Ein chinesischer Brief aus Berlin .

Mitgeteilt von Arthur Zapp .

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Es ist gewiß allen Lesern bekannt, daß seit einer Reihe von Jahren eine chinesische Gesandtschaft in Berlin stationirt ist. Die Söhne des himmlischen Reiches führen keineswegs ein zurückgezogenes Leben in der deutschen Metropole, sondern voller Neugier gehen sie überall hin, um die Sitten und Gebräuche der guten Berliner fennen zu lernen.

Kurze Zeit nach seiner Ankunft in Berlin besuchte der chinesische Gesandte einen Maskenball in dem bekannten Krollschen Etablissement, und in dem ersten Bericht, den er von Berlin aus an seinen Souverän sandte, beschreibt er, nachdem er erst einige allgemeine Bemerkungen vorausgeschickt, die dort empfangenen Eindrücke und Erlebnisse. Durch einen glüdlichen Zufall sind wir in den Befiz einer Abschrift dieses Briefes gelangt, und wir bringen nun in Nachstehendem eine wort­getreue Uebersezung dieses interessanten Schriftstücs.

Großmächtigster, gnädigster Kaiser des glücklichen China ! Gewaltiger Walfisch im Ozean der Menschheit!

Strahlende Sonne der Weisheit und der Erkenntnis!

Der allerblindeste Knopf auf dem ältesten deiner Kleider, der lezte Nagel auf dem Hufeisen des schlechtesten deiner Pferde, dein aller­untertänigster und gehorsamster Gesandter, der Vertreter deines mäch= tigen Reiches, naht sich kniend deinem erhabenen Trone, um zu dem Schaz deines unerschöpflichen Wissens ein Körnchen neuer Erfahrung hinzuzufügen.

Auf dein Geheiß habe ich das Land der Sitte und Erkenntnis, unser schönes China , verlassen, um in dem barbarischen Land, welches man Deutschland nennt, dich, hoher Gebieter, zu vertreten, sowie die Gebräuche und Gewohnheiten dieser Barbaren kennen zu lernen. Die Hauptstadt dieses Landes ist ungefähr halb so groß wie unser liebes Beling, und doch habe ich noch nicht einen einzigen Menschen in dieser ganzen Stadt gefunden, der chinesisch gesprochen hätte. Dabei bejizen diese Menschen den Dünkel, daß sie gebildet seien! Ist das nicht zum Lachen?

Als ich mit meinen Sekretären, Dolmetschern und Dienern hier eintraf, nahm ich in einem großen Hause Wohnung, in welchem man uns für Geld Gastfreundschaft erwies. Dieses Haus nennen sie hier Hotel Royal". Du wirst dich, erlauchter Sohn des Himmels, über diese französische Bezeichnung eines deutschen Hauses wundern aber das ist hier nichts seltenes. Ich habe an vielen andern Häusern ähnliche Namen gesehen, wie Hotel de Russie"," Maison rouge" 2c. Ueberhaupt scheint mir die deutsche Sprache noch sehr unausge­bildet und wortarm zu sein, denn es ist mir wiederholt bei den Ge prächen der Eingeborenen aufgefallen, daß sie nicht selten für Dinge, für welche sie in ihrer Muttersprache keine Ausdrücke zu haben scheinen, Bezeichnungen aus emden Sprachen, vornemlich aus der französischen, entlehnen. Du fanns daraus auf den niedrigen Kulturzustand dieses Boltes schließen. Dieser erheit unter anderm auch aus dem Umstande, daß bei ihnen der Kriegsruhm für das höchste Lob und die Krieger­taste für die geachtetste gilt, während doch in einem Lande der Auf­flärung und Bildung, gleich dem unfern, die Künste des Friedens, vor allem die Wissenschaften, im höchsten Ansehen stehen. Der gefeiertſte Mann ist hier ein alter General, welchen sie den großen Schweiger" nennen. Es scheint dies ein sehr hoher Titel zu sein uns Pantoffel der Gottheit" oder Sonnenschirm der Gerechtigkeit", zu dem du mich erst jüngst zu ernennen die Gnade hattest.

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etwa wie bei

Es ist erstaunlich, wie vielerlei Kasten es hier gibt. Die oberste ist, wie gesagt die der Krieger. Diese tragen als Kopfbedeckung( durch die Kopfbedeckung unterscheiden sich, wie mir scheint, die einzelnen Kasten von einander) einen hohen steifen Kübel aus schwarzem Leder mit gol dener Spize. Dann kommt die sehr zahlreiche Kaste der Räte" und Geheimräte", welche an ihren sehr unbequemen, hohen, schwarzen Kopf­bedeckungen erkennbar sind, die wie kleine Schornsteine aussehen und die man hier Cylinder" oder auch Angströhren" nennt.

bedeckung aus rotem Tuch.

viel freie Zeit haben müssen, denn man sieht sie allenthalben müssig Eine andere Raste ist die der sogenannten Dienstmänner ", welche auf der Straße herumlungern. Dieselben tragen cine niedrige Kopf­zählen, und ich will nur noch die Kaste der Lakaien erwähnen, welche Es würde übrigens zu weit führen, alle Kasten dir hier aufzu­ihre Kopfbedeckung immer in der Hand tragen. streng die Standesunterschiede hier inne gehalten werden und welchen Du glaubst garnicht, weitblickendes Auge des Weltalls, wie lächerlichen und demütigenden Zeremonien sich hier ein Mann unter­werfen muß, wenn er mit einem anderen Manne, der einer höheren Raste angehört, spricht.

lachen müssen. Wenn sich nämlich zwei Menschen auf der Straße be­Eine eigentümliche Sitte herrscht hier, über die ich herzlich habe gegnen, so nehmen sie ihre Kopfbedeckungen vom Haupte, schwenken sie Ich weiß nicht, was dieses lächerliche Gebahren bedeuten soll, wahr­mit der Hand beinahe bis auf die Erde und sezen sie dann wieder auf. scheinlich wollen sie sich dadurch gegenseitig auf ihren Rang aufmerkjam

machen.

barem Feste ich neulich beigewohnt habe. Ich ging nämlich eines Doch nun vernimm, o erhabenster aller Herrscher, welch wunder­es war um die neunte Abendstunde mit meinem Privat­

Lages

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sekretär in einem nahe der Stadt gelegenen Wald spazieren, den man hier wunderbarerweise Tiergarten " nennt, obgleich doch immer bei weitem mehr Menschen als Tiere darin zu erblicken sind.

Ich hatte die stillen, um diese Zeit fast menschenleeren Wege des Tiergartens aufgesucht, um dem Lärm und Gewühl der Straßen zu entfliehen.

Da plözlich gelangten wir in eine Allee, in der viele Wagen und Fußgänger sich bewegten, wie es schien, alle nach einem Ziel. Wir schlossen uns ihnen an, neugierig, wohin die Prozession führen würde. Nach ungefähr zehn Minuten kamen wir an ein großes hellerleuchtetes Gebäude, das, wie ich später erfuhr, den Namen ,, Bei Kroll's" führte. Wir gingen mit den andern in das Haus und, nachdem wir an der Pforte einige Geldmünzen geopfert hatten, konnten wir einen großen schönen Saal betreten.

Eine bunte Menge wogte bereits in dem weiten Raume auf und ab. Doch merkwürdigerweise waren nur wenige Söhne des Landes in ihren geschmacklos geschnittenen, den Leib nur ungenügend bedeckenden schwarzen Kleidern( ich schließe von der übergroßen Sparsamkeit in der Verwendung des Tuches auf den Geiz der Deutschen ) anwesend, son­dern die auf- und abwandelnden Gestalten gehörten fremden Natio­nalitäten an. Es waren da Griechen, Perser, Türken, auch einiger unserer japanesischen Nachbarn wurde ich ansichtig, und denke dir, er­habenster Sohn der Sonne, meine Freude im dichtesten Gewühl bemerkte ich sogar drei Chinesen. Zwar sah ich sofort, daß sie nicht den besseren Kasten angehörten, denn sie trugen höchstens vier bis fünf Unterkleider, doch immerhin war ich sehr erfreut, so weit von der Hei­mat Landsleute zu finden, und ich schickte sofort meinen Begleiter zu ihnen, um zu erfahren, wann sie von zu Hause abgereist wären, wie sie hießen, was sie hier machten 2c.

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Doch denke nur, wie es meinem Sekretär erging. Als er die im Saale promenirenden Chinesen in den süßen Lauten unserer Mutter­sprache anredete, da schüttelten sie erst befremdet die Köpfe und schließ­lich entfernten sie sich mit gemeinem, unschicklichen Gelächter. Es wurde mir alsbald flar, daß die als Chinesen gekleideten Personen in Wahr­heit keine Landsleute waren, sondern Betrüger, die nur, um die einfältigen Europäer irgendwie zu betrügen, sich für Chinesen aus­gaben.

Um meinen Aerger über diesen Vorfall zu vergessen, sah ich weiter dem bunten Treiben zu.

Bahlreiche nur notdürftig bekleidete Frauen gingen umher, die alle Augenblicke an dem Arm eines andern Mannes hingen und recht freundliche Blicke umherwarfen. Ich muß daraus schließen, daß hier Vielmännerei üblich ist. Es herrschte überhaupt bei jenem Feste ein überaus ungenirter Ton. Die in großer Anzahl erschienenen Fremden bewegten sich bunt durcheinander, sprangen, lachten und scherzten. Besonders fielen mir auch vermummte Personen auf in langen, blauen, grünen und gelben Gewändern, die sich gegenseitig heimlich etwas zu­flüsterten. Es schienen mir dies Geheimpolizisten zu sein, die bei solchen Gelegenheiten die Stimmung des Volles ausforschen. Wie ich hörte, nennt man diese Polizeispione hier, Dominos".

Doch mit der Zeit, als wir, mein Begleiter und ich, so im Saale hin- und hergingen und in unserer Sprache über dies und jenes Be­merkungen machten, erregten auch wir Aufmerksamkeit. Ein dichter Knäuel von Menschen bildete sich um uns. Neugierig starrten sie uns an, redeten uns auch ohne weiteres an und einer trieb die Vermessen­heit sogar so weit, an meinem prächtigen langen Zopf zu zupfen. Mir, dem Gesandten des Reiches der Mitte, solchen Schimpf anzutun!

Wäre das in der Heimat geschehen, ich hätte dem Unverschämten eine tüchtige Bastonade geben oder ihn mit hölzernen Sägen zersägen laffen. Doch hier in der Fremde mußte ich das ruhig erdulden, mich im stillen über die Roheit der Barbaren ärgern, welche Fremde in solcher Weise behandeln.

Gegen das Ende des Festes begannen einige Männer Faustkämpfe aufzuführen, was ich für den üblichen Schlußeffekt der Festlichkeit hielt und woran ich mich nicht wenig ergözte. Doch die anderen Festteil­nehmer schienen das für eine Neuerung anzusehen, die man nicht dulden dürfe, denn alsbald erschienen bewaffnete Leute, welche die Kämpfenden trennten und mit sich nahmen. Als diese Männer den Saal betraten, erscholl der allgemeine Ruf: Haut ihm! haut ihm!" Ich weiß nicht, was diese Worte auf chinesisch zu bedeuten haben, wahrscheinlich waren es Worte des Willkommens, mit denen man die Leute begrüßte.

Das Fest, dessen detaillirte Beschreibung ich dir in obigem gegeben habe und das alljährlich hier im Winter gefeiert wird, hat einen viel­fachen Zweck. Erstens will man auf diese Weise die Gewerbe unter­stüzen, denn alle Teilnehmer müssen in schönen kostbaren Gewändern erscheinen, zweitens werden hier die Bekanntschaften zwischen Männern und Frauen vermittelt. Es ist dies eine Art Heiratsmarkt.

Die Jungfrauen holen sich hier Männer, die sie teils für ihr ganzes Leben, teils auch fürzere Beit behalten, und die bereits verehe­lichten Frauen gewinnen sich zu ihrem Mann noch einen zweiten. Einen solchen Mann nennen sie dann den Hausfreund".

Im ganzen scheinen mir solche Feste eine durchaus empfehlens­werte Institution zu sein, und vielleicht gefällt es dir, weiser und mäch­tiger Herr, dergleichen Feste auch bei uns einzuführen...