werden. Demgemäß sind die Aussprüche sogar desselben Som­nambulen und in derselben Krise von sehr ungleichem Werte. Aber noch ein weiterer Grund muß uns abhalten, diesen Zu stand zu überschäzen: der Somnambulismus ist den Einflüssen der Natur und der Menschen gegenüber ein passiver Zustand, der Mensch ist darin psychisch dezentralisirt, meistens in gänz licher Abhängigkeit vom Magnetiseur, gegen welchen nur selten ein selbstbewußter Wille sich geltend macht. Insoferne ist der Somnambulismus dem Wachen nicht gleichwertig. Dagegen ist ganz unbestreitbar, daß im Somnambulismus, wenn gleich nur flüchtig, oft Fähigkeiten auftreten, weit überlegen denen des Menschen, dessen äußere Sinne der Welt offen stehen und dessen Empfindungsschwelle normal liegt.

Es läßt sich also die Frage stellen, ob es vielleicht auf anderen Planeten Wesen von günstigerer Empfindungsschwelle gibt, bei welchen die in dem abnormen Zustande des Somnam bulismus nur schwankend und keimartig sich zeigenden Fähig keiten in völliger Entwicklung und als normaler Besiz zu finden wären? Wer der Entwicklungslehre huldigt, wird die Existenz solcher Wesen, die offenbar höher ständen als der Mensch, nicht bezweifeln; er kann wenigstens nicht leugnen, daß solche Wesen um so mehr im Schoße der Zukunft liegen, als ja der Mensch, auf der derzeitigen Spize irdischer Organisation stehend, sie in rudimentärer Weise prophetisch anzeigt.

Wenn aber der Somnambule solche höhere Wesen keimartig anzeigt, aber doch nicht selber zu ihnen gehört, so darf man den Somnambulismus jedenfalls nicht über das Wachen stellen; wohl aber ist er, vom philosophischen Standpunkt betrachtet, wichtiger als das Wachen. Denn jeder geistige Fortschritt ist entweder ein blos historischer innerhalb der sich gleich bleibenden Empfindungsschwelle, oder ein biologischer, durch günstigere Verlegung der Empfindungsschwelle bedingt. Jeder historische Fortschritt hat seine Grenze; in der Empfindungsschwelle ist ihm eine unüberschreitbare Schranke gezogen, jenseits welcher die Lösung gerade der tiefsten Probleme der Menschheit liegt. Darum ist der Somnambulismus philosophisch wichtiger als das Wachen; er greift über den historisch entwicklungsfähigen Men­schen hinaus zu dessen biologischem Nachfolger, und wenn er auch diesen nur keimartig andeutet, so zeigt doch das Studium des Somnambulismus ganz deutlich, daß sich für die Entwick­lungslehre gar nicht auszudenkende Folgerungen aus der Ver­legbarkeit der Empfindungsschwelle ergeben. Zugleich zeigte sich aber sehr klar, daß es eine bloße Anmaßung von Seite der Materialisten ist, wenn sie die Entwicklungslehre für sich als ihre Hauptstüze reklamiren. Eine Lehre, welche behauptet, daß nur das Sinnliche wirklich fei, und welche die unterhalb unserer Empfindungsschwelle liegende Welt negirt, steht mit der Entwicklungsteorie in prinzipiellem Widerspruch.

Der Somnambulismus, eben weil auf Verlegung der Em­pfindungsschwelle beruhend, liefert der Psychologie eine ganze

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Alten auslegend, nahm zwar ebenfalls mit dem Löffel Milch aus der Schale, dann aber goß er den Inhalt desselben in die hohle Hand und trank aus dieser. An dieser Geschichte hat sich vielleicht schon mancher physiologische Gegner des Somnambulis mus ergözt, ohne das ,, de te fabula narratur"*) einzusehen.

Diese eigenartige Erklärung verlangt sogar schon der ge­wöhnliche Traum. Wenn wir unsere Träume analysiren, so scheint es auf den ersten Blick allerdings, als wäre in den­selben lediglich der Stoff des wachen Lebens in aufgelockertem regellosen Zustande durcheinander geworfen und das im Wachen von dem vernünftigen Ich zusammengehaltene Vorstellungsleben im Traume nur dezentralisirt. Bei näherem Zusehen erkennt man aber leicht, daß der Traum auch seine positiven Seiten hat; denn weil er mit einer Verschiebung der Empfindungs­schwelle verbunden ist, erfährt der Schlafende zunächst aus der eigenen inneren Körpersphäre Einwirkungen, die vorher unter der Schwelle blieben; sein Bewußtsein erhält also einen neuen Inhalt. Auf diese Einwirkungen reagirt die Psyche mit Fähig keiten, die im Wachen latent waren; also auch das Selbst­bewußtsein erfährt einen neuen Inhalt.

Mit der Verschiebung der Empfindungsschwelle eröffnet sich also eine transzendentale, dem Tagesbewußtsein verschlossene Welt und ein transzendentales Jch. Immer wieder zeigt es sich also, daß das normale Bewußtsein die Welt so wenig er schöpft, als das normale Selbstbewußtsein das Jch. Wir dürfen daher von einem doppelten Bewußtsein, also von einem doppelten Ich in uns reden, dem diesseits und dem jenseits der normalen Schwelle liegenden, und dürfen das um so mehr, als die beiden Ich nur alternirend auftreten, ohne ihren Bewußtseinsinhalt auszutauschen. Der erwachende Somnambule knüpft, erinnerungs los für den Inhalt seiner Träume, an den Zeitpunkt vor dem Einschlafen an. Zudem sind auch die den Wahrnehmungen der beiden Ich korrespondirenden Fähigkeiten so sehr verschieden nach Form wie Inhalt, daß wir troz der Verschiebbarkeit der Empfindungsschwelle von einer doppelten Persönlichkeit in uns reden müssen; aber dieser Dualismus der Personen ist freilich wegen der Flüssigkeit der Schwelle wiederum monistisch aufzu lösen in die Einheitlichkeit eines gemeinschaftlichen Subjekts. Weil nun aber nach dem Bilde zweier Wagschalen das inner halb des Schlafes erwachende transzendentale Ich um so heller erwacht, je größer die Bewußtlosigkeit des Tagesmenschen ist, so müssen notwendig die Zustände des tiefsten Schlafes günstig sein, um durch Traumanalyse zu einer deutlichen Definition und Karakteristik des transzendentalen Subjekts zu gelangen.

Damit sind wir abermals behufs der Lösung des Menschen­rätsels an den Somnambulismus verwiesen.

Um diese

Der Somnambulismus ist gesteigerter Schlaf. Erscheinung richtig zu verstehen, müssen wir zunächst ihre phy­siologische Bedeutung für die Dekonomie des Organismus zu erkennen trachten. Dazu muß aber erklärlicher Weise der spontan Zufuhr neuer und zwar sehr schwieriger Probleme. Es liegt eintretende natürliche Somnambulismus inbetracht gezogen werden und gefragt werden, wozu die Natur eine so bedeutende Ver tiefung des Schlafes herbeiführt.

nun aber in der Natur des Menschen, neue Probleme lieber irrtümlich zu lösen, als ihre Unlösbarkeit einzugestehen; er ver­fährt dabei immer in jener Weise, die schon Bacon von Verulam

Die Intensität eines jedem Schlafes entspricht dem Bedürf

mit den Worten getadelt hat:" Das in sich Neue pflegt trozdem nisse des Organismus und wird durch noch nicht hinlänglich

in der Weise des Alten aufgefaßt zu werden"*).( Bacon , Neues erkannte physiologische Ursachen herbeigeführt, unbeschadet welcher Organon. I.§ 34.) Der Somnambulismus ist eine in sich ganz wir den teleologischen Karakter des Schlafes nicht übersehen neue und ganz eigenartige Erscheinung, und er kann schon darum dürfen, der sich auch in der Wirkung zeigt. Jemehr das Ger nicht in der Weise des Alten, nämlich nach Analogie der psychi- hirnleben unterdrückt ist und je länger es im Zustande völliger ihm um die Psyche unterhalb, im Wachen aber um die Psyche Organismus tätig. Der Schlaft stärkt die im Wachen abge oberhalb der Empfindungsschwelle handelt. Daraus allein schon nüzten Kräfte, daher fühlen wir uns erfrischt, wenn wir gut ergibt sich, daß es eine Verkehrtheit ist, die von Eigenartigkeit geschlafen, und die Intensität der Wirkung entspricht immer

strozenden somnambulen Zustände nach den psychologischen Ge= sezen des wachen Lebens zu erklären. Den Physiologen, die

entweder der Dauer oder der Tiefe des Schlafes.

das noch immer tun, möchte ich empfehlen, die hübsche Geschichte tritt häufig ein Schlaf von außergewöhnlicher Länge als Krise In Krankheiten, wenn der Organismus sehr geschwächt ist, ein, in der sich die Krankheit zum Besseren wendet. Jeder Arzt kennt die Heilkraft dieses kritischen Schlafes.

zu beherzigen, die Livingstone von einem Neger erzählt. Er hatte demselben einen Löffel zum Geschenke gemacht und lehrte ihm den Gebrauch, indem er damit aus einer Milchschale schöpfte. Der Neger aber, das in sich Neue in der Weise des

*) Wörtl.: Von dir wird die Fabel erzählt.