselbe war auf das Petit Journal" abonnirt, und da ihre Augen schwach zu werden anfingen, so ließ sie sich täglich von Violette die vermischten Nachrichten" und das Feuilleton vorlesen. So erfuhr das junge Mädchen immer, wenn jemand überfahren, oder ein Mörder hingerichtet, oder eine Leiche aus der Seine gezogen wurde. Einmal las sie von einem liebe­betrogenen Jüngling, der sich mittels eines unterzündeten Kohlenbeckens das Leben genommen hatte: ,, Wie ist das möglich?" frug sie.

Madame Lenoir erklärte, wie der Kohlendampf ersticke, und man dabei einschlafe, um nicht wieder zu erwachen.

,, Das muß ein süßer Tod sein", bemerkte Violette. Der laufende Roman war voll von Koulissen- und Boudoir Intriguen. Hier gewann Violette einen Einblick in die bisher ungeahnte Welt der Galanterie. Abermals stellte sie Fragen an Madame Lenoir, welche ihr dieselben mit Anwendung von Moralmaximen beantwortete, indem sie die Abscheulichkeit der Frauen hervorhob, die der Sünde und Schande verfallen sind. Violette riß ihre großen, erschrockenen Augen auf: ,, Wie ist das nur möglich!" frug sie.

Madame Lenoir erklärte, wie es Mädchen gäbe, die ihre Ehre und Schönheit verkaufen.

,, Das muß ein bitteres Leben sein", bemerkte Violette. Doch nun sollte sich bald ihr eigener kleiner Roman ab­spielen. Madame Lenoir, deren Geschäfte nicht gar gut gingen, sah sich veranlaßt, ein überflüssiges Zimmer ihrer Wohnung zu vermieten. Der Mieter war ein hübscher, eleganter, heiterer junger Mann, Schriftsteller seines Zeichens. An seinem Knopf loch prangte beständig ein Veilchensträußchen. Nachdem er drei Monate lang da gewohnt hatte, bemerkte eines schönen Sonntags der gute Bernard, daß seine Kleine, die in lezter Zeit blaß und nachdenklich schien, plözlich rosig aussah, wie ein Maien morgen, und daß in ihrem sonst so scheu aufblickenden Auge cin Strahl des Glückes glühte.

,, Was hast du, mein Kind," frug er ,,, was geht in deinem Innern vor? Du scheinst mir so verändert." Violette flog in seine Arme:

Ja, ich will dir alles, alles sagen. Ach, ich bin so glücklich!"

Leon

Und nun erzählte sie die alte, ewig neue Geschichte. Farrol hatte zärtliche Liebesworte zu ihr gesprochen und ihr Herz gefangen genommen. Bis eines seiner Stücke von einem Teater angenommen würde, und er dadurch Geld und Ruhm

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sa

- die Welt petite femme nannte er mich heute, und hat mich dabei so

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Von dem regen Treiben in der großen Stadt um sie her wußte sie nur wenig. Sie sah wol, daß es reiche Leute gab, die in schimmerndem Puz und in prächtigen Equipagen einher­fuhren, aber sie beneidete sie nicht. In den Zirkus führte Bernard seine Pflegetochter nie, weil er sich ihr nicht im Clown

auch kein Begehr darnach, denn es war ihr aus ihrer Kinderzeit

erlangt hätte, würde sie seine kleine Frau werden:. ,, ja herzlich und innig gefüßt."

das sagst du mir erst heute?"

Bernard erschrak: ,, Gefüßt? Und das erlaubst du?- Und

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,, Es war ja heute zum erstenmale, Papa..." ,, Wo ist dieser Monsieur Ferrol

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ich will ihn sprechen." in die Provinz aber er wird wieder kommen

,, Er ist heute Morgens abgereist. Sein Vater berief ihn

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und feine

gewande und auf Stelzen einhergehend zeigen wollte; sie äußerte Stücke werden im Theatre Français aufgeführt werden, denn er ist ungeheuer talentvoll... mich wird er dann zur Frau eine große Scheu vor dem Zirkus zurückgeblieben. Teater hatte nehmen, und du kommst zu uns weder du noch Marco dürft

sie auch noch keines gesehen. Bernard schlug ihr einmal vor, sie in ein Feenspektakelstück zu führen, aber auf ihre bejate

mehr im Zirkus arbeiten

und ich habe Leon so unendlich, Frage, ob sie im Teater mitten unter den viefen Leuten mit solches Glück gibt auf der Welt, und weiß nicht, wie ich häß­so von ganzem Herzen lieb! Ich ahnte gar nicht, daß es

den vielen Augen sigen müsse, bat sie inständig, daß man sie zu Hause lasse. Diese Angst vor versammelten fremden Leuten

liches, unscheinbares Ding dazu komme!"

und bei vielen Gelegenheiten wiederholte sie das Wort, das sie Liebesaffaire, und Leon hatte sie nicht zur Vertrauten seiner war ihr als ein beinahe krankhaftes Gefühl haften geblieben, den jungen Mann aus. Doch diese wußte nichts von der ganzen einst als zitterndes Kind zu Bernard gesprochen hatte: Ich bin Gesinnungen gemacht. Heute früh sei er nach Bordeaug gereift, doch habe er versprochen, in sechs Wochen wieder zurückzu­

so furchtsam!"

vg