hältnissen Macht, Einfluß und Ansehen zu gewinnen, was ihnen die Bewegungsjahre nicht hatten dauernd gewähren können, und sie schmiegten sich den veränderten Anschauungen und Zuständen mit Preisgabe ihres Karakters an. Eine kleine aber auserlesene Schaar blieb auf dem alten Boden stehen. Sie zählte glänzende Namen unter sich; zu ihr gehörten Uhland, Fallmerayer, Moritz Hartmann, Temme, Johann Jacoby u. a. Diese Männer begriffen, daß die Rolle ihrer Richtung vorläufig ausgespielt sei. Sie zogen sich grollend und schweigend zurück. In Zeiten der Gefahr oder der Selbstüberhebung und Verblendung der Massen erhoben sie ihre Stimme, mahnend und warnend. Sie bildeten eine Art Gewissen der Nation. Wer denkt nicht daran, wenn er des greisen Uhland Spruch aus den fünfziger Jahren vor sich hat:
,, Umsonst bist du von edler Glut entbrannt, Hast du nicht sonnenklar dein Ziel erkannt!"
oder sein schönes Wort:
„ Wenn ein Gedanke, den die Menschheit ehrt, Den Sieg errang, so war's der Mühe wert." Diese Männer fonnten nur wenig mehr teilnehmen an den Kämpfen und Bestrebungen späterer Zeit; ihre Begeisterung war abgekühlt worden, und es fehlte ihnen auch vielfach an Verständnis. Sie hielten meist an den rein politischen Fragen fest innerhalb einer Epoche, da die neuen sozialökonomischen Ideen und Gestaltungen dominiren. Das war ein großer Fehler, aber er lag in der Natur der Sache; die Mission dieser rein politischen Demokratie war eben vorüber.
Unter diesem Fähnlein ragte auch hervor die Gestalt des Mannes, der in diesen Lenzestagen aus dem Leben geschieden; wir meinen Georg Friedrich Kolb oder Kolb von Speyer , wie er in den parlamentarischen Körperschaften genannt wurde.
Kolb war ein Kind der Rheinpfalz. In aufgeregten Zeiten sind die Geister der Pfalz so feurig wie ihr junger Wein, allein es fehlt an Beständigkeit; sie klären sich schlecht ab und verderben leicht. Diese so häufige pfälzer Eigenschaft war an Kolb nicht bemerkbar. Er gehörte niemals zu den Schreiern, denen man in der Pfalz den Namen„ Krischer"( Kreischer) gegeben hat und von denen sich im Jahr 1848 eine so große Anzahl hervortat. Man denke nur an den mainzer Germain Metter nich und an den wormser Weinhändler Blenker mit seinem verfehlten Angriff auf Landau ,
Kolb wurde im Jahre 1808 in Speyer geboren. Nachdem er seine Ausbildung vollendet, trat er in städtische Dienste. Seine Arbeitskraft, seine Sachkenntnis, sein ruhiges, besonnenes Wesen und sein Freimut verschafften ihm ein solches Ansehen, daß er sehr bald zum Bürgermeister von Speyer gewählt wurde. Troz seiner vielseitigen politischen und literarischen Tätigkeit hat Kolb doch die städtische Verwaltung zur Zufriedenheit seiner Mitbürger geleitet, bis die Reaktion ihn nötigte, auf sein Amt zu verzichten. Lange vor 1848 war Kolb in der Pfalz einer der tätigsten Führer der Demokratie, tätig in Wort und Schrift. Damals erschien seine Schrift:„ Die Rechte der deutschen Völfer, den Ansprüchen des Bundes gegenüber," als Kolb erst 24 Jahre alt war, und 1842 erschien zu Pforzheim die erste Ausgabe seiner Kulturgeschichte.
Kolbs Name war weit bekannt und auch Verfolgungen seitens der Behörden waren ihm nicht erspart geblieben, als die Bewegungen im Frühling 1848 begannen. Die Vaterstadt sandte Kolb ins Vorparlament.„ Wochen sind jezt Jahrhunderte," sagte dort Uhland, aber das Vorparlament begriff dies nicht. Es verwarf den Antrag, beisammen zu bleiben, und versäumte mit den Wochen denn auch Jahrhunderte. Uhland selbst hatte gegen die Permanenz gestimmt, Kolb aber dafür. Man wählte einen Fünfziger- Ausschuß; Kolb kam hinein mit 391 Stimmen.
Von Speyer wurde Kolb auch in das frankfurter Parlament gesandt; er gehörte zur Linken, nicht zur äußersten Linken. Bei der Wahl des Reichsverwesers gab er seine Stimme Heinrich von Gagern ; er glaubte mit vielen anderen damals auch an
498
der Kaiserwahl antwortete Kolb , als man ihn aufrief:„ Ich wähle nicht!" Im übrigen beteiligte er sich fleißig an den Verhandlungen des Parlaments. Seine Reden sind frei von den gewöhnlichen Phrasen jener Zeit. Er saß in mehreren Ausschüssen und hielt aus bis zulezt, bis zum 1. Juni 1849, da das Parlament vor der Fritz'schen Reitschule in Stuttgart gesprengt ward.
Inzwischen war Kolb auch in der baierischen Kammer tätig gewesen. Die bekannte Angelegenheit des„ gricchischen Anlehens" wurde durch ihn erledigt. König Ludwig I. hatte näm lich der griechischen Regierung in den dreißiger Jahren 1½½2 millionen Gulden aus der baierischen Staatskasse geliehen. Der Landtag hatte die Sache wohl in Beratung gezogen, aber keinen Beschluß gefaßt. Jezt nahm Kolb die Sache in die Hand und bewirkte, daß Ludwig die 112 millionen Gulden aus seinen. Privatmitteln zurückzahlen mußte. Der Bericht über die Verhandlung dieser interessanten Angelegenheit ist separat im Druck erschienen unter dem Titel:„ Das griechische Anlehen, ein Bei trag zur Geschichte des Konstitutionalismus in Baiern , von G. F. Kolb , München 1849."
Nach der Sprengung des Parlaments tchrte Kolb nach Speyer zurück, wo er das von ihm gegründete demokratische Blatt„ Neue Speyerer Zeitung", zu dessen Herstellung er eine Druckerei eingerichtet hatte, weiter herausgeben wollte. Allein jezt stürzte sich die Reaktion auf ihn. Er ward verhaftet und ein halbes Jahr lang in Untersuchungshaft gesezt, dann ohne Anklage wieder entlassen. Er legte seine Stellung als Bürgermeister nieder und hielt noch bis 1853 aus, während welcher Zeit das Blatt die heftigsten Verfolgungen zu erdulden hatte. Da gab Kolb den ungleichen Kampf auf und ging in die Schweiz , nach Zürich .
Hier verkehrte er mit seinen geflüchteten Gesinnungsgenossen und warf sich auf das Spezialstudium der Statistik. Seine Schriften:" Handbuch der vergleichenden Statistik" und„ Grundriß der Statistik" verschafften ihm in der wissenschaftlichen Welt ein hohes Ansehen. Diese Schriften haben mehr als viele andere dazu beigetragen, die Statistik zu einer populären Wissenschaft zu machen. Kolb hatte denn auch die Genugtuung, daß er 1860 vom schweizerischen Bundesrat als dessen offizieller Vertreter zum statistischen Kongreß nach London gesandt wurde. Seine statistischen Werke, ein Zeugnis seines eisernen Fleißes, sind vielfach neu aufgelegt worden.
Damals schrieb Kolb auch einige kleinere Schriften über die Zustände der Schweiz , sowie sein Werkchen über die englischen Staatsprozesse.
Im Jahre 1859 fam Kolb nach Deutschland zurück und ward Mitbegründer der„ Frankfurter Zeitung ", deren Redaktion er bis 1866 leitete. Er bekämpfte in diesem Blatte, das ihm viel verdankt, die großpreußische Politik. Mitarbeiter der„ Frank furter Zeitung" blieb Kolb bis in seine lezten Tage. Auch am politischen Leben im weiteren Sinne hatte sich Kolb wieder beteiligt. 1868 wurde er vom Wahlbezirk Kirchheimbolanden Kaiserslautern mit 7212 von 7760 abgegebenen Stimmen in das Zollparlament gewählt. Im Jahre 1874 kandidirte er wieder in diesem Kreis, erhielt aber gegenüber der starken nationalliberalen Strömung nur einige hundert Stimmen. Seit 1863 saß er auch in der baierischen Kammer der Abgeordneten, wo er die pfälzische Gemeindeordnung zur Annahme brachte. Als die Kammer sich 1872 lediglich in Nationalliberale und Ultramontane schied, legte Kolb sein Mandat nieder und trat vom politischen Leben zurück. Doch schrieb er noch bis in seine lezten Jahre viele politische Artikel für die verschiedensten Zeitschriften. Von seinen kleineren Schriften erwähnen wir noch: " Die Nachteile des stehenden Heeres." Kolb war ein ent schiedener Anhänger des Milizsystems, welchen Gedanken er in der baierischen Kammer mit Geist und Geschick, aber ohne poſi
tiven Erfolg verfocht.