Er führte Magnus in das Inspektionsbureau. Man merkte es dem Herrn Inspektor an, daß er von der Pike auf" ge­dient hatte, d. h. früher Grenzaufseher und Zollwächter gewesen war, oder Zollschnüffler, wie das Volk sagt. Ohne dem Volontär einen Stuhl anzubieten, machte er diesem seine Pflichten klar, und zwar in strengem Ton. Die Bureaustunden sollten von 8-12 und 2-8 Uhr dauern. Dann wurde der Volontär an seinen Plaz geführt:

Das wird Ihr Plaz sein, Herr Magnus."

" Sehr wohl, Herr Inspektor!"

Der Zollgewaltige schaute den Volontär groß an, sagte aber nichts; die Subalternen warfen sich bezeichnende und hämische Blicke zu. Magnus, der von den Kriechereien des Schreiber tums nichts verstand, hatte das Ober" weggelassen. So mußte er bald in Ungnade fallen. Und das war für das Schreiber­tum ein Gaudium, denn sie haßten Herr Magnus schon von vornherein wegen seiner akademischen Bildung.

Da saß er nun an seinem Pult und sollte sich in dicke Bücher mit langweiligen Ziffern vergraben. Von draußen lachte der sonnige, blaue Himmel herein in die dumpfe Stube, die Wogen des Sees flaschten neckisch an den steinernen Damm dicht vor dem Fenster und der weiße Gischt sprizte hoch empor, als wollte er den gefangenen Mann da drinnen mahnen, wie nahe der See sei, und der Säntis mit seinem weißen Haupt grüßte ernst herüber. Herr Magnus öffnete einen Augenblick das Fenster, um frische Luft einzulassen. Da schaukelte sich draußen ein bewimpelter Nachen, in dem zwei junge Herren und zwei junge Damen saßen, welche das alte Lied sangen: ,, Von der Alpe   tönt das Horn

Gar so zaubrisch wunderbar, S' ist doch eine eigne Welt,

Nah dem Himmel schon fürwahr;

Andre Blumen, andre Wolken,

Wie in einem Zauberreich,

Nur mein Lieben, nur mein Leiden Bleibt sich ewig, ewig gleich!"

Herr Magnus versant in tiefes Sinnen bei der schwer­mütigen Weise da fuhr er empor:

-

Die Fenster müssen geschlossen bleiben, denn bei dem Lärm fann man nicht arbeiten," sagte der Inspektor mit derber Be­tonung. Er beobachtete alles durch die offene Tür seines

Bimmers.

" Ich wollte nur etwas frische Luft haben-"

Die Fenster bleiben geschlossen, das gilt ein für allemal," sagte der Inspektor mun grob. Gelüftet wird nachher."

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derjenigen war, deren Bild seine ganze Gedankenwelt ausfüllte. Aber bald ward es ihm offenbar. Denn es erschien das blonde Haupt Schön Minna's am Fenster.

Nun war es mit der Ruhe des armen Kanzleigehilfen" vollends vorbei. Sehnend schaute er hinüber und die Herren Kollegen stießen sich mit dem Ellenbogen an. Herr Magnus schien ganz verworren. Zu der Minna in der Phantasie kam nun auch noch die wirkliche, um ihn von der Arbeit abzuhalten. Ja, sie schritt noch an diesem Morgen stolz und stattlich draußen vor dem Fenster vorüber und der arme Magnus mußte an seinem Pult festgenagelt bleiben!

Soll man sich wundern, wenn am Abend des ersten Tages in die Tabellen für die Diäten der Grenzwächter auch noch nicht die geringste Ordnung gekommen war!

So ging es drei Tage lang einförmig fort; der Himmel war blau, der See glizerte im Sonnenschein, die schöne Fischer Minna sah häufig zum Fenster hinaus, Herr Magnus seufzte noch häufiger und die Tabellen für die Diäten der Grenzwächter waren noch immer in Unordnung.

-

Der Herr Inspektor pardon, der Herr Oberinspektor runzelte drohend die Stirn. Solch ein Volontär war ihm noch nicht vorgekommen.

Wenn am See sich ein Sturm erhebt, so wird derselbe durch einen weißgrauen Nebel vorher angekündigt. Den Sturm im Hauptzollamt kündigte die gerunzelte Stirn des Inspek

fors an.

Herr Magnus merkte nichts von den Gewitterwolfen, die sich über seinem Haupte zusammenballten; er brannte nur auf den vierten Tag, der ein Feiertag war, an dem auch die Burcaug des Hauptzollamt geschlossen wurden. An solchen Tagen ging der Inspektor, der sonst ein liberaler Mann sein wollte, in die Frühmesse, die um fünf Uhr begann, und es war der Wunsch des gestrengen Herrn, daß auch das Kanzleipersonal sich dazu einfinden möchte. Seine häßliche Tochter Elise pflegte bei solchen Gelegenheiten dabei zu sein und über das Kanzleipersonal Musterung zu halten. Die Schreiber wußten, daß, wer bei Elisen gut angeschrieben war, auch auf die Gunst des Alten rechnen fonnte, und sie erschöpften sich in friechenden Artigkeiten gegenüber des Inspektors unschönem Töchterlein, welcher diese Huldigungen stolz entgegennahm. Sie wußte ja. daß wenn sie teinen besseren Mann bekam, diese Schreiber immer noch da waren, aus ihrer Mitte einen Mann zu stellen, der Elise hei ratete und damit Karriere" machte.

Ge

Aber als Elise früh fünf Uhr an der Kirchentür Revue über Die Schreiber sahen schadenfroh auf den Gerüffelten und die sich tief verbeugenden Schreiber hielt, fehlte der neue der Inspektor kehrte im Vollgefühl seiner Amtswürde mit dröh- hilfe". Elise verfehlte nicht, ihren Vater darauf aufmerksam

nenden Schritten in sein Zimmer zurück. Magnus schloß be­trübt das Fenster und begriff nun erst, was ein volontirender Kanzleigehilfe sei. Er wandte sich zu seinen Arbeiten und suchte sich in dieselben zu vertiefen. Aber umsonst. Es waren endlose und verworrene Tabellen, die er ins Reine schreiben sollte und welche die Berechnung der besonderen Diäten für die Grenzwächter u. s. w. enthielten.

Herrn Magnus redlichstes Bemühen, diese Tabellen interes­sant zu finden, war ganz umsonst. Seine Gedanken flohen immer wieder aus der Wirrnis der Tabellen hinweg zu dem schönen Anblick aus dem Fenster. Und wenn er sie mit Ge­walt festzubannen suchte zwischen den öden Ziffernt, so tauchte

daraus ein lockender, blonder Mädchenkopf hervor und ein tief­

blaues Augenpaar lachte ihn schalthaft und neckisch an. Wo blieben da die Diäten der Grenzwächter?

So klein der Gott Amor ist, so groß ist seine Bosheit. Er

legte. Wie konnte so ein Neuling wagen, die Gebräuche des zu machen, dessen Stirn sich den ganzen Tag in drohende Falten Hauses zu verlezen!

um die

Herr Magnus hatte weder Zeit noch Lust, sich Herzenswünsche des Inspektors und seines Töchterleins zu

be

fümmern. Mit dem Morgenrot stand er auf und begab sich Sonnenaufgangs zu sehen. Er mietete sich einen fleinen Nachen an das Ufer des Sees, um das herrliche Schauspiel eines und ruderte auf den See hinaus.

Der glühende Sonnenball, der im Osten heraufstieg, über goß die weißglänzenden Alpenhäupter und die Fläche des Sees wie mit flüssigem Feuer. Es war ein herrlicher und groß

das sich in der dumpfen Schreibstube und im Alltagstaub zu fammengepreßt hatte. Ein erhabenes Naturschauspiel läßt stets den Menschen die kleinlichen Schranken seiner alltäglichen Ver

liebt es, seine Opfer mit ausgesuchten Qualen zu bedenken. hältnisse vergessen. Eine wohlige Stimmung fam über unseren

So ging es auch unserem braven Herrn Magnus.

Gerade von seinem Pult aus sah er auf den schon er­wähnten alten Turm, und er wußte nicht, daß das zierliche Häuschen, das sich an den alten Turm lehnte, das Vaterhaus

jungen Freund; er legte sich behaglich in seinen Kahn und ließ sich von einem leichten Wind nach dem Zufall auf dem See

umhertreiben.

( Schluß folgt.)