nicht mehr leugnen lassen, werden sie vom Standpunkt des jeweilig herrschenden Systems beurteilt, nach dem Beispiele des oben erwähnten Negers von Livingstone. Zu dieser Beurteilung glaubte sich nun die materialistische Psychologie um so eher be­rechtigt, als, wie schon gesagt, Symptome der Krankheit häufig mit Symptomen des innerhalb der Krankheit entstehenden Som nambulismus sich vermischen. Man verwechselte also schon damals Ursache und Bedingung, glaubte an einen Kausalzu­sammenhang zwischen Krankheit und den Erscheinungen des Somnambulismus, und erklärte daher den Somnambulismus seinem Inhalte nach als krankhaft, während doch nur die hinter seiner Bedingung liegende Ursache dieser Bedingung frank­haft ist.

Diese materialistisch- physiologische Beurteilung des Somnam bulismus ergab natürlich eine ganz schiefe Auffassung seiner Erscheinungen, die sich mit diesem Maßstabe so wenig messen lassen, als Pfunde mit Ellen. Diese Erscheinungen finden im Materialismus nicht nur keinen Plaz, sondern sind vielmehr sehr geeignet, den materialistischen Ring, der die Köpfe einengt, gewaltsam zu sprengen.

Man würde übrigens Unrecht tun, die damalige Generation für besonders tadelnswert zu halten. Es ist notorisch nach weisbar, daß gerade die Vertreter der Wissenschaft von jcher den wirklich neuen Ideen die größten Hindernisse bereiteten. Und das begreift sich: Goethe sagt irgendwo, daß die größten Feinde neuer Ideen die alten Ideen seien; es muß also die größte aprioristische Voreingenommenheit gegen Neues eben dort zu finden sein, wo man sich der alten Ideen am meisten be­wußt ist und sie zu einem System zusammengestellt hat. Sogar muß gerade eine hohe Entwicklung eines Wissenszweiges um so

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geneigter machen, solche Ideen auszuschließen, welche geeignet sind, den alten Rahmen zu sprengen. In einem Systeme gibt es keinen Plaz für in sich ganz neue Erscheinungen, weil darin die alten Erscheinungen zu einem planmäßigen scheinbar vollen­deten Ganzen verbunden sind, und es nicht in der Natur der Systematiker liegt, durch offen gelassene Lücken das System selbst als lückenhaft hinzustellen. Als z. B. der Akademie in Paris   gemeldet wurde, es seien Meteorsteine in Frankreich  niedergefallen, verwarf sie das als Aberglauben, und sogar ein Geist wie Goethe verlachte in seiner Jugend den Meteor von Ensisheim  . Bei den alten Griechen dagegen waren die vom Himmel fallenden Steine ohne alle Voreingenommenheit als Tat­sachen anerkannt. Dieser Rückschritt der Meinungen erklärt sich geradezu aus den Fortschritten der Astronomie. Die der Griechen war noch nicht in dem Grade abgeschlossen und zum System verknöchert, konnte daher neue Tatsachen sich leichter assimiliren, als die hochentwickelte Astronomie der Neueren, welche für un­möglich erklärten, was nur für ihr System unverdaulich war. So wird also die Wissenschaft der Natur gerade durch ihre Ausbildung zum Prokrustesbette der Natur.

So ist auch der Mesmerismus für den Materialismus ganz unverdaulich; der leztere, zum System erstarrt, hat seine Bieg­samkeit verloren, und statt das System umzuwandeln, sucht man die Tatsachen umzudeuten, und spricht von Hysterie, Hallucina­tion und schließlich sogar von Betrug, nur um das unbequeme Hellsehen nicht anerkennen zu müssen. Die Physiologen suchen die Formel zur Erklärung des Menschenrätsels lieber in auf­geschnittenen Tierleibern, statt sie aus ihrem eigenen Innern heraufzuholen. Sie gleichen Leuten, die überall nach ihrem Hute herumsuchen, während sie ihn doch auf dem Kopfe haben.

Georg Friedrich Kolb  .

Von W. Blos.

( Schluß folgt.)

diese Männer zur politischen Macht empor. Sie nahmen nicht an den Straßenkämpfen teil, aber das Volk beauftragte sie, die neue staatliche Formation festzustellen. Sie erschienen im Vor­

parlament, im Parlament der Paulskirche zu Frankfurt  , in der Nationalversammlung   und in der zweiten preußischen Kammer zu Berlin  , in den Kammern von Baiern  , Württemberg, Baden, Sachsen  , Hessen   u. s. w. Sachsen  , Hessen   u. s. w. Sie sollten ein freies und einiges Deutschland   schaffen.

Die Jugend in der Fülle der Lebenskraft hat leicht zu ur­teilen über das schwache und absterbende Alter. Wie oft sind wir, innerhalb des brausenden und reichen politischen Lebens von heute, nur zu geneigt, die Leistungen derer, die früher ge­wirkt, zu unterschäzen, ohne zu bedenken, daß jene erst die Formen haben schaffen müssen, innerhalb deren sich heute die junge Generation mit Leichtigkeit bewegt. Was war überhaupt politisches Leben vor einem halben Jahrhundert in Deutschland  ? Man pflegt zu sagen, daß Johann Jacoby   mit seinen Vier die überlegenen Künste der reaktionären Partei, durch den geschaffen habe. Wenn das wahr ist, so werden wir jener Mangel des Volkes an Verständnis für die Situation und durch Demokratie, die in der vormärzlichen Zeit mit Johann Jacoby   den Mangel der Volksvertreter an Energie und politischem

Mission zuerkennen müssen.

Wie der Versuch mißlang, ist bekannt; er mißlang durch

Scharfblick. Das Verfassungswerk endete kläglich und das Par­

lament, erst die Hoffnung Deutschlands  , ward zu Stuttgart  durch etliche Bataillone württembergischen Militärs auseinander­

Jene Demokratie fonnte in der vormärzlichen Zeit fein anderes Ziel haben, als an Stelle des alten absolutistischen gesprengt. Wesens konstitutionelle und volkstümliche Einrichtungen zu sezen; einen anderen Weg zur Schaffung eines gesunden politischen Lebens gab es nicht. Es war der langwierige und ermüdende

Wir gehören nicht zu denen, welche glauben, mit dem Worte Schwazparlament" eine erschöpfende Kritik des Frankfurter  Parlaments gegeben zu haben. Die Kraftlosigkeit jener Körper­

Kampf des kaum firirten gefezlichen Rechts gegen die Willkür schaft hatte ihren Grund in der jahrhundertlangen Zerrissenheit

einzelner Regierungen. Man denke an die parlamentarischen Kämpfe in Baden, Kurhessen, Württemberg   und Sachsen  . Man

und Kraftlosigkeit der Nation, deren Folgen sich nicht in einigen Monaten beseitigen ließen. Den Mitgliedern des Rumpfpar­

das Rumpfsparlament beging. Das Ende dieſes Barlaments

tut Unrecht, diese Kämpfe heute als unbedeutend aufzufassen. laments, die bis zulezt aushielten, wird die Geschichte ihre An­In ihnen schlug die politische Pulsader der Nation und rang ungskriegen das Volk verzehrt hatte, nach Erfüllung.

war eine traurige, niemals aber eine lächerliche Szene. Es

der und nun den Spott um­Situation. Man sah damals jenes merkwürdige, von demokra sonst; im anderen Falle würde man's bewundert haben. So tischem Geiste erfüllte Beamtentum, das unbengsam auf seinem geht es immer. Recht bestand und das die Pflichten des Staatsamts mit denen

Die bald darauf eintretenden neuen politischen Strömungen

einer freisinnigen Opposition in Einklang zu bringen verstand. verschlangen die alte Demokratie bis auf einen fleinen Reſt.

Die staatsmännisch veranlagten Geister schulten sich in den par lamentarischen Verwicklungen.

Die Bewegung im Frühjahr des Jahres 1848 schnellte alle

Biele hatten aus Unmut oder um Verfolgungen zu entgehen, das Vaterland verlassen; andere licßen sich gern von den neuen Strömungen fortreißen; noch mehr suchten in den neuen Ver­